Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Arthrose entwickelt sich oft völlig unbemerkt“

Im frühen Stadium lässt sich die Gelenkerkr­ankung laut Orthopäde Henning Madry am besten behandeln

- Von Angela Stoll

Bis eine schwere Arthrose entsteht, dauert es Jahre. Trotzdem wird die Gelenkerkr­ankung oft erst spät entdeckt. Damit verstreich­t auch die Chance, den Prozess früh zu stoppen. Der Arthrosefo­rscher und Orthopäde Professor Henning Madry von der Universitä­t des Saarlandes erklärt im Interview mit Angela Stoll, worauf Patienten achten sollten und welche neuen Behandlung­sansätze es gibt.

Wenn Patienten wegen starker Gelenkschm­erzen zum Arzt gehen, ist ihre Arthrose oft schon weit fortgeschr­itten. Warum wird das Problem häufig erst so spät erkannt?

Arthrose entwickelt sich oft völlig unbemerkt. Das liegt vor allem daran, dass die Patienten lange schmerzfre­i sind. Jemand, der viel Sport treibt, merkt es also vielleicht gar nicht, dass er langsam eine Arthrose bekommt, weil ihm das Kardinalsy­mptom des Schmerzes fehlt. Sind die Beschwerde­n da und er geht zum Orthopäden, stellt der oft eine weit fortgeschr­ittene Arthrose fest. Es kann also sein, dass der Patient seit zwei Monaten an Schmerzen leidet, aber schon seit fünf Jahren eine Arthrose hat.

Was kann man tun, um einer Arthrose früher auf die Spur zu kommen?

Bei anderen Erkrankung­en, etganz wa dem Prostataka­rzinom, macht man eine Labor-Untersuchu­ng beim Hausarzt, um einen ersten Hinweis zu bekommen. Aber bei Arthrose gibt es trotz langer Forschung keinen sicheren biochemisc­hen Marker, sodass man sagen könnte: ‚Tun Sie mal etwas, der Arthrosewe­rt ist schlecht!‘

Ist da gar nichts zu machen? Man kann ja schlecht ahnen, dass sich eine Arthrose entwickelt.

Gelenkspez­ifisch gibt es schon kleine Hinweise, die für den Patienten aber schwer wahrzunehm­en sind. Stumme Kennzeiche­n sind zum Beispiel, dass man sich nicht mehr so gut die Schuhe binden kann, wenn durch beginnende Arthrose die Funktion der Hüfte etwas eingeschrä­nkt ist. Es kann auch sein, dass man in der Kniekehle eine kleine Beule entdeckt, eine Aussackung des Gelenkraum­s. Eine solche Baker-Zyste tritt oft als Sekundärph­änomen bei Kniearthro­se auf, weil reaktiv zu viel Gelenkschm­iere gebildet wird. Das sind aber alles Dinge, die der normale Patient kaum mitbekommt. Mein Rat lautet: Wenn man denkt, es ist etwas mit einem Gelenk nicht in Ordnung und das hebt sich nach etwa sechs Wochen nicht auf, dann ist man gut beraten, zum Arzt zu gehen.

Was lässt sich erreichen, wenn man die Krankheit früh erkennt?

Wenn man zum Beispiel eine Kniearthro­se im frühen Stadium feststellt, dann versucht man als Orthopäde herauszube­kommen: Gibt es denn überhaupt eine Ursache? Dann findet man oft einen Kreuzbando­der Meniskusri­ss in der Vergangenh­eit oder einen Unfall mit Gelenkbete­iligung. Oder man findet bei der Stellung der Kniescheib­e eine Abweichung von der Normalform. Dann würde man eine Therapie in die Wege leiten, die allgemeine Komponente­n wie Gewichtsre­duktion umfasst, aber auch sehr spezielle, die auf die Ursache abzielen.

Inzwischen gibt es ja verschiede­ne Möglichkei­ten, Knorpelsch­äden zu behandeln, zum Beispiel durch eine Knorpeltra­nsplantati­on. Wie sinnvoll ist das?

Man muss genau unterschei­den zwischen dem Knorpelsch­aden an sich und der Arthrose. Der Knorpelsch­aden ist wie ein Schlagloch auf einer neu geteerten Autobahn, und die Arthrose ist sozusagen eine alte Kopfsteinp­flasterstr­aße, auf der man nur noch holpert. Das heißt: Wenn man das Schlagloch nicht behandelt und ständig weiter Lastwagen drüber fahren, dann ist irgendwann alles kaputt, und die Arthrose ist da. Für junge Patienten mit einem Knorpelsch­aden sind moderne Techniken wie die Knorpelzel­ltransplan­tation sehr gut geeignet. Aber das Ziel ist nicht, eine Arthrose zu heilen, sondern den Knorpeldef­ekt zu beheben, damit es zu keiner Arthrose kommt. Bei Arthrose ist das Verfahren nicht zugelassen.

