Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Der konsequente Unbeugsame
Journalist Dmitri Muratow widmet Friedensnobelpreis getöteten Kollegen
- Bis gestern wurden vor allem zwei Kandidaten aus der ExSowjetunion für den Friedesnobelpreis gehandelt – die exilierte Belarussin Swetlana Tichanowskaja und Russlands berühmtester politischer Gefangener, Alexei Nawalny. Aber den Zuschlag erhielt der Moskauer Journalist Dmitri Muratow, gemeinsam mit seiner philippinischen Kollegin Maria Ressa.
Muratow, 59, ist Chefredakteur der Oppositionszeitung Nowaja Gaseta, die er 1993 gründete. Und die in den vergangenen sechs Jahren ebenfalls mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. Ihre Reporter lieferten mutige Enthüllungsreportagen aus kriegerischen, aber auch kriminellen Brennpunkten wie Tschetschenien oder dem Donbass. Sechs Redaktionsmitglieder bezahlten das mit dem Leben.
„Die ,Nowaja Gaseta’ veröffentlichte kritische Artikel über Korruption, Polizeigewalt, illegale Festnahmen, Wahlbetrug oder Trollfabriken bis zum Einsatz russischer Soldaten innerhalb und außerhalb Russlands“erklärte die Vorsitzende des Nobelpreiskomitees Berit Reiss-Andersen. „Morden und Drohungen zum Trotz gab Chefredakteur Muratow das Prinzip der Unabhängigkeit nie auf und verteidigte konsequent das Recht der Journalisten, über Themen zu schreiben, die sie selbst auswählen.“
Für Muratow kam es eher unerwartet, den Anruf des Nobelpreiskomitees aus Norwegen beantwortete er zuerst nicht. „Bei mir herrscht Wahnsinn“, freute er sich später gegenüber dem Telegram-Kanal Podjom. „Wir nehmen diese Prämie für den gesamten russischen Journalismus in Empfang, den man jetzt zu unterdrücken versucht.“Man werde den Menschen helfen, die jetzt als „ausländische Agenten“diskriminiert und aus dem Land getrieben würden. Auf dem Redaktionsportal zählte er seine vor fast genau 15 Jahren erschossene Tschetschenien-Reporterin Anna Politkowskaja und fünf andere ermordete russische Journalisten und Menschenrechtler auf. „Diese Leute haben heute den Friedensnobelpreis gewonnen.“
Allerdings wird der Nobelpreis für Muratow in der Redaktion und ganz Moskau auch als politisches Signal gewertet. „Der Nobelpreis stellt einen Schutzpanzer dar“, sagte Alexei Wenediktow, Chefredakteur von Radio Echo Moskwy dem TV-Kanal Dodschd. Er könnte neue Repressalien gegen Muratow, seine Zeitung, aber auch andere Journalisten erschweren.
Der Kreml reagierte jedenfalls höflich. „Er arbeitet konsequent für seine Ideale, lebt für sie, er ist talentiert und mutig“, kommentierte Putin-Sprecher Dmitri Peskow. „Wir gratulieren ihm.“
Pawel Kanygin, leitender OnlineRedakteur und langjähriger UkraineReporter der Nowaja Gaseta, sagte der „Schwäbischen Zeitung“, Muratow habe immer wieder Kollegen in Not gerettet, dabei auch mit der Staatsmacht verhandelt und sie mit Argumenten unter Druck gesetzt. „Er kann sehr scharf werden, auch gegenüber Stärkeren, aber er fühlt genau, wann was geht.“
Der Kollege Muratows weiß dabei, wovon er spricht: Der 59-Jährige befreite ihn 2014 aus den Händen prorussischer Guerilleros im Donbass.