Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Militär soll Tank-Krise bewältigen
Engpässe bei der Treibstoffversorgung in Großbritannien nehmen zu – Lkw-Fahrer fehlen
- Die britische Regierung schickt das Militär aus, um die Benzinkrise in den Griff zu bekommen. Nach wie vor fehlt es im Königreich an Lkw-Fahrern, die den in durchaus ausreichenden Mengen vorhandenen Treibstoff von den Depots aus zu den Zapfsäulen bringen. Daher sind ab Montag 200 Soldaten im Einsatz. Sie werden Tanklastwagen fahren und die Tankstellen des Landes beliefern, denn der Benzinmangel führt nach wie vor zu langen Schlangen vor den Zapfsäulen. Darüber hinaus wurden 300 Sofort-Visas für ausländische Lkw-Fahrer ausgestellt, während weitere 4700 Visas nicht mehr, wie vor einer Woche angekündigt, nur bis Weihnachten, sondern bis zum März 2022 gelten sollen.
Ob das die Versorgungskrise in Großbritannien wirksam lindern wird, ist fraglich. Denn zum einen sind 5000 Lkw-Fahrer nicht viel, wenn der Branchenverband „Road Haulage Association“von einem Personalmangel von mehr als 100 000 Fernfahrern ausgeht. Zum andern ist Großbritannien nach dem Brexit für EU-Trucker wenig verlockend. Vermehrte Bürokratie, aufwendige Zoll-Formalitäten und höhere Steuern machen die Arbeit unattraktiv. Darüber hinaus gibt es auch auf dem Kontinent einen Mangel an Fernfahrern und somit das Angebot von verbesserten Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen. Warum dann auf die Insel kommen?
Ein kurioser Appell illustriert die verfahrene Situation und die hilflose Reaktion der Regierung. Professor Peter Neuman, Politikwissenschaftler am renommierten Londoner „King‘s College“, erhielt einen Brief vom Verkehrsministerium. „Es gab niemals eine bessere Zeit“, wurde er umworben, „die Art von Fernfahrerjob zu finden, den Sie wollen.“Der Grund für die amtliche Aufforderung: Neumann hat seinen deutschen Führerschein in England angemeldet, und weil er ihn vor 1999 erworben hatte, besaß der Professor die Fahrerlaubnis für Fahrzeuge bis zu 7,5 Tonnen. „Gut zu wissen“, twitterte der Politiwissenschaftler, „dass ich, wenn es mit Politik und Wissenschaft nichts wird, immer noch ein Trucker im Brexit-Britannien werden kann.“Gefolgt von drei LachEmojis. Wie Neumann erhielten diesen Brief vom Verkehrsministerium rund eine Million Besitzer von LkwFührerscheinen.
Es bleibt abzuwarten, ob es viele in den Beruf zieht. Doch immerhin sind die Konditionen besser geworden: Es winken Begrüßungsgelder von 2000 Pfund, und das Jahresgehalt ist mittlerweile auf über 50 000 Pfund gestiegen.
Die Versorgungskrise trifft das Land stärker als seine europäischen Nachbarn, und sie dürfte noch eine Weile weitergehen. Wenn rund 100 000 Trucker fehlen, ist die Situation ernst. Der Personalmangel in der Speditionsbranche führt zu allgegenwärtigen Lieferproblemen.
In manchen Gemeinden bleibt der Abfall liegen, weil die Müllabfuhr nicht genug Fahrer hat. Die FastFood-Kette McDonalds konnte keine Milkshakes oder Wasserflaschen anbieten. Dem Restaurantriesen Nando‘s gingen die Hähnchen aus. Haribo kann nicht mehr auf die Insel liefern, weil man keine Lkw-Fahrer hat. „Unsere Zahlen zeigen“, sagte Kate Nicholls von „UKHospitality“, „dass 94 Prozent der Unternehmen im Gastgewerbe Lieferprobleme haben, und rund zwei Drittel sagen, dass sie das Menü, das sie ihren Gästen anbieten können, reduzieren müssen und erheblich an Umsatz verlieren.“
Doch wirklich ernst wird es, wenn es um die Gesundheit geht. Apotheken berichten inzwischen über ausbleibende Lieferungen und klagen, dass ihr Nachschub unterbrochen worden ist. Andrew Lane, Chef der „National Pharmacy Association“, appellierte an die Regierung, die Situation in den Griff zu bekommen. „Eine robuste Lieferkette für Medikamente ist offensichtlich unverzichtbar für die Gesundheit der Nation“, sagte er, „deshalb ist es wichtig, dass dies nicht zu einem weitverbreiteten Problem eskaliert, das die Versorgung der Patienten beeinträchtigt.“
Trotz der Engpässe will Premier Boris Johnson Forderungen nach einer Lockerung der nach dem Brexit verschärften Einwanderungsregeln nicht nachgeben. „Was wir nicht wollen, ist zurückzukehren zu einer Situation, in der die Logistikbranche sich auf eine Menge Einwanderung günstiger Arbeitskräfte stützt“, sagte Johnson beim Besuch eines Krankenhauses in Leeds am Samstag. Das habe nämlich zur Folge, „dass die Gehälter nicht steigen und die Qualität der Arbeitsplätze nicht zunimmt“. Die britische Wirtschaft müsse ihre Abhängigkeit von schlecht bezahlten ausländischen Arbeitskräften beenden, um eine „gut bezahlte, gut ausgebildete, hochproduktive Volkswirtschaft“zu werden.