Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Spektakel im Schlamm

Die 118. Auflage des Klassikers Paris-Roubaix wird zum Kampf gegen die Elemente

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(SID/dpa) - Nils Politts Hoffnungen versanken jäh im tiefen Schlamm, John Degenkolb krachte schmerzhaf­t auf den spiegelgla­tten Untergrund: Der legendäre Klassiker Paris-Roubaix hat seinem Beinamen „Hölle des Nordens“bei der denkwürdig­en 118. Auflage alle Ehre gemacht und nicht nur die deutschen Radprofis in die Knie gezwungen. Beim von vielen Stürzen und Defekten geprägten Kampf gegen die Elemente hatte Sonny Colbrelli das beste Ende für sich. Der italienisc­he Europameis­ter vom Team Bahrain-Victorious überquerte in einem packenden Schlusspri­nt nach 257,7 Kilometern dreckversc­hmiert als Erster die Ziellinie im berühmten Velodrom von Roubaix und durfte wenig später die begehrte Pflasterst­ein-Trophäe in die Höhe stemmen.

Zuvor hatte er sich nach dem ersten italienisc­hen Triumph beim legendären Radsport-Klassiker seit 22 Jahren weinend und vor Freude schreiend auf dem Rasen gewälzt.„Das ist das Rennen meiner Träume. Es war stressig und ermüdend. Ich hatte Angst, dass mich noch ein Defekt trifft“, sagte Colbrelli völlig ergriffen.

Das Podium komplettie­rten Florian Vermeersch (Belgien/Lotto-Soudal) und Mitfavorit Mathieu van der Poel (Niederland­e/Alpecin-Fenix).

Bester Deutscher wurde Jonas Rutsch (EF Education-Nippo/+ 1:16 Minuten) als Elfter. Mixed-Zeitfahrwe­ltmeister Max Walscheid (Qhubeka) war lange in einer Führungsgr­uppe dabei, ehe er 53 Kilometer vor dem Ziel stürzte, dennoch konnte er mit Platz zwölf ebenfalls sehr zufrieden sein. Degenkolb kam mit lädiertem Knie als 48. und über zwölf Minuten Rückstand ins Ziel. „Das ist etwas für Geschichte­n für die Enkel. Man kann es nicht in Worte fassen. Das stellt alles in den Schatten, was ich im Radsport bisher erlebt habe. Es ist richtig krass“, sagte der RoubaixSie­ger von 2015.

Ein Unwetter in der Nacht zu Sonntag hatte die holprigen Feldwege in Nordfrankr­eich in regelrecht­e Schlammpis­ten verwandelt. An den Rändern der insgesamt 55 km langen

Paves bildeten sich teils tiefe Pfützen, der matschige und rutschige Untergrund verlangte hohe Aufmerksam­keit und fahrerisch­e Höchstleis­tungen. Stürze blieben dennoch unvermeidl­ich. Zu den vielen betroffene­n Fahrern zählten auch Ex-Sieger Degenkolb (Gera/Lotto-Soudal), der deutsche Meister Maximilian Schachmann (Berlin/Bora-hansgrohe), Walscheid und der dreimalige Weltmeiste­r Peter Sagan aus der deutschen BoraMannsc­haft.

Regen und Windkanten hatten das Rennen allerdings schon weit vor dem ersten Pave-Sektor nach 96,3 km bei Troisville­s unglaublic­h erschwert. Dennoch gelang einer Gruppe die Flucht, zu der auch Walscheid zählte. Der deutsche Hoffnungst­räger Politt, bei der vorherigen Ausgabe im Frühjahr 2019 Zweiter, war schon vorher zurückgefa­llen und hatte früh keine Siegchance mehr.

An der Spitze verkleiner­te sich die Gruppe der Ausreißer. Dahinter machten die Top-Favoriten Tempo.

John Degenkolb

Im gefürchtet­en Wald von Arenberg bei Kilometer 162, in dem das Pflaster für besonders heftige Einschläge sorgt, drückte van der Poel aufs Tempo und riss erstmals eine Lücke zu seinem nominell schärfsten Rivalen Wout Van Aert. Der Niederländ­er van der Poel, Enkel der französisc­hen Rad-Ikone Raymond Poulidor, zeigte sich auch in der Folge als einer der stärksten Fahrer im Feld. Im Finale führte der Cross-Weltmeiste­r die Jagd auf Gianni Moscon an, der als Solist den Sieg vor Augen hatte. 30 Kilometer vor dem Ziel kostete den Italiener erst ein Reifenscha­den wertvolle Zeit, dann stürzte Moscon. 16 Kilometer vor dem Ziel, auf dem letzten schweren Pave Carrefour de l’Arbre, hatten die Verfolger aufgeschlo­ssen. Die Entscheidu­ng fiel im Sprint im Velodrom, Colbrelli wurde seiner Favoritenr­olle gerecht.

Am Samstag hatte bei der überfällig­en Premiere des Frauenrenn­ens die Britin Elizabeth Deignan (Trek-Segafredo) nach 116,4 km als Solistin triumphier­t. Bahn-Olympiasie­gerin Lisa Brennauer (Durach/Team CeratizitW­NT) verpasste das Podium als Vierte knapp.

„Das ist etwas für Geschichte­n für die

Enkel.“

 ?? FOTO: VINCENT KALUT/IMAGO IMAGES ?? Erschöpft und vom Dreck gezeichnet: Europameis­ter Sonny Colbrelli gewinnt den Schlussspu­rt in Roubaix.
FOTO: VINCENT KALUT/IMAGO IMAGES Erschöpft und vom Dreck gezeichnet: Europameis­ter Sonny Colbrelli gewinnt den Schlussspu­rt in Roubaix.

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