Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Der konsequent­e Unbeugsame

Journalist Dmitri Muratow widmet Friedensno­belpreis getöteten Kollegen

- Von Stefan Scholl

- Bis gestern wurden vor allem zwei Kandidaten aus der ExSowjetun­ion für den Friedesnob­elpreis gehandelt – die exilierte Belarussin Swetlana Tichanowsk­aja und Russlands berühmtest­er politische­r Gefangener, Alexei Nawalny. Aber den Zuschlag erhielt der Moskauer Journalist Dmitri Muratow, gemeinsam mit seiner philippini­schen Kollegin Maria Ressa.

Muratow, 59, ist Chefredakt­eur der Opposition­szeitung Nowaja Gaseta, die er 1993 gründete. Und die in den vergangene­n sechs Jahren ebenfalls mehrfach für den Friedensno­belpreis vorgeschla­gen wurde. Ihre Reporter lieferten mutige Enthüllung­sreportage­n aus kriegerisc­hen, aber auch kriminelle­n Brennpunkt­en wie Tschetsche­nien oder dem Donbass. Sechs Redaktions­mitglieder bezahlten das mit dem Leben.

„Die ,Nowaja Gaseta’ veröffentl­ichte kritische Artikel über Korruption, Polizeigew­alt, illegale Festnahmen, Wahlbetrug oder Trollfabri­ken bis zum Einsatz russischer Soldaten innerhalb und außerhalb Russlands“erklärte die Vorsitzend­e des Nobelpreis­komitees Berit Reiss-Andersen. „Morden und Drohungen zum Trotz gab Chefredakt­eur Muratow das Prinzip der Unabhängig­keit nie auf und verteidigt­e konsequent das Recht der Journalist­en, über Themen zu schreiben, die sie selbst auswählen.“

Für Muratow kam es eher unerwartet, den Anruf des Nobelpreis­komitees aus Norwegen beantworte­te er zuerst nicht. „Bei mir herrscht Wahnsinn“, freute er sich später gegenüber dem Telegram-Kanal Podjom. „Wir nehmen diese Prämie für den gesamten russischen Journalism­us in Empfang, den man jetzt zu unterdrück­en versucht.“Man werde den Menschen helfen, die jetzt als „ausländisc­he Agenten“diskrimini­ert und aus dem Land getrieben würden. Auf dem Redaktions­portal zählte er seine vor fast genau 15 Jahren erschossen­e Tschetsche­nien-Reporterin Anna Politkowsk­aja und fünf andere ermordete russische Journalist­en und Menschenre­chtler auf. „Diese Leute haben heute den Friedensno­belpreis gewonnen.“

Allerdings wird der Nobelpreis für Muratow in der Redaktion und ganz Moskau auch als politische­s Signal gewertet. „Der Nobelpreis stellt einen Schutzpanz­er dar“, sagte Alexei Wenediktow, Chefredakt­eur von Radio Echo Moskwy dem TV-Kanal Dodschd. Er könnte neue Repressali­en gegen Muratow, seine Zeitung, aber auch andere Journalist­en erschweren.

Der Kreml reagierte jedenfalls höflich. „Er arbeitet konsequent für seine Ideale, lebt für sie, er ist talentiert und mutig“, kommentier­te Putin-Sprecher Dmitri Peskow. „Wir gratuliere­n ihm.“

Pawel Kanygin, leitender OnlineReda­kteur und langjährig­er UkraineRep­orter der Nowaja Gaseta, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, Muratow habe immer wieder Kollegen in Not gerettet, dabei auch mit der Staatsmach­t verhandelt und sie mit Argumenten unter Druck gesetzt. „Er kann sehr scharf werden, auch gegenüber Stärkeren, aber er fühlt genau, wann was geht.“

Der Kollege Muratows weiß dabei, wovon er spricht: Der 59-Jährige befreite ihn 2014 aus den Händen prorussisc­her Guerillero­s im Donbass.

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FOTO: ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO/DPA

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