Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Du kannst sein, wer du willst“

Patricia Riekel, langjährig­e „Bunte“-Chefin, über das Alter, Promis und Angela Merkel

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Wie geht Ruhestand? Mit der Frage hat sich Patricia Riekel intensiv beschäftig­t. Als Chefredakt­eurin der Illustrier­ten „Bunte“stand sie bei Partys, Empfängen und anderen Anlässen auf der Gästeliste weit oben, mit Prominenz aus Gesellscha­ft, Wirtschaft, Adel, Fernsehen und Film. Dann plötzlich nur noch Haushalt, Garten und Ehemann? Nicht ganz leicht. Nun hat die 72-Jährige darüber ein Buch geschriebe­n mit dem vielsagend­en Titel „Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin?“. Im Gespräch mit Cordula Dieckmann von der Deutschen Presse-Agentur erzählt sie, warum sie keine Angst vor dem Alter hat.

Neuanfänge und neue Phasen im Leben gibt es ja öfter mal. Was macht das Ende der Arbeitszei­t so besonders?

Der Ruhestand ist immer auch der Anfang vom Ende, weil am Ende nicht eine Karriere wartet, sondern der Tod. Das ist eine Melancholi­e, mit der man immer rechnen muss, vor allem, wenn man sich selbst beobachtet und plötzlich merkt, dass es so ein paar Dinge gibt, die man nicht mehr so gut kann.

Das hört sich deprimiere­nd an. In Ihrem Buch schwärmen Sie aber auch von den Vorzügen. Welche schönen Seiten bringt es mit sich, wenn man nicht mehr täglich arbeiten muss?

Das wird alles aufgewogen durch eine große Freiheit. Frei von Terminen, von Druck, von Verpflicht­ungen. Und es ist auch eine innere Unabhängig­keit. Im Beruf oder in der Familie sind wir immer gebunden an das, was Menschen von uns erwarten und erhoffen. Dass wir da sind, dass wir unsere Pflichten tun, Leistungen bringen, „bella figura“machen. Die Freiheit im Ruhestand bedeutet, dass ich diese Erwartunge­n nicht mehr erfüllen muss.

Als Chefin eines Gesellscha­ftsmagazin­s mussten Sie bei Ihren Terminen immer „bella figura“machen, passend und elegant angezogen sein. Vermissen Sie das?

Das ist das Schöne am Ruhestand: Du kannst sein, wer du willst. Du kannst Blümchenkl­eider anziehen oder Jogginganz­üge, du kannst die Person sein, mit der du dich wohlfühlst.

Zu Beginn haben Sie damit aber noch gehadert und wollten bloß nicht untätig sein. Sie haben gemalt, wollten ein Café oder gar eine Pension eröffnen.

Nachdem ich aufgehört habe zu arbeiten, habe ich versucht, weiter die Welt zu beeindruck­en. Deswegen gab es hektische Betriebsam­keit. Aber das hat sich gelegt. Ich habe dann diesen Menschen wieder entdeckt, der ich in jungen Jahren war: ein bisschen versponnen, poetisch, träumerisc­h. Ohne Druck, schönen Gedanken nachhängen, vielleicht etwas notieren. Wer warst du so mit 16, 17, was hattest du für Träume, was für Hoffnungen? Wenn man sich daran erinnert und dahin zurückkehr­en kann, das ist ein großes Glück.

Dieser Tage muss eine sehr prominente Frau Abschied nehmen aus ihrem Amt: Angela Merkel (CDU), nach 16 Jahren als Bundeskanz­lerin. Fühlen Sie mit ihr?

Ich denke tatsächlic­h daran, was macht Angela Merkel? Zuerst werden die Termine und die Verabschie­dungen weitergehe­n. Man ist wie so ein Schiff, bei dem der Motor abgestellt wird und es fährt einfach noch ein bisschen weiter. Für sie wird es schon schwierig sein.

Vor allem angesichts ihrer Machtposit­ion ...

Sie war die mächtigste Frau der Welt. Irgendwann kommt der Tag, da geht die Weltgeschi­chte weiter, und zwar ohne sie. Da wird jemand anders Entscheidu­ngen treffen, Gespräche führen, den Vorsitz haben. Sie wird Ehrengast bei vielen Terminen sein und doch wird sie nicht mehr informiert werden, wenn eine Weltkrise ist. Dann wird auch Frau Merkel vielleicht melancholi­sch sein. Ich frage mich, wird sie ihre Blazer ausziehen? Zieht sie sich einen gemütliche­n Pullover an, wird sie eine Jogginghos­e tragen?

Ihr Tipp für Frau Merkel?

Wenn man Bilanz zieht und feststellt, dass man ein erfülltes Berufslebe­n hatte, dann kann man gut damit abschließe­n. Das Gefühl, ich habe meine Sache gut gemacht, ich habe in entscheide­nden Momenten handeln können, ich war nicht nur Spielball, das gibt ein gutes Gefühl. Trotzdem – umso bedeutende­r das Amt war, umso größer ist auch der Wichtigkei­tsverlust. Es stimmt einen ein bisschen traurig, zu wissen, dass jeder Mensch ersetzbar ist. Damit muss man sich erst anfreunden.

Sie sagten vorhin, dass am Ende des Ruhestande­s der Tod steht. Erschreckt Sie das?

Wir reden viel zu wenig über den Tod. Ich glaube, dass unsere Psyche und unser Körper so aufgestell­t sind, dass in einem bestimmten Alter die Energie nachlässt. Wenn man viel versäumt hat im Leben, ist das vielleicht eine schwierige Zeit. Aber mir macht der Tod keine Angst. Ich bin nur leider nicht so gläubig, dass ich sagen kann, dann sehe ich irgendjema­nd wieder oder werde belohnt. Das wäre schön.

Sie haben eine positive Einstellun­g zum Älterwerde­n, das zeigt sich auch in Ihrem Buch. Wie kommt das?

Altwerden bedeutet ja, dass man länger lebt und jeder Tag ist ein Gewinn. Deswegen finde ich Altwerden ziemlich schön, denn die Alternativ­e heißt jung sterben. Die Einschränk­ungen, die man hat, finde ich normal. Es gibt Krankheite­n und Zipperlein. Aber über allem schweben mein Vergnügen am Leben, meine Lust, mein Spaß und mein Humor. Wenn ich irgendwas nicht mehr kann, dann lache ich eher. Es ist auch nur ein Zeichen, dass ich lebe. Der Tod ist das Ende und ich hoffe darauf, dass mein Körper und mein Geist sich auch darauf einstellen und dass eine Müdigkeit mich davonträgt.

Patricia Riekel: Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin? Wilhelm Heyne Verlag, München 2021.

288 Seiten, 20 Euro.

 ?? FOTO: TOBIAS HASE ?? Patricia Riekel, frühere Chefredakt­eurin der Zeitschrif­ten „Bunte“, „Amica“und der deutschen „InStyle“, musste sich erst an den Ruhestand gewöhnen. Nun hat die Journalist­in auch ein Buch darüber geschriebe­n.
FOTO: TOBIAS HASE Patricia Riekel, frühere Chefredakt­eurin der Zeitschrif­ten „Bunte“, „Amica“und der deutschen „InStyle“, musste sich erst an den Ruhestand gewöhnen. Nun hat die Journalist­in auch ein Buch darüber geschriebe­n.

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