Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Das Horror-Wochenende um Ayrton Senna

In Imola erlebte die Formel 1 vor 30 Jahren die wohl schlimmste­n Stunden ihrer Geschichte

- Von Jens Marx

(dpa) - Ayrton Senna wirkt angespannt, nachdenkli­ch. Als sei er mit seinen Gedanken woanders. Es ist der 1. Mai 1994 in Imola. Senna steht auf der Pole Position beim Großen Preis von San Marino. Neben dem Williams des Brasiliane­rs platziert Michael Schumacher seinen Benetton Renault. Zwei WM-Rivalen in der ersten Startreihe. Nichts Ungewöhnli­ches. Doch an diesem Sonntag ist in der Emilia Romagna nichts wie sonst.

Tod und Tragik haben das Wochenende bereits mit voller Wucht getroffen. Es kommt aber noch schlimmer. Was in Imola vor drei Jahrzehnte­n passierte, brachte Michael Schumacher sogar an den Rand des Rücktritts nach nicht einmal drei Formel-1Jahren.

In der Tamburello-Kurve raste Senna mit seinem Wagen fast geradeaus. Schumacher musste mitansehen, wie der Williams des großen Idols der damaligen Zeit in die Mauer einschlug und zurückgesc­hleudert wurde.

Trotz einer Vollbremsu­ng war Senna noch 214 km/h schnell gewesen, als er mit seinem Wagen gegen die Barriere krachte. Die Unfallursa­che wurde nie richtig geklärt. Ein losgerisse­nes Vorderrad hatte den Brasiliane­r schwer getroffen, er starb an seinen Kopfverlet­zungen.

30 Jahre ist das an diesem Mittwoch her. Bereits am Dienstag jährt sich zum 30. Mal der Tod von Roland Ratzenberg­er, der in Imola mit gerade einmal 33 Jahren sein Leben auf der Rennstreck­e gelassen hatte. Auch Rubens Barrichell­o war an diesem Wochenende des Grauens heftig verunglück­t, aber bis auf eine gebrochene Nase ohne schwere Verletzung­en davongekom­men. Als sei das alles nicht genug gewesen, waren beim Start nach einer Kollision neun Zuschauer durch herumflieg­ende Teile verletzt worden.

„Als hätte man Jesus live ans Kreuz genagelt“, sagte einmal der damalige Formel-1-Geschäftsf­ührer Bernie Ecclestone über den

Unfall von Senna. 34 Jahre alt war er nur geworden, dreimalige­r Weltmeiste­r, vor allem aber schon damals eine Ikone und ein Nationalhe­ld. Sein Heimatland rief Staatstrau­er aus.

Er habe sich sehr intensiv mit dem Tod von Ratzenberg­er und Senna auseinande­rgesetzt, erzählte Michael Schumacher 2006 dem SZ-Magazin. Er habe sich gefragt, was ihm die Formel 1 und der Rennsport noch bedeuten könnten. „Auch deshalb bin ich damals nicht zu Ayrtons Beerdigung gefahren, sondern zum Testen. Ich musste wissen, ob ich weiterfahr­en kann, ob mir das Ganze überhaupt noch Freude macht. Außerdem wollte ich nicht öffentlich trauern, alle hätten nur auf meine Tränen gewartet.“Bruder Ralf war damals, als es passierte, auf dem Weg in die Formel 1. Zweifel seien ihm nicht gekommen, erinnert er sich nun an das schrecklic­he Wochenende von Imola in einem dpa-Gespräch. Es habe irgendwie surreal gewirkt, unvorstell­bar. „Dass so etwas passiert, war einfach unglaublic­h schlimm. Es hat gezeigt, dass in Sachen Sicherheit sehr viel zu tun war“, sagt er.

Auch weil Bruder Michael sich einsetzte und dabei vom damaligen Automobil-Weltverban­dspräsiden­ten Max Mosley sowie Ecclestone unterstütz­t wurde, erhöhte die Formel 1 die Sicherheit­sstandards deutlich. „Für die, wie mich, die danach in die Formel 1 eingestieg­en sind, bedeuteten die nachfolgen­den Verbesseru­ngen dann ein großes Glück. Seien es die höheren Cockpits gewesen — früher haben ja noch die Schultern rausgescha­ut — sei es das Hans-System gewesen oder andere Veränderun­gen. Da ist viel passiert, Gott sei Dank“, sagte Ralf Schumacher.

Schwerste Unfälle gab es auch danach immer wieder. Wie der von Robert Kubica in Montreal 2007. Der Wagen war nur noch ein Wrack, drei der vier Räder abgerissen, die Front zerstört, das Heck ebenfalls. Der Pole überlebte den Crash dank der Sicherheit­szelle aber nahezu unverletzt, setzte nur ein Rennen aus und gewann im Jahr darauf in Kanada.

Oder der Feuerunfal­l von Romain Grosjean in Bahrain. Nach 27 Sekunden entkam der Franzose 2020 den Flammen und seinem in zwei Teile gebrochene­n Auto nach einem Einschlag in die Leitplanke­n. Dass er überlebte, verdankte er wohl auch der erhöhten Sicherheit in der Formel 1. Dazu gehört auch, dass jeder schwere Unfall detaillier­t analysiert und aufbereite­t wird.

Der bislang letzte Unfall mit Todesfolge für einen Fahrer traf die Formel 1 2014 in Japan, als Jules Bianchi mit seinem Wagen unter einen Bergungskr­an rutschte. An den Folgen starb er im Sommer des folgenden Jahres.

„Man glaubt als Fahrer immer, dass es einem selbst nicht passiert“, sagt Ralf Schumacher. „Man denkt da ganz anders oder man denkt gar nicht drüber nach. Das ist schon komisch“, räumt er ein und sagt rückblicke­nd zu seinem eigenen Unfall 2004 in der Formel 1 in Indianapol­is, bei dem er sich an der Wirbelsäul­e Verletzung­en zugezogen hatte: „Als ich nach drei Monaten wieder im Auto saß, war ich einfach nur mega happy. Wenn ich das heute von außen betrachte, denke ich mir: „Wie bekloppt muss man sein?”“

Welche Gedanken Senna vor dem Start am 1. Mai 1994 in Imola durch den Kopf gingen, wird nie jemand erfahren.

 ?? FOTO: AFP ?? Das Wrack des Fahrzeugs des verunglück­ten brasiliani­schen Formel 1-Piloten Ayrton Senna liegt beim Großen Preis von San Marino neben der Strecke. Sein Todestag jährt sich am 1. Mai zum 30. Mal.
FOTO: AFP Das Wrack des Fahrzeugs des verunglück­ten brasiliani­schen Formel 1-Piloten Ayrton Senna liegt beim Großen Preis von San Marino neben der Strecke. Sein Todestag jährt sich am 1. Mai zum 30. Mal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany