Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Vater kämpft verzweifelt um seinen Sohn
Warum nach einer Trennung der Kontakt zum Nachwuchs abreißen kann – Verein für Gesetzesänderung
- Joachim W. (Name von der Redaktion geändert) ist verzweifelt: Seit bald zwei Jahren hat er seinen Sohn nicht mehr gesehen, wie er sagt. Mit der Mutter des Jungen war W. sechs Jahre lang zusammen. Inzwischen begegnen sich die beiden nur noch vor Gericht. Dass Väter ihre Kinder nicht aufwachsen sehen, ist in Ravensburg kein Einzelfall.
Vor zwölf Jahren wurde sein Wunschkind geboren. Er sei darüber so glücklich gewesen, berichtet W., dass er nach der Trennung von der Mutter eine Zweitwohnung rund 100 Kilometer von Ravensburg entfernt genommen habe, um so viel Zeit wie möglich mit seinem Jungen verbringen zu können. Drei, vier Tage die Woche sei er dort gewesen. „Wir hatten uns gut arrangiert im Sinne des Kindes“, sagt er im Hinblick auf seine ehemalige Partnerin. Fünf Jahre lang habe alles gut geklappt, man sei sogar mal gemeinsam im Urlaub gewesen. Bis er die Unterhaltszahlungen auf das ursprünglich vereinbarte Maß zurückgefahren habe.
In Joachim W.s Version der Geschichte, mit der er auf die „Schwäbische Zeitung“zukam, habe seine frühere Partnerin jedoch mehr Geld gewollt. Sie habe eine Unterhaltsklage eingereicht und bis zur Klärung dieser Sache den Umgang mit dem gemeinsamen Sohn zunächst reduziert, später „komplett verweigert“, wie er sagt. W. wiederum wollte mit einer Umgangsklage erreichen, dass er sein Kind sehen darf. Schließlich habe er dem Buben seinerzeit mehr als 100 Mal die Windeln gewechselt: „Er war mein Ein und Alles.“Dass der Junge nun ohne seinen Vater aufwachsen müsse, „obwohl ich so gerne für ihn da wäre“, löst bei Joachim W. nicht nur Frust und Ohnmacht aus, sondern mache ihn „tieftraurig“. Das Schlimmste für ihn: Inzwischen wolle der Sohn ihn nicht mehr treffen. Selbst seine Briefe würden ins Leere laufen. Joachim W.s Eindruck: Sein Kind sei „negativ beeinflusst“worden. Nun fürchtet er: „Die Zeit spielt gegen mich, je länger ich ihn nicht sehe.“
Die Mutter des Sohnes sieht das alles völlig anders – und sich einer „Hetz- und Lügenstrategie“vonseiten Joachim W.s ausgesetzt. Tatsächlich habe sie jahrelang „nach Kräften versucht, die Vater-Sohn-Beziehung zu unterstützen“, wie sie auf SZ-Anfrage ausführt. Nach der Trennung sei es ihr wichtig gewesen, dass das Kind „möglichst unbelastet von der Elternebene den Kontakt zu beiden Eltern behält“. Allerdings habe der Vater ihrer Wahrnehmung nach „öfters Schwierigkeiten gehabt, sich adäquat um das Kind zu kümmern“, er habe Umgangstermine abgeändert oder kurzfristig nicht eingehalten. Irgendwann sei der Sohn der Mutter zufolge bei seinen Aufenthalten
beim Vater insbesondere wegen dessen „Verbalaggression“immer mehr unter Stress geraten, habe gesagt, er fühle sich dort nicht mehr wohl und sie schließlich gebeten, „die Übernachtungen eine Weile auszusetzen“. Inzwischen habe sich das Kind „positiv entwickelt“und sei, seit der Kontakt zum Vater ganz abgebrochen ist, „fröhlicher, ausgeglichener und selbstbewusster“geworden, sagt die Mutter.
Auch in Bezug auf den Unterhalt hat sie eine andere Ansicht als Joachim W.: Ihr Ex-Partner habe den vereinbarten Betrag „um mehr als die Hälfte gekürzt“, dagegen würde sie sich wehren.
