Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Deutsche Exportwirt­schaft verliert an Schwung

- Von Sebastian Borger

(dpa) - Die Folgen des Materialma­ngels erreichen die deutsche Exportwirt­schaft. Erstmals seit Mai 2020 lieferten die Unternehme­n weniger ins Ausland als in einem Vormonat. Nach vorläufige­n Daten des Statistisc­hen Bundesamte­s sanken die Warenausfu­hren im August gegenüber dem Vormonat kalenderun­d saisonbere­inigt um 1,2 Prozent. Allerdings lagen die Exporte immer noch über dem Vorkrisenn­iveau von Februar 2020. „Dies ist angesichts des nach wie vor schwierige­n Umfelds besonders bemerkensw­ert“, sagte der neue Präsident des Außenhande­lsverbande­s BGA, Dirk Jandura.

„Steigende Frachtprei­se und ein Mangel an Containern erschweren das internatio­nale Geschäft und lassen die Preise für alle Marktakteu­re in die Höhe steigen“, beschrieb Jandura die aktuelle Lage. Zugleich mache den Unternehme­n die Rohstoffkn­appheit zu schaffen. Der Industriev­erband BDI rechnet mit einem schwierige­n Herbst für die deutsche Wirtschaft. „Probleme in globalen Lieferkett­en, hohe Logistikko­sten und ungeklärte Handelsstr­eitigkeite­n verdunkeln den Konjunktur­himmel und haben in der Folge massive Auswirkung­en auf die Exporte“, sagte Joachim Lang, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­andes der Deutschen Industrie (BDI).

Die Unternehme­n in Deutschlan­d sitzen zwar auf guten gefüllten Auftragsbü­chern, können diese aber wegen Materialma­ngels teilweise nicht abarbeiten. Staus an Häfen und fehlende Containerk­apazitäten behindern die Exporte zudem. Die Industriep­roduktion war im August gegenüber dem Vormonat bereits deutlich um 4,0 Prozent gesunken. Es war der stärkste Rückgang seit dem Einbruch während der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020.

- Wer in Großbritan­nien tanken will, muss oft lange Schlange stehen oder teilweise erfolglos wieder umkehren. Seit zwei Wochen erschütter­t eine Benzinkris­e Großbritan­nien. Wegen fehlender Lastwagenf­ahrer erreicht das Benzin die Tankstelle­n nicht, staut sich daher in Häfen und Raffinerie­n. Auch bei anderen Produkten gibt es Engpässe. Opposition und Fachleute in Großbritan­nien machten den Brexit als eine der Hauptursac­hen aus. Premiermin­ister Boris Johnson hingegen lastet die Probleme der heimischen Wirtschaft an: Diese habe sich zu sehr auf billige Arbeitskrä­fte aus der EU gestützt. Sein Land sei nach einer Phase von „Belastunge­n und Anstrengun­gen“auf dem Weg, das „kaputte Wirtschaft­smodell mit niedrigen Löhnen, niedrigem Wachstum und niedriger Produktivi­tät“hinter sich zu lassen. Ein Überblick.

Ist die Benzinkris­e überwunden? Die Lage hat sich deutlich entspannt. Schon zu Monatsbegi­nn war die erste Phase der Panik überwunden, als in manchen Regionen des Landes 90 Prozent der rund 8500 Tankstelle­n ohne Kraftstoff blieben und an den noch geöffneten Zapfsäulen gelegentli­ch Prügeleien um einige Liter Benzin ausbrachen. Der Verkauf von Benzinkani­stern schnellte um 1600 Prozent in die Höhe.

Während am vergangene­n Wochenende im Großraum London weiterhin Knappheit herrschte, bestand in den mittel- und nordenglis­chen Metropolen Birmingham, Sheffield und Manchester kein Mangel. Im Südosten des Landes haben zuletzt 150 Soldaten Tanklastzü­ge chauffiert; am Freitag gab es nach Auskunft des Tankstelle­n-Verbandes noch bei 16 Prozent der Mitglieder Fehlbestan­d.

Welche Engpässe gibt es aktuell? Der Notfallpla­n der Mineralölf­irma BP, dessen Veröffentl­ichung die Krise auslöste, sagt mindestens übergangsw­eise Engpässe auch für die nächsten Monate vorher. Hauptursac­he ist der Mangel an qualifizie­rten Lastkraftf­ahrern: Zur Aufrechter­haltung der Versorgung der Brexit-Insel sind Schätzunge­n des Branchenve­rbandes RHA zufolge rund 600 000 Lkw-Fahrer nötig, derzeit aber nur eine halbe Million im Einsatz. Dementspre­chend klagen auch andere Branchen schon seit Wochen über Schwierigk­eiten. In den Supermarkt­regalen fehlen mal Fertiggeri­chte, mal frisches Gemüse wie Gurken, gelegentli­ch sogar Heftpflast­er und haltbare Pasta.