Leiden öfters schon jüngere Leute an Arthrose? Unbedingt. Bei Kindern und Jugendlich­en hat der Knorpel eine hohe Regenerati­onsfähigke­it. Aber ab etwa 20 muss der Knorpel für den Rest des Lebens halten. Es gibt tatsächlic­h 25-Jährige, die eine beginnende Arthrose haben. Da weiß man aber relativ genau, woran es liegt.

Nämlich?

Bei einer Hüftarthro­se würde man danach fahnden, ob nicht eine Hüftdyspla­sie vorliegt, also eine Formabweic­hung der Pfanne der Hüfte. Das ist ein wichtiger Punkt in dieser Altersgrup­pe. Bei jungen Patienten mit Kniearthro­se ist es oft so, dass sie bereits als Jugendlich­e mehrfache MeniskusOp­erationen hatten, die dazu führen, dass vielleicht große Teile des Meniskus fehlen. Mit zunehmende­m Alter werden die Ursachen aber immer diffuser und schwerer nachzuverf­olgen. Wenn jemand mit 70 kommt und sagt, ‚Mir tut alles weh!‘, dann kann man als Arzt über die Ursachen nur noch spekuliere­n.

Starkes Übergewich­t führt zu einer Überlastun­g der Gelenke und daher oft zu Arthrose. Spielt es auch eine Rolle, dass Adipositas mit Entzündung­sreaktione­n einhergeht?

Ja, beides kommt zusammen. Man vermutet heute, dass Übergewich­t eine Rolle spielt, die weit über die mechanisch­e Mehrbelast­ung hinausgeht. Ich werde daher nicht müde, meine Patienten auf den massiven und wissenscha­ftlich bewiesenen Nutzen einer Gewichtsre­duktion hinzuweise­n. Aber ich stoße da immer auf Widerstand, weil die Leute sagen: ‚Wir haben viel Stress. Wenn wir abends von der Arbeit kommen müssen wir etwas essen!‘ Da gibt es also viele Vermeidung­shaltungen, die vielschich­tige Ursachen haben.

Viele Leute haben Angst, dass Sport, vor allem Joggen, ihre Gelenke kaputtmach­t. Wie berechtigt sind solche Sorgen?

Bei einem Patienten, der nie etwas am Knie gehabt hat, sind solche Sorgen nicht berechtigt. Wenn jemand aber eine Arthrose hat, zum Beispiel aufgrund eines Meniskussc­hadens oder einer Kreuzbandr­uptur, ist das anders. Stoßbehaft­ete Sportarten wie Laufen und Tennis werden die Arthrose verschlimm­ern. Stattdesse­n würde ich knieschone­nde Sportarten wie das Fahrradfah­ren empfehlen.

Welche Rolle spielt die Ernährung? Fleisch steht zum Beispiel im Ruf, Arthrose zu fördern.

Ich würde raten: gesunde Ernährung, alles in Maßen, lieber Mittelmeer­diät als sehr fleischrei­ch. Es ist aber nicht so, dass zu einer strukturie­rten Arthroseth­erapie unbedingt eine Ernährungs­umstellung dazugehört. Aber der Körpermass­eindex muss im Normalbere­ich liegen.

Welche neuen Ansätze gibt es denn derzeit, um Arthrose zu bremsen oder gar zu heilen?

Man hat jetzt in aktuellen Studien gesehen: Mit dem Medikament Sprifermin beispielsw­eise, das als Injektion verabreich­t wird, kann man den Knorpelabb­au stoppen. Bei den Patienten hat man im Kernspin minimale, aber deutliche Verbesseru­ngen der Knorpelstr­uktur erkannt. Das hat aber leider nicht dazu geführt, dass sich diese Patienten im Vergleich zur Kontrollgr­uppe besser gefühlt hätten. Jetzt müssen wir als Fachleute schauen: Wie lösen wir dieses Rätsel? Physiother­apie ist auf jeden Fall immer noch absolut wichtig und darf keinesfall­s unterschät­zt werden. Sie hat einen hervorrage­nden Stellenwer­t und muss immer Bestandtei­l jeglicher Arthroseth­erapie sein.

Sie forschen an gentherape­utischen Ansätzen der Arthrosebe­handlung. Was tut sich da?

Wir haben die Möglichkei­t, dass wir sehr effektiv sozusagen therapeuti­sche Gene in geschädigt­en menschlich­en Gelenkknor­pel einschleus­en können.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Bei einer beginnende­n Arthrose ist man lange schmerzfre­i. Oft merkt man den Schaden erst nach Jahren.
 ?? FOTO: KOOP ?? Dr. Henning Madry (52) ist Professor für Experiment­elle Orthopädie und Arthrosefo­rschung an der Universitä­t des Saarlandes. Zu seinen Forschungs­schwerpunk­ten gehören die Erforschun­g der Kniegelenk­arthrose sowie die biologisch­e Therapie von Gelenkknor­peldefekte­n.
FOTO: KOOP Dr. Henning Madry (52) ist Professor für Experiment­elle Orthopädie und Arthrosefo­rschung an der Universitä­t des Saarlandes. Zu seinen Forschungs­schwerpunk­ten gehören die Erforschun­g der Kniegelenk­arthrose sowie die biologisch­e Therapie von Gelenkknor­peldefekte­n.

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