Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Weihnachten naht schneller als gedacht
Materialengpässe stellen Spielehersteller vor Probleme – Unternehmen raten Eltern zum frühzeitigen Geschenkekauf
- Die Stacheln am Kopf des Giganotosaurus schimmern schwarz. Die Braue über den Augen zieht sich bis zu den Nasenlöchern, färbt sich lila und verstärkt das gruselige Fletschen der Zähne. 18 Zentimeter ist die beliebte Saurierfigur des schwäbischen Spielwarenherstellers Schleich hoch. Doch bevor sich die Kunststoffe, aus denen das Unternehmen aus Schwäbisch Hall seine Produkte herstellt, zu einem urzeitlichen Tier verformen, bestehen sie aus unscheinbaren kleinen Körnchen, mal ockerfarben, mal weiß, mal grau. Doch das Kunststoffgranulat, Ausgangsstoff für Hängebauchschweine, Elfen und Trakehnerpferde wird in diesem Jahr ausgerechnet vor dem Weihnachtsfest knapp. „Durch die global extrem angespannte Logistikund Rohstoff-Situation wird es in den kommenden Wochen und Monaten voraussichtlich auch bei Schleich zu Lieferverzögerungen an den Handel kommen“, antwortet Geschäftsführer Dirk Engehausen auf eine Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Die Situation macht nicht nur dem Figurenhersteller aus Schwäbisch Gmünd zu schaffen. „Rohstoffmangel, Lieferengpässe bei Vorprodukten und die Explosion der Containerfrachtpreise belasten die gesamte Spielwarenbranche“, sagt Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie (DVSI). Neben Kunststoff seien vor allem elektronische Bauteile oder Papier
in der Druckindustrie knapp, „was für viele Spiele-Verlage ein echtes Problem darstellt“.
Einer davon ist der oberschwäbische Spiele- und Puzzlehersteller Ravensburger: „Wir rechnen bei einzelnen Produkten mit Verzögerungen oder können nur kleinere Chargen davon ausliefern“, sagt Sprecher Heinrich Hüntelmann. „Wenn nur eine elektronische Komponente erst später eintrifft, verschiebt sich die Fertigung des betreffenden Produkts.“
Was also sollen Eltern tun, dass sie das gewünschte Spielzeug ihrer Kinder auch bekommen? Schleich, Ravensburger und der DSVI raten dazu, sich in diesem Jahr frühzeitig mit den Wunschlisten der Kleinsten zu beschäftigen. „Insgesamt hoffen wir, unsere Kunden zum Weihnachtsgeschäft in Europa noch gut bedienen zu können. Konsumenten sind jedoch sicherlich gut beraten, wenn sie sich dieses Jahr etwas früher mit Weihnachten befassen“, sagt Hüntelmann weiter.
Die Vorbereitungen bei den Herstellern für das Weihnachtsfest laufen bereits auf Hochtouren, um der speziellen Situation gerecht zu werden. „In unserem zentralen Warehouse für Europa, das auch das weltweite Verteilzentrum für unsere Produkte ist, arbeiten wir vor Weihnachten im Drei-Schicht-Betrieb“, sagt Schleich-Chef Engehausen. Wegen der steigenden Nachfrage erweitert sein Unternehmen bis 2022 das Verteilzentrum um 7000 Quadratmeter. Zusätzlich plane Schleich die Produktion an den europäischen Standorten in Deutschland, Rumänien und Portugal hochzufahren und mit neuen Lieferanten die Kapazität zu erhöhen. „Für die Wunschlisten zu Weihnachten 2021 werden diese langfristigen Maßnahmen teilweise greifen“, sagt Engehausen.
Auf den Kinder-Wunschlisten stehen Spielwaren weit oben. Laut Zahlen der Wirtschaftsprüfgesellschaft EY lagen sie auf Platz vier der häufigsten Geschenke 2020. Der Umfrage zufolge kennen sich die Erwachsenen bereits mit frühzeitigem Weihnachtsshopping aus: 53 Prozent haben ihre Geschenke vergangenes Jahr angesichts des drohenden Lockdowns bereits im Oktober und November gekauft. 2019 gab die Mehrheit der Erwachsenen noch an, im
Dezember die Weihnachtsgeschenke besorgt zu haben.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) teilt die Befürchtungen der Spielehersteller nicht. „Mit Blick auf das bevorstehende Weihnachtsgeschäft besteht kein Grund zur Sorge“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Angst vor leeren Regalen müsse niemand haben.
Die Vorweihnachtszeit ist nicht nur für Geschenkkäufer die Hochzeit im Jahr – auch der Einzelhandel macht in dieser Zeit seine größten Umsätze. In den vergangenen Jahren waren es rund 100 Milliarden Euro an Umsatz, der in den Monaten November und Dezember in den Kassen landete, ob hinter der Ladentheke oder via Online-Bestellung.
Last-Minute-Eltern sollten aus Sicht von DVSI-Chef Brobeil dieses Jahr jedoch nicht auf Amazon, Ebay und Co. bauen. „Dass es Online-Anbieter drei Tage vor Heiligabend noch richten werden, dürfte eine riskante Strategie sein.“Schließlich kämpfen auch die Digitalhändler mit angespannten Lieferketten – und mit Gutscheinen lässt es sich unterm Christbaum schlecht spielen.