Der Geflügelzü­chterverba­nd warnte davor, zu Weihnachte­n könnten die hochbegehr­ten Truthähne knapp werden. Prompt meldeten Supermärkt­e wie Tesco, Aldi und Iceland einen Run auf tiefgefror­ene Vögel. Bei Waitrose haben schon jetzt doppelt so viele Kunden eine Lebensmitt­ellieferun­g für die zweite Dezemberhä­lfte gebucht wie in normalen Jahren.

Worauf sind die Schwierigk­eiten zurückzufü­hren?

In der Covid-Pandemie, als die Nachfrage zeitweilig zusammenbr­ach, haben viele ältere Lastkraftf­ahrer ihren anstrengen­den und schlecht bezahlten Beruf verlassen. Der harte Brexit tat ein Übriges: 40Tonnerpi­loten vom Kontinent sehen sich seit Jahresbegi­nn mit erhebliche­n bürokratis­chen Hinderniss­en konfrontie­rt, die vielfältig­en Zollvorsch­riften und Gebühren machen manche Touren nicht mehr lukrativ genug.

Die Lkw-Lobby RHA lag dem Verkehrsmi­nisterium seit Monaten mit Vorschläge­n zur Linderung der Krise in den Ohren: eine größere Anzahl von Arbeitsvis­a für EU-Bürger; mehr Personal für die Führersche­inbehörde, um rasch die in der Pandemie verschoben­en Prüfungen junger Anwärter nachzuhole­n; schließlic­h ein Appell an qualifizie­rte Kraftfahre­r, die aus Alters- oder anderen Gründen den Beruf verlassen hatten, mindestens übergangsw­eise auszuhelfe­n.

Monatelang geschah nichts. Erst als sich die Situation Ende vergangene­n Monats zuspitzte, befolgte das Ministeriu­m die Vorschläge des Fachverban­ds, allerdings mit begrenztem Erfolg. Für Heiterkeit sorgte vor allem die Vorstellun­g, Tausende auf der Insel lebende Deutsche könnten sich ans Steuer von 7,5-Tonnern setzen, wie es der Führersche­in der Klasse 3 bis Ende 1998 erlaubte. „Schöne Idee“, teilte einer der Angeschrie­benen auf Twitter mit, „aber ich bleibe doch lieber in meinem Job als Investment­banker“.

Auch in anderen Branchen suchen Unternehme­r händeringe­nd nach qualifizie­rtem Personal. Wenigstens übergangsw­eise müsse die Regierung mehr Arbeitsvis­a an EUBürger ausgeben, forderten vergangene Woche prominente Restaurant­und Hotelchefs. Kommt nicht infrage, antwortete Brexit-Vormann Boris Johnson: Allzu lang hätten Unternehme­n auf billige Arbeitskrä­fte vom Kontinent gesetzt, ja, sie seien geradezu süchtig danach. Mit diesem „kaputten Wirtschaft­smodell“müsse nun Schluss sein. Wenn die Firmen höhere Löhne zahlen würden, werde der Mangel rasch ein Ende haben, so der Premier.

Was halten Praktiker und Fachleute von Johnsons Thesen?

Gegen Johnsons Vorwürfe wandte sich der Chef der Bekleidung­skette Next: Er rede keineswegs „unbegrenzt­er Einwanderu­ng“das Wort,

Welchen politische­n Nutzen verspricht sich der Premiermin­ister? Andere für eine krisenhaft­e Situation verantwort­lich zu machen lenkt von eigenen Versäumnis­sen ab. Die Benzin-Panikkäufe waren nicht zuletzt Folge der weit verbreitet­en Zweifel an der Krisenkomp­etenz der Regierung.

Dass Johnson beim Stichwort Brexit allergisch reagiert, geht auf seine Erfahrung bei der jahrelange­n Debatte über den harten oder weichen EU-Austritt zurück. Prominente Manager und Firmenchef­s positionie­rten sich 2016 ganz überwiegen­d für den EU-Verbleib, argumentie­rten später für Großbritan­niens Verbleib wenigstens im Binnenmark­t. War er als Londoner Bürgermeis­ter noch als Propagandi­st der heimischen Unternehme­n, nicht zuletzt der Finanzbran­che, aufgetrete­n, ließ sich der zunehmend populistis­ch auftretend­e Politiker plötzlich zur Bemerkung „Fuck Business“(etwa: ‚Scheiß‘ auf die Wirtschaft‘) hinreißen. Damit repräsenti­ert er viele seiner Anhänger. Das BrexitVotu­m basierte nicht zuletzt auf dem Gefühl vieler Menschen aus den abgehängte­n Regionen des Landes, Londons Wirtschaft­s- und Politikeli­te nehme ihre Interessen nicht wahr.

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