Michael Föhrenbach vom Ravensburger Ableger des Vereins Väteraufbruch kennt die Problematik, dass Väter ihre Kinder nicht mehr sehen, nur zu gut. Auch wenn jeder Fall ein wenig anders gelagert sei, bekommt er häufig mit, dass sich die Situation nach einer Trennung zuspitzt. Immer wieder werde das Kind nicht für die Betreuung herausgegeben, um mehr Geld vom Ex-Partner einzufordern, sagt Föhrenbach – und hält das für einen „missbräuchlichen Vorgang, der kaum geahndet wird“. Häufig seien dabei neben den Vätern auch die betroffenen Kinder die Leidtragenden, denn „eine ElternKind-Entfremdung ist ein traumatisierendes Ereignis für alle Betroffenen“. Föhrenbach ist überzeugt: „Kinder brauchen beide Elternteile.“
Bei einem weiteren Vereinsmitglied, das anonym bleiben möchte, hat das am Ende geklappt: Obwohl er die beiden Kinder mitbetreut habe, sei seine Ex-Frau nach der Trennung mit dem Nachwuchs Hunderte Kilometer vom ursprünglichen Wohnort nach Ravensburg gezogen, berichtet der Vater. Er habe zwar im Schussental niemanden gekannt, aber dennoch mit Job, Freunden und Familie in seiner Heimat „alles aufgegeben“– um ebenfalls nach Ravensburg zu gehen. Damit er den Kontakt zu seinen Kindern nicht verliert. Nun verbringen sie jede Woche drei Tage bei ihm. Der Vater ist froh, dass er die Betreuung der Kinder mit seiner Arbeit unter einen Hut bringt. Dass er die gleichen Ausgaben hat, zusätzlich Unterhalt bezahlt, selbst aber kein Kindergeld bekommt – geschenkt. Hauptsache, „ich habe eine gute Bindung zu meinen Kindern bei gleichberechtigter Elternschaft“.
Nicht immer geht es so aus. Das weiß auch der Ravensburger Rechtsanwalt Berthold Traub. Er vertritt aktuell einige Väter, die ähnlich wie Joachim W. ihre Kinder nicht sehen. Traub spricht von einem Skandal: „Der deutsche Staat nimmt es seit Jahrzehnten hin, dass ein Elternteil – meist der Vater – systematisch von den Kindern entfremdet wird.“Das Problem: Nach Meinung des langjährigen Familienrechtlers würden zwar viele Gerichte Vätern letztlich ein Umgangsrecht zusprechen. „In der Realität nützt ihnen das aber oft nichts“, denn: Wenn die Mutter sich nicht daran halte, habe das keine Konsequenzen.Traubs Ansicht nach müsste sich das Gesetz dahin gehend ändern, „dass der Elternteil, der nicht dafür sorgt, dass der Umgang mit dem anderen Elternteil auch wahrgenommen werden kann, gegebenenfalls das Aufenthaltsbestimmungsrecht bezüglich des Kindes verliert“. Außerdem findet der Anwalt, es brauche eine gesetzliche Regelung, die verhindere, dass der betreuende Elternteil mit den Kindern sonstwohin wegzieht. Momentan sähe es freilich so aus, dass „entsorgte Väter in der Politik keine Fürsprecher haben“. Das will der deutschlandweit 4000 Mitglieder starke Verein Väteraufbruch, der in Ravensburg rund 50 Mitstreiter hat, ändern: Man setze sich dafür ein, „die Rechte der Kinder auf beide Elternteile zu stärken und der Gesellschaft den Wert des Vaters ins Bewusstsein zu rufen“, heißt es dazu auf der Homepage. Sei das Familienrecht doch „in den 60er-Jahren stehen geblieben“, wie Föhrenbach erläutert. Heute wollten Männer häufig „viel mehr Zeit“mit ihrem Nachwuchs verbringen.
Darüber hinaus verstehe man sich als Selbsthilfegruppe, die Väter unterstützt, denen der Kontakt zu ihren Kindern verwehrt werde. „Wir fangen die Betroffenen auf, hören zu, machen Mut und stärken sie“, berichtet Föhrenbach. Im Interesse aller werde „ein respektvoller Umgang miteinander angeregt, um möglichst zu vermeiden, dass ein Streit eskaliert“. Zwei- bis dreimal im Monat ist Zeit zum Erfahrungsaustausch bei den Treffen im Weingartener Haus der Familie. Was der 43-Jährige immer wieder mitbekommt: Viele Mütter wollten ihrem Ex nicht mehr begegnen und brächen den Kontakt komplett ab. Die Kinder seien dann mitbetroffen.
Die Ex-Partnerin von Joachim W. hingegen gibt zu bedenken: Häufig werde allzu schnell das Phänomen der „Entfremdung durch die manipulative Mutter“bemüht und dieser die alleinige Schuld zugeschoben. Sie glaubt hingegen, dass „viel häufiger tatsächliche Verhaltensweisen der Eltern die Ursache für gestörte Eltern-Kind-Beziehungen sind“.
Zumindest hätten manche Männer Föhrenbach zufolge nicht gelernt, über ihre Gefühle zu reden, in verträglichem Ton mitzuteilen, was ihnen wichtig ist und gesprächsbereit zu bleiben. Hier unterstützt der Verein ebenfalls. Und rät, selbst wenn tatsächlich unfreiwillig komplette Funkstille zu Sohn oder Tochter herrsche, weiterhin offen zu bleiben – für den Fall, dass das Kind nach Jahren womöglich doch irgendwann wieder beim Vater anklopft. Berthold Traub zumindest sagt, er habe immer wieder erlebt, dass genau das eingetreten sei.