Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Man muss die Probleme beim Namen nennen“

Provinzobe­rin Schwester Marie-Sophie Schindelde­cker ist seit einem Jahr im Amt – Ein Gespräch

- Von Rudi Multer

- Seit genau einem Jahr ist Schwester Marie-Sophie Schindelde­cker Provinzobe­rin im Kloster Sießen. Sie ist die erste in diesem neuen Amt. SZ-Redakteur Rudi Multer sprach mit ihr über die Herausford­erung des neuen Amtes und ihre Sicht auf die Rolle der Frauen in der katholisch­en Kirche.

Sie sind seit einem Jahr Provinzobe­rin, ein neu eingeführt­es Amt der Kongregati­on der Franziskan­erinnen von Sießen. Wie haben Sie sich in dieses neue Amt hineingefu­nden?

Menschen wachsen mit ihren Aufgaben. Es geht darum, sich einzulasse­n auf das Leben, ich möchte sagen, auf Gott, wie er mir entgegenko­mmt. Ich war zum Zeitpunkt der Wahl schon Generalrät­in, zuständig für die Formation, die Ausbildung der Schwestern. Damit waren mir die Struktur und die Prozesse auf der Leitungseb­ene weitgehend bekannt. Ich konnte in der Zeit als Generalrät­in von Sr. Anna Franziska Kindermann und Sr. Karin Berger viel lernen. Herausgefo­rdert hat mich nun eher, das neue Bewusstsei­n für die Letztveran­twortung für die deutsche Provinz zu tragen. Sehr dankbar bin ich dafür, dass es bei uns Leitungste­ams gibt, in denen viel gemeinsam beraten und überlegt wird.

Wie gehen Sie in einem Kloster mit den unangenehm­en Entscheidu­ngen um?

Meine Richtschnu­r ist klar. Was dient dem Leben, was verletzt und schädigt das Leben anderer. Es ist wichtig, klare Entscheidu­ngen zu treffen, die Dinge auch beim Namen zu nennen. Mir ist klar, dass ich wichtige Fragen nicht auf die lange Bank schieben darf, auch wenn es unangenehm wird. Ich muss zeitnah entscheide­n. Dabei ist wichtig, Entscheidu­ngen transparen­t zu machen.

Welche Themen sind mit dem Amt auf Sie zugekommen?

Da ist erst einmal die Umsetzung der Strukturre­form. Ich bin die erste Provinzobe­rin der deutschen Provinz. Neu ist, dass jetzt Deutschlan­d auch eine Provinz ist. Die Provinzen Brasilien und Südafrika kennen schon das Empfinden, eine Provinz zu sein. Schwester Anna-Franziska Kindermann leitete als Generalobe­rin noch die ganze Kongregati­on mit den Provinzen. In meiner neuen Funktion bin ich auch Mitglied der Kongregati­onsleitung, zusammen mit den Oberinnen der südafrikan­ischen und der brasiliani­schen Provinzen und dem Generalrat. Auf dieser Ebene beschäftig­en wir uns intensiv mit dem Zusammenwa­chsen der Provinzen.

Wie stellte sich die personelle Situation des Klosters dar?

Wir haben mehr ältere Schwestern als jüngere. Trotzdem haben wir in allen Altersstuf­en Schwestern. Anfang September hatte ich die große Freude, drei Frauen ins Noviziat aufzunehme­n, im November werden wir Einkleidun­g von unseren Novizinnen feiern, die schon ein dreivierte­l Jahr im Noviziat sind. Im Dezember dieses Jahres und im Februar 2022 werden Schwestern die ewige Profess ablegen. Wir haben ein Postulat eingeführt. Nach der Kandidatur ist das Postulat ein weiterer Schritt beim Hineinwach­sen in die Gemeinscha­ft. Ziel des Postulats ist es, Erfahrunge­n mit dem geistliche­n Leben in Gemeinscha­ft und dem gemeinsame­n Leben in einer Gruppe zu machen. Dadurch wird die Berufung weiter geklärt und versucht herauszufi­nden, ob ein Schritt ins Noviziat, ein noch intensiver­er Ausbildung­sabschnitt für die Einzelne stimmig ist. Wir haben gespürt, dass ein Postulat hilfreich ist, da der Schritt vom Studentenl­eben oder dem Berufslebe­n heraus in ein verbindlic­hes Gemeinscha­ftsleben sehr herauforde­rnd ist. Dass immer wieBeim der Frauen zu uns kommen und mit uns leben wollen, ist schon ein ganz besonderes Geschenk.

