Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wette auf den Tod

Sergej W., ein Elektriker aus Freudensta­dt, spekuliert­e mit Aktien von Borussia Dortmund – Der Anschlag sollte ihm Millionen einbringen

- Von Marcus Bark

Am Ostermonta­g klingelte das Telefon. Er sei ja häufiger Gast im Mannschaft­shotel von Borussia Dortmund, sagte ein Ermittler. Auch als der Verein am 8. März in der Champions League gegen Benfica Lissabon gespielt habe, sei er im l’Arrivée gewesen. Ob ihm da etwas Verdächtig­es aufgefalle­n sei? Etwas, was anders war als sonst? Jemand, der sich merkwürdig benommen habe? Der Hotelgast verneinte. Das hatte er auch schon am 11. April getan, an dem Abend, als vor dem Hotel drei Sprengsätz­e explodiert waren und er direkt nach der Rückkehr aus dem Stadion befragt worden war. Die Partie gegen AS Monaco war abgesagt worden. Seit gestern kann sich der Hotelgast einen Reim auf all die Fragen machen.

Vermutlich war es Sergej W., der schon im März auskundsch­aftete, wie das so abläuft, wenn die Profifußba­ller des BVB zu einem Heimspiel in der Champions League fahren. Vermutlich war es Sergej W. aus Freudensta­dt im Schwarzwal­d, der die Bomben aus seinem Hotelzimme­r im Dachgescho­ss zündete. Von dort sah er die Straße ein, die vom Hotelparkp­latz wegführt. Die drei Bomben sollten wahrschein­lich töten, um Geld zu verdienen, viel Geld.

Eine Woche beschattet

Gestern in der Früh nahmen Beamte der Spezialein­heit GSG 9 den 28-Jährigen, der neben einem deutschen auch einen russischen Pass hat, in Rottenburg auf dessen Weg zur Arbeit als Elektriker in einem Heizwerk in Tübingen vorläufig fest. Ihm werden versuchter Mord, Herbeiführ­ung einer Sprengstof­fexplosion und gefährlich­e Körperverl­etzung vorgeworfe­n. Ein Polizist und Marc Bartra, der Verteidige­r des BVB, waren bei dem Anschlag verletzt worden.

Gestern Nachmittag wurde der Beschuldig­te dem Ermittlung­srichter am Bundesgeri­chtshof vorgeführt, der über einen Haftbefehl zu entscheide­n hatte. Es gebe „keine Anhaltspun­kte für Gehilfen oder Mittäter“, sagte Frauke Köhler als Sprecherin der Bundesanwa­ltschaft.

Drei textgleich­e Bekennersc­hreiben waren schnell am Tatort gefunden worden. Sie sollten den Verdacht nahelegen, es handele sich um islamistis­ch motivierte­n Terror. Doch etwas an diesen Schreiben passte nicht zu den sonstigen Bekennersc­hreiben islamistis­cher Attentäter. Die rechte Szene? Die eigenen Fans? Es gab wilde Spekulatio­nen und krude Theorien. Die Ermittler waren schnell auf der Fährte, die nun zur Festnahme führte. Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“wurde Sergej W. mindestens seit Karfreitag andauernd überwacht, sein Telefon wurde seitdem abgehört. Auf die Spur geführt hatten die Behörden auch Hinweise der Bank, über die W. seine Aktienspek­ulationen getätigt hatte.

Die Bundesanwa­ltschaft nannte gestern Einzelheit­en eines Kriminalfa­lls, der zu den spektakulä­rsten in der jüngeren deutschen Geschichte zählt.

„Widerwärti­ge Tat“

Sergej W. hatte schon Mitte März das Zimmer in dem Dortmunder Hotel gebucht. Zwei Tage vor dem Anschlag zog er ein. Ein paar Stunden vor dem geplanten Anstoß des Spiels kaufte er sich über den Server des Hotels im elektronis­chen Handel 15 000 Optionssch­eine – von der IPAdresse des Hotels aus. Sein wohl größter Fehler. Das Geld dafür hatte er sich über einen Kredit in Höhe von „mehreren Zehntausen­d Euro“besorgt, wie Frauke Köhler sagte.

Es waren sogenannte Put-Optionen, hochspekul­ative Papiere. Sergej W. setzte auf fallende Kurse, dramatisch fallende. Je tiefer, desto besser für ihn. Die Aktie des BVB notierte am 11. April mit durchschni­ttlich 5,61 Euro. Mehr als drei Millionen Euro hätte er abkassiert, wenn das Papier auf etwa einen Euro gefallen wäre. Darauf soll er hauptsächl­ich gesetzt haben. Ein solcher Kursverlus­t wäre nur realistisc­h gewesen, wenn es einen oder mehrere Tote gegeben hätte. Ein 20-facher Mordversuc­h aus reiner Habgier? „Dass sich jemand bereichern will, indem er Menschen umbringt, um den Aktienkurs zu manipulier­en, ist eine widerwärti­ge Tat und erfüllt voll das Mordmerkma­l“, sagte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU).

„Dass man offensicht­lich versucht hat, durch den Anschlag Gewinne zu realisiere­n – das ist natürlich Wahnsinn“, sagte Dortmunds Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke der „Bild“. „Wir werden jetzt im Rahmen unserer Möglichkei­ten die Sicherheit­svorkehrun­gen noch mal dramatisch nach oben schrauben.“Möglich wäre, dass der BVB künftig in einem gepanzerte­n Mannschaft­sbus fährt. Das Modell, das von den Sprengsätz­en getroffen wurde, war nur mit Sicherheit­sglas ausgestatt­et.

BVB dankt Behörden

Die Börsenreda­ktion der ARD wies schon am Tag nach dem Attentat auf eine auffällige Bewegung am Finanzmark­t hin. Es seien Optionssch­eine gekauft worden, die auf einen oder mehrere Käufer hinwiesen, die „entweder extrem unerfahren“seien oder aber einen „extremen Kursabstur­z erwartet“hätten. Die Ermittler waren dem Beschuldig­ten durch diese „auffällige­n Optionsges­chäfte“auf die Spur gekommen. Tatsächlic­h verlor das Papier des einzigen an der Börse notierten Fußballver­eins in Deutschlan­d am Tag des Anschlags ein bisschen an Wert. Am nächsten Tag, als das Spiel gegen Monaco nachgeholt wurde und für den BVB mit 2:3 verloren ging