Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Juden fürchten vor allem den muslimischen Antisemitismus“
Der Psychologe Ahmad Mansour erklärt, warum die Statistiken zur Judenfeindlichkeit in Deutschland aus seiner Sicht ein verzerrtes Bild wiedergeben
Taucht dieser Alltagsantisemitismus in Statistiken auf?
Nein. Diese Fälle werden nirgends registriert. Wenn jemand als zionistischer Verräter beleidigt wird, geht er in den seltensten Fällen zur Polizei. Aber er erlebt eine massive Verunsicherung. Ein Negativbeispiel, welche Folgen Antisemitismus haben kann, sehen wir direkt vor unserer Nase in Frankreich. Viele Juden haben das Land bereits verlassen.
Welche Rolle spielen soziale Medien mit Blick auf dieses Phänomen? Sie heizen den Antisemitismus weiter an, das zeigte sich auch während der Corona-Krise. Die meisten Verschwörungstheoretiker haben noch nie einen Juden getroffen, verbreiten aber Falschnachrichten, in denen sie die Juden als Ursache allen Übels verunglimpfen. Das ist jedoch nichts Neues. Diese unglaublichen Verschwörungsmythen existieren seit Jahrzehnten und Jahrhunderten.
In der offiziellen Polizeistatistik werden 90 Prozent der antisemitischen Vorfälle Rechtsextremen zugeschrieben.
Diese Statistik ist nicht richtig. Juden fürchten vor allem den muslimischen Antisemitismus. Jedes Mal, wenn es in Israel Konflikte mit Palästinensern gibt, gehen die Zahlen nach oben. Das hat mit Rechtsextremismus nichts zu tun, das hat mit dem Nahostkonflikt zu tun. Diese Daten müssten besser erfasst werden, damit wir die Dinge so sehen, wie sie sind, auch wenn das politisch unbequem sein mag. Antisemitische Taten müssten auch konsequenter verfolgt werden, damit der Letzte hierzulande versteht, dass dies in Deutschland nicht geduldet wird. Sonntagsreden und Mahnwachen gibt es bereits genug.
Sie stammen selbst aus einer palästinensischen Familie, in der Judenhass normal war. Wann haben Sie gemerkt, dass Ihre Feindbilder falsch sind?
Das war während meines Studiums in Tel Aviv. Das war meine Rettung. Ich bin auf Menschen gestoßen, die meine Feinde sein sollten, die mich aber aufgenommen haben. Meine Vorurteile hielten schlicht der Realität nicht stand. Als ich nach Deutschland kam, habe ich angefangen, mich mit jüdischer Geschichte und dem Holocaust zu beschäftigen. Erst da habe ich erkannt, warum es für die Juden so wichtig war, selbstbestimmt und in Sicherheit in Israel le