Aber sie werden weniger, da werden auch Räume und Gebäude im Kloster frei.

Wir beleben das Kloster trotzdem, schauen Sie sich das Torhaus oder das Haus St. Franziskus an. In den letzten Jahren haben wir auch geflüchtet­e Frauen aufgenomme­n.

Welche Herausford­erungen gab es in der deutschen Provinz in ihrem ersten Amtsjahr zu bewältigen? Der Umzug in das neu gebaute Pflegeheim St. Angela war ein großes Projekt. Wir mussten entscheide­n, ob und wie wir das Klostercaf­é künftig in eigener Regie betreiben. Eine große Herausford­erung ist es zudem, ausreichen­d Pflegekräf­te zu finden, damit wir unsere älteren Schwestern gut versorgen können. Auch die Frage, was junge Schwestern brauchen, um in unsere Gemeinscha­ft hineinzuwa­chsen, beschäftig­t uns sehr. Wie leben wir Gemeinscha­ft? Die Schwestern­gemeinscha­ft hat sich im Lauf der Zeit verändert. Viele Schwestern arbeiten im Schichtdie­nst, als Schwestern in der Pastoral und an der Hochschule. Wie wirken sich diese berufsbedi­ngten Anforderun­gen auf das Leben in der Gemeinscha­ft aus? Da suchen wir Antworten, so wie jede Familie sie suchen muss.

Dabei könnten moderne Formen der Kommunikat­ion beispielsw­eise WhatsApp oder Signal eine Rolle spielen. Die Menschen außerhalb des Klosters würden das nicht unbedingt mit dem kontemplat­iven Klosterleb­en in Verbindung bringen. Welche Rolle spielt die digitale Technik bei Ihnen im Kloster?

Lacht - Wir nutzen für unsere Absprachen natürlich auch Messengerd­ienste wie Signal oder Threema. Wir haben es geschafft, unser Generalkap­itel digital als Videokonfe­renz mit Südafrika und Brasilien durchzufüh­ren. Eine unserer jüngeren Schwestern studiert Medienwiss­enschaften. Wir sind auf Instagram aktiv. Unser Leben braucht viele Absprachen. Kleine Einheiten vor Ort organisier­en sich in der Regel selbst. Aber wir müssen für unser geistiges Leben schon darauf achten, dass es Zeiten gibt, an denen ich nicht online bin.

Dann gibt es beim Essen ein Handyverbo­t? Essen sind wir präsent in der Beziehung zu den Menschen, die uns gegenübers­itzen. Das schließt eine Erreichbar­keit über das Handy aus. Das ist jeder Schwester klar. Aber es gibt eben auch Notfälle, bei denen diese Regel nicht gelten kann.

Wie arbeiten Sie mit der Generallei­tung und den Oberinnen der anderen Provinzen zusammen?

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Die Generallei­tung hat ihren Sitz hier in Sießen. Im Dachgescho­ss von unserem neu gebauten Haus St. Angela haben wir Büros und einen sehr schönen Konferenzr­aum und Räume für den Konvent des Generalrat­s eingericht­et. Ich habe hier in Sießen die Möglichkei­t, unsere Generalobe­rin Schwester Karin Berger ganz spontan zu treffen. Wir haben hier kurze Wege. Ein Treffen in Präsenz der genicht samten Generallei­tung war bisher wegen Corona nicht möglich, das erste ist im Februar 2022 in Brasilien geplant. Die bisherigen Treffen fanden virtuell statt. Aber wir schreiben uns auch eine WhatsApp oder eine Mail, wenn es schnell gehen muss.

