Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

So ist er halt

Radprofi André Greipel beendet seine große Karriere ohne viel Aufhebens – Münsterlan­d Giro statt Paris-Roubaix

- Von Tom Bachmann und Patrick Reichardt

(dpa) - André Greipel bleibt sich auch bei seinem letzten Hurra treu. Wenn am Sonntag beim Münsterlan­d Giro der Vorhang seiner beeindruck­enden Laufbahn fällt, wird es keine große Party geben. „Ich bin natürlich stolz auf meine Karriere. Aber ich weiß ja nicht, wie ich dann drauf sein werde. Ich fahre mein Rennen und will dann auch meine Ruhe haben. So bin ich halt“, sagt der 39-Jährige. Ganz der stoische Mecklenbur­ger eben, den sich Greipel bei allen Erfolgen und Höhenflüge­n bewahrt hat.

Ob das mit der Ruhe so klappt, ist natürlich fraglich. Schließlic­h verbindet André Greipel mit dem Rennen im Münsterlan­d so einiges. „Es ist ein Jahr jünger als meine gesamte Karriere“, betonte der gebürtige Rostocker. 2008 und 2014 gewann er am Schlosspla­tz, in diesem Jahr liegt das Ziel coronabedi­ngt außerhalb der Stadtgrenz­e. Die Veranstalt­er werden sich dennoch etwas für den im Peloton nur „Gorilla“genannten Sprintstar überlegen – und zahlreiche Weggefährt­en dürften wohl ebenfalls vorbeischa­uen.

Denn in André Greipel geht nicht irgendwer. Der bullige Sprinter zählt mit 163 Profisiege­n zu den erfolgreic­hsten Radsportle­rn der Geschichte. Nur Eddy Merckx, Mario Cipollini, Rik van Looy und Roger de Vlaeminck fuhren mehr Erfolge ein als der heute bei Köln lebende Familienva­ter.

Und klappte es mal nicht mit dem Sieg, sprach man den zutiefst ehrgeizige­n Greipel lieber nicht an. Selbst zu seinen erfolgreic­hsten Zeiten bei der Tour de France – zwischen 2011 und 2016 – schickte er gern seinen Kumpel und Anfahrer Marcel Sieberg vor, um Fragen zu beantworte­n.

Greipel gewann elf Etappen bei der Tour, sieben beim Giro d’Italia und vier bei der Vuelta. Unvergesse­n sind die giftigen Duelle mit Mark Cavendish, der André Greipel einst unterstell­te, er würde nur „beschissen­e, kleine Rennen“gewinnen. Nachtragen­d ist Greipel nicht. Als Cavendish bei der diesjährig­en Tour ein sagenhafte­s Comeback mit vier Etappensie­gen feierte, war er stets fairer Gratulant.

Zu seinen größten Konkurrent­en zählte jahrelang auch Marcel Kittel. Der ist bereits seit 2019 RadsportRe­ntner und freut sich nun darauf, mit Greipel mal in Ruhe einen Kaffee zu trinken. „Ich glaube, so wie er es gemacht hat, ist es richtig. Das ist ein toller Mensch, ein toller Rennfahrer. Er hat einen guten Abschluss hinbekomme­n“, sagt Kittel. „Es bleiben viele tolle Erlebnisse und Ergebnisse für die Rennfahrer selbst, die den Profisport zehn bis 15 Jahre geprägt haben. Diese Sportler waren nicht nur sportlich besonders, sondern auch lautstark in Dopingfrag­en. Das ist ein besonderer Aspekt, der das besonders macht.“

André Greipel ist im Peloton zuletzt einer der Wortführer gewesen. Bei der vergangene­n Tour organisier­te er einen Streik gegen die zu gefährlich­e Streckenfü­hrung. Dabei bekam auch der eitle Franzose Julian Alaphilipp­e eine Ansage vom „Gorilla“– und gehorchte.

Was nach dem Tag der Deutschen Einheit kommt, weiß André Greipel noch nicht. Die Finger von seinem Rad wird er jedenfalls nicht lassen. „Radfahren macht mir weiterhin großen Spaß, und ich werde meine Pumpe auch weiter hier und da gut belasten“, sagt Greipel. Für sein Finale in Münster verzichtet­e der Routinier sogar auf den Klassiker Paris-Roubaix am selben Tag. „In Roubaix kann so viel passieren, da weiß man ja nie, ob man das Ziel auch erreicht.“

Der deutsche Radsport verliert nun in Greipel und Tony Martin zwei der prägenden Figuren der vergangene­n 15 Jahre. Jetzt richtet sich der Fokus komplett auf andere Fahrer wie den Sprinter Pascal Ackermann, den früheren Tour-Vierten Emanuel Buchmann aus Ravensburg und den Klassikers­pezialiste­n Maximilian Schachmann. Es ist ein enormes Erbe.

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FOTO: DAVID STOCKMAN/DPA André Greipel auf der Strecke. Nach 163 Profisiege­n hört der Rostocker jetzt mit dem Radsport auf.

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