Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Dunkles Kapitel der Nachkriegsjahre
Miriam Gebhardt hält Vortrag über vergewaltigte Frauen – Folgeerscheinungen sind Depressionen
- Ein zutiefst schmerzvolles und bislang wenig beachtetes Kapitel der Nachkriegsjahre hat Miriam Gebhardt am Mittwochabend im Foyer der Stadthalle aufgegriffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mit all seinem unsäglichen Leid sahen sich Frauen und Mädchen einer neuen Gefahr ausgesetzt: der brutalen sexuellen Gewalt von Soldaten, die als Befreier ins Land kamen und Hunderttausende schwerst traumatisiert zurückgelassen haben.
„Sorgen Sie heute Abend gut für sich und gehen Sie notfalls auch mal raus“, sagt die Historikerin und Publizistin gleich zu Beginn der Veranstaltung. Miriam Gebhardt weiß aus Erfahrung, dass im Publikum möglicherweise auch Frauen sitzen, die derartige Martyrien in den Nachkriegsjahren selbst erlebt haben. Aber auch für alle anderen sind die Ausführungen an manchen Stellen nur schwer zu ertragen. Die Professorin an der Universität Konstanz schildert im Laufe des Abends Schicksale, die in ihrem Buch „Als die Soldaten kamen“nachzulesen sind. Etwa die Geschichte der kleinen Anna, damals gerade zwölf Jahre alt. Sie wurde von mehreren Soldaten in einem Keller schwerst vergewaltigt, nachdem ihr zuvor der Mund mit schmutzigen Lappen zugestopft worden war.
Eine weitere Aufzeichnung handelt von einer Frau – ebenfalls Opfer einer Gruppenvergewaltigung –, die danach ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sich dort „schwierig verhalten“hat und deshalb in die Psychiatrie gebracht wurde. Nächtliche
Schreie, die nicht enden wollten, waren Anlass für weitere Einweisungen. In sogenannten Erziehungs- und Besserungsanstalten fielen laut Aufzeichnungen Mädchen auf, die als „sexuell verwahrlost“galten. Nach den Gründen braucht man nicht lange zu suchen.
Miriam Gebhardt weiß aus unzähligen Gesprächen, dass merkwürdiges Verhalten von alten Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen vielfach auf sexuelle Gewalterfahrungen zurückzuführen ist. Etwa, wenn sie sich nicht waschen lassen wollen oder in Angstzustände
verfallen, wenn sie fremde Sprachen hören. Schwere Depressionen sind ebenso mögliche Folgeerscheinungen wie die Unfähigkeit, feste Bindungen einzugehen. Miriam Gebhardt räumt an diesem Abend auf mit dem Irrglauben, dass es ausschließlich Sowjetsoldaten waren, die derartige Gräueltaten verübt haben. „Das wurde und wird in den Medien sehr einseitig geschildert“, sagt sie. Von den Amerikanern, Franzosen und anderen Besatzungssoldaten seien diese Gewalttaten genauso verübt worden. Auch sie seien über Frauen und
Mädchen – und teils auch Jungen und Männer – ungeachtet deren Alters oder Standeszugehörigkeit hergefallen, am hellichten Tag, auf offener Straße, vor deren Eltern und Familien. Es gab Väter, die ihre Töchter erschossen haben, um sie vor den Gräueltaten der herannahenden Soldaten zu bewahren. „Es war ein massenhaftes Phänomen und das größte Ereignis dieser Art in der Geschichte“, so Gebhardt.
Zu den hochtraumatischen Erlebnissen kam hinzu, dass vielen Betroffenen nicht geglaubt wurde. Oder diese gar als Flittchen bezeichnet wurden, die alles selbst verschuldet hätten. „Ehrenwerten Frauen“mit entsprechendem familiären Hintergrund wurde wohl eher geglaubt als anderen aus weniger angesehenen gesellschaftlichen Schichten. „Wer von Sowjetsoldaten oder Schwarzen vergewaltigt wurde, denen hat man eher geglaubt, weil man sich ja freiwillig diesen Männern nie hingegeben hätte“, so die Referentin, die weitere Themen aufgreift wie etwa Kinder, die bei Vergewaltigungen gezeugt wurden, oder das meist erfolglose Bemühen von Opfern um finanzielle Unterstützung. Thematisiert werden auch Erklärungsversuche hinsichtlich der Ursachen von Vergewaltigungen im Krieg. „Ich glaube nicht, dass es in Bad Saulgau anders war als in anderen Städten“, antwortet Miriam Gebhardt auf die Frage eines Besuchers nach etwaigen Vorkommnissen in Saulgau bei der abschließenden Diskussionsrunde.
Beate Rimmele, langjährige zweite Vorsitzende des Kreiskulturforums, hat diesen Abend im Rahmen des Kulturschwerpunkts „Erinnern – 75 Jahre Kriegsende“organisiert. „Einfach weil es mir wichtig war, diesen Frauen eine Stimme zu geben“. Die Referentin habe eine „Pionierleistung“erbracht und es geschafft, für dieses Thema zu sensibiliseren. „Formen des Erinnerns müssen immer neu verhandelt und definiert werden“, sagt Kreisarchivdirektor Edwin Ernst Weber in seinem Grußwort.
In diesem Kontext stellt sich auch die Frage nach der Form der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Nachkriegsgeschichte. Denn die steht noch weitestgehend aus.