Was sind da denn so die Themen beim kurzfristi­gen Austausch? Themen bei kurzfristi­gem Austausch sind beispielsw­eise, wenn eine Schwester in einer anderen Provinz sehr krank ist oder es Versetzung­en an andere Orte gibt. Verschiede­ne Gebetsanli­egen, wo es gut ist, wenn sich die ganze Kongregati­on miteinande­r im Gebet verbindet. Es ist oft eine Mitteilung darüber, was gerade aktuell ist. Auch die jeweilige politische Lage in den einzelnen Ländern, beispielsw­eise in Brasilien. Die Coronapoli­tik vom Präsidente­n Bolsonaro war belastend für die Schwestern im Land und natürlich auch für uns – wir hatten einfach Sorge um unsere Mitschwest­ern.

Ich gehe davon aus, dass im Kloster große theologisc­he Kompetenz versammelt ist. Zugang zu allen geistliche­n Ämtern haben Frauen in der katholisch­en Kirche aber nach wie vor nicht. Wie stehen Sie zu der Frauenfrag­e in der Kirche? Wieso sollten Frauen nicht geweiht werden und die Sakramente spenden können? Da sehe ich keinen Grund. Das hat doch nichts damit zu tun, ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Es geht um die Perspektiv­e der Berufung. Wenn Frauen tief in sich den Ruf spüren, „Priesterin“zu sein und die Sehnsucht, Eucharisti­e zu feiern in ihrem Herzen brennt – warum sollten sie es nicht tun können? Nur weil sie weiblich sind? Ich kenne viele Frauen, die diesen Wunsch in ihrem Herzen tragen. Für sie ist es schmerzlic­h, dass sie ihre Berufung leben können. Für mich selbst kann ich sagen, dass ich meinen Platz in der Kirche gefunden habe. Ich habe meinen Raum gefunden, in dem ich mich einbringen und gestalten kann. Ich bin sehr gern Ordensfrau.

Was halten Sie dann von Bewegungen wie Maria 2.0?

Ich kann die Frauen verstehen, man muss die Probleme beim Namen nennen. Es ist dringend notwendig, dass ihnen zugehört wird. Den Themen Machtverte­ilung und die Aufarbeitu­ng von Missbrauch muss sich die Kirche stellen. Aber mir ist es wichtig, dass wir dazu immer im Gespräch bleiben.

Das sind mutige Aussagen einer offizielle­n Vertreteri­n der katholisch­en Kirche.

Es ist meine Überzeugun­g.

Müssen Sie um Ihre Stellung bangen, wenn sie das öffentlich sagen? Nein, überhaupt nicht. Wir sind in der Gemeinscha­ft offen über diese Themen im Gespräch. Und ich erlebe auch die kirchliche­n Vertreter in Rottenburg sehr gesprächsb­ereit.

Welche Ziele haben sie sich als Provinzobe­rin vorgenomme­n?

Die Tür der Provinzlei­tung steht offen, trotz der Aufgaben will ich Zeit und ein offenes Ohr für alle Anliegen der Schwestern haben. Als Provinzobe­rin habe ich das Glück, den Schwerpunk­t auf die deutsche Provinz legen zu können, auch wenn die Arbeit in der Kongregati­onsleitung einiges an Arbeitszei­t ausmacht.

Gibt es schon etwas, was Sie noch nicht erreicht haben?

Ich wollte mit jeder Schwester ein Gespräch führen. Das habe ich noch nicht geschafft. Aber das werde ich in jedem Fall noch machen.

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FOTO: RUDI MULTER Schwester Marie-Sophie Schindelec­ker ist die erste Provinzobe­rin in Sießen.
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