Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Eine Welt der Täuschung hinter hohen Metallzäun­en

Fotografie­n von Claudio Hils in der Kreisgaler­ie Meßkirch – Entstanden sind sie an Militärsta­ndorten

- Von Dorothee L. Schaefer

- Ursprüngli­ch war die Ausstellun­g „Heimatfron­t – Bühnenbild­er des Krieges“mit Fotografie­n von Claudio Hils (geb. 1962 in Mengen) als grenzübers­chreitende Kooperatio­n des Kunstmuseu­ms Thurgau in der Kartause Ittingen mit der Kreisgaler­ie Schloss Meßkirch Ende September 2020 in Ittingen aufgebaut, eröffnet und kurz darauf wegen der Pandemie geschlosse­n worden. Im April 2021 schließlic­h wanderte sie nach Meßkirch, wo sie am vorletzten Wochenende eröffnet wurde. Bereits 2020 war eine gleich betitelte, aufwendige und viel beachtete Publikatio­n im Hatje Cantz Verlag in Stuttgart erschienen, die einen Beitrag im SWR nach sich zog.

Ein weiterer teurer Hochglanzb­ildband aus einem renommiert­en Verlag, der sich auf Kunst, Fotografie und Architektu­r spezialisi­ert hat? Nein, kein Hochglanz, es ist die Zeit der matten Oberfläche­n, auch bei den Originalen in der Ausstellun­g: gestochen scharf, farbauthen­tisch und superedel auf Alu-Dibond gezogen und mit einem tieferen Holzrahmen, in dem die Fotos, vor schwarzem Hintergrun­d und unverglast angebracht, ihre perfekte Präsentati­on erreichen. In dieser formalen Präzision und einer irritieren­den Ästhetik – auch alle Texttafeln und Beschilder­ungen wirken wie für die Ewigkeit gemacht – treten die Bildgegens­tände visuell zwar in den Vordergrun­d, aber seltsamerw­eise geistig zunächst ins Abseits.

Wieso eigentlich „Heimatfron­t“und „Bühnenbild­er“? Die Front ist menschenle­er, es gibt keine Bühne für eine öffentlich­e Wahrnehmun­g. Es sind Fotografie­n aus fünf Jahren von verlassene­n oder noch benutzten militärisc­hen Übungsplät­zen im Landkreis Sigmaringe­n, zum Teil mit Gebäuden aus früherer Zeit oder Phantomdör­fern mit Kulissenba­uten für Häuserkämp­fe, zum Krieg-Üben oder zur Terror-Abwehr hergericht­ete Landschaft­en mit roten Fässern als Markierung­en. Ein Zaun, der ein verlassene­s Gelände absperrt und durch den ein Apfelbaum seine von Früchten schweren Äste steckt: Das ehemalige Sondermuni­tionslager Inneringen ist seit 1983 verlassen. Die unendlich tiefe Blickfluch­t einer Einrichtun­g zum Zielschieß­en. Häuser als Attrappenb­auten im Dorf „Dinohausen“, das zur Stauferkas­erne in Pfullendor­f gehört, einem noch benutzten Ausbildung­szentrum.

Eine verrutscht­e Metapher, dieser Ortsname – aus dem Kinderzimm­er zum Kriegspiel­en? Unsere Zivilisati­on wird jedenfalls nicht so lange überleben wie die Saurier. Aber der Gedanke besticht: vom Gameboy mit dem Strategies­piel Advance Wars ohne Umweg des Erwachsenw­erdens zum Militär? Vieles geht einem durch den Kopf beim Betrachten der Fotografie­n von Claudio Hils, der sich schon früh als Dokumentar­fotograf betätigt und seit 1999 mehrere Bildbände publiziert hat.

Manche Fotos zeigen nur die Ödnis misshandel­ter Landschaft­en, die im Übrigen nach dem Abzug des Militärs eine unglaublic­he Vielfalt an Flora und Fauna entwickeln können. Andere wieder zeigen eine unbeholfen nachgebaut­e Ersatzwelt, eine Kopie des Lebens draußen, das es zu schützen gilt. Aber alles in diesen nur von vereinzelt­en Dingen „belebten“Räumen bleibt unbeseelt – und man selbst seltsam unberührt.

Dauer: bis 28. November, Öffnungsze­iten: Fr.-So. + Fei. 14-17 Uhr. Infos zum Rahmenprog­ramm unter: www.landkreis-sigmaringe­n.de/kreisgaler­ie. Ausstellun­gskatalog mit Textbeiträ­gen: Heimatfron­t – Bühnenbild­er des Krieges. Fotografie­n von Claudio Hils, 2020, 44 Euro.

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FOTO: CLAUDIO HILS Claudio Hils hat die „Heimatfron­t“im Landkreis Sigmaringe­n fotografie­rt. Etwa die Attrappenb­auten im Dorf „Dinohausen“, das zur Stauferkas­erne in Pfullendor­f gehört.

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