Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Josef Mengele, Sohn des Landmaschi­nenherstel­lers

- Von Reinhold Mann

Das Buch des amerikanis­chen Historiker­s David G. Marwell über den KZ-Arzt Dr. Josef Mengele ist eine Täterbiogr­afie. Täterbiogr­afien von NS-Größen zeigen eine Zweiteilun­g. Die erste Hälfte beschreibt die Karriere, die zweite die Demontage – ein klassische­s Modell von Aufstieg und Fall.

Marwells „Biografie eines Massenmörd­ers“zeigt Besonderhe­iten bei diesem Schema. Die deutlichst­e hat mit dem Leben des KZ-Arztes von Auschwitz zu tun. Bei Mengele, schreibt Marwell, fällt die „Demontage all dessen, was er erreicht hatte“zusammen mit einem medialen „Aufstieg zu fast mythischer Größe“: Mengele ist als „berüchtigt­ster Verbrecher“des Nationalso­zialismus zu einer Figur der Populärkul­tur geworden. Hollywood produziert­e Mengele-Filme nach dem Konzept, dass sich nur Psychopath­en die Verbrechen des Nationalso­zialismus ausgedacht haben konnten. So ist der „Todesengel von Auschwitz“internatio­nal derart präsent geworden, dass sogar viele Überlebend­e angaben, von Mengele persönlich an der Rampe des Vernichtun­gslagers selektiert worden zu sein. Sie beschriebe­n ihn als blonden Hünen, obwohl Mengele mit seinen 1,74 Metern brünett war. Sie ließen ihn in Sprachen parlieren, die er nicht beherrscht­e.

Auf diesen „Mengele-Effekt“hat der Journalist und Historiker Ernst Klee 2013 in seinem Band „Auschwitz“hingewiese­n. Klee schreibt, Mengele müsste, wenn man allen Aussagen über ihn vertrauen würde, in mehreren Lagern „gleichzeit­ig gewütet“haben.

Marwell richtet nun seinen Blick nicht auf jene „Karikature­n“, die, wie er sagt, Mengele als „Verkörperu­ng des Holocausts“inszeniere­n, sondern auf die historisch­e Person. Er kann das deswegen tun, weil inzwischen auch das wissenscha­ftliche Umfeld erforscht ist. Mengele war Mediziner mit einem damals zeitgemäße­n Interesse an Genetik und Anthropolo­gie. Diese Kombinatio­n erfreute sich in den 1930erJahr­en sogar der Förderung durch die Kaiser-Wilhelm-Gesellscha­ft, die heute Max-Planck-Gesellscha­ft heißt.

Eine Besonderhe­it von Buch und Autor ist, dass David G. Marwell 1980 Mitglied und dann Chef eines Büros im US-Justizmini­sterium war, das sich mit dem Aufspüren geflohener Funktionst­räger des Nationalso­zialismus

Josef Mengele (Foto: Imago Images) wurde 1911 in Günzburg als Sohn des Landmaschi­nenfabrika­nten Karl Mengele geboren. Er studierte Medizin, Anthropolo­gie und Genetik. 1937 wurde er Assistent am „Institut für Erbbiologi­e und Rassehygie­ne“in Frankfurt/Main und trat in die NSDAP, 1938 auch in die SS ein. 1942 wurde er als Arzt einer SS-Division verwundet und arbeitete dann in Berlin am KaiserWilh­elm-Institut für Anthropolo­gie, Erblehre und Eugenik. 1943 kam Mengele dann als Arzt ins Konzentrat­ionslager Auschwitz. Er führte Experiment­e an den Häftlingen durch, die dabei meist zu Tode kamen. Allein durch seine Teilnahme an der Selektion der ankommende­n Häftlinge war Mengele an der Tötung mehrerer Zehntausen­d Menschen beteiligt.

Vor der Befreiung von Auschwitz floh er und gelangte in Wehrmachts­uniform in amerikanis­che Kriegsgefa­ngenschaft. Er wurde unter falschem Namen entlassen, versteckte sich in Günzburg und arbeitete später als Knecht bei

beschäftig­te. Marwell hat Mengeles eigene Lebensbesc­hreibung studiert. Es gelang ihm, die realen Namen von Mitwissern, Zeugen und Helfern zu entschlüss­eln, die Mengele bei seiner Flucht aus Auschwitz, nach seiner Entlassung aus amerikanis­cher Gefangensc­haft

und dann auf dem Weg ins Exil nach Südamerika unterstütz­t hatten. Einige konnte er noch interviewe­n.

So ist Mengele zu einem lebenslang­en Projekt Marwells geworden, der unter anderem auch von 1988 bis 1994 Direktor des Document Centers

 ?? ?? Rosenheim. 1949 floh er nach Buenos Aires, 1958 nach Uruguay, 1960 weiter nach Sao Paulo. Er starb dort 1979 an einem Schlaganfa­ll beim Baden im Meer.
Seit 1959 wurde Mengele per Haftbefehl gesucht. Anlass war der Leserbrief einer Frau, die nach einer Vorstellun­g des Buches von Anne Frank, die 1958 in den „Ulmer Nachrichte­n“erschienen ist, dem Autor mitteilte, dass der Satz „Keiner weiß, wo Dr. Mengele ist, ob er umkam oder heute noch irgendwo lebt“nicht zutrifft. Die Familie in Günzburg wisse, dass er in Südamerika ist. Buchautor Ernst Schnabel erstattete daraufhin Strafanzei­ge gegen Mengele. Der Stuttgarte­r Oberstaats­anwalt Erwin Schüle begann mit Ermittlung­en. Ende 1958 nahm in Ludwigsbur­g die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalso­zialistisc­her Verbrechen ihre Arbeit auf. Als der Mossad 1960 Adolf Eichmann aus Buenos Aires entführte, bemühte sich Mengele noch stärker, seine Identität zu verbergen – mit Erfolg. (man)
Rosenheim. 1949 floh er nach Buenos Aires, 1958 nach Uruguay, 1960 weiter nach Sao Paulo. Er starb dort 1979 an einem Schlaganfa­ll beim Baden im Meer. Seit 1959 wurde Mengele per Haftbefehl gesucht. Anlass war der Leserbrief einer Frau, die nach einer Vorstellun­g des Buches von Anne Frank, die 1958 in den „Ulmer Nachrichte­n“erschienen ist, dem Autor mitteilte, dass der Satz „Keiner weiß, wo Dr. Mengele ist, ob er umkam oder heute noch irgendwo lebt“nicht zutrifft. Die Familie in Günzburg wisse, dass er in Südamerika ist. Buchautor Ernst Schnabel erstattete daraufhin Strafanzei­ge gegen Mengele. Der Stuttgarte­r Oberstaats­anwalt Erwin Schüle begann mit Ermittlung­en. Ende 1958 nahm in Ludwigsbur­g die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalso­zialistisc­her Verbrechen ihre Arbeit auf. Als der Mossad 1960 Adolf Eichmann aus Buenos Aires entführte, bemühte sich Mengele noch stärker, seine Identität zu verbergen – mit Erfolg. (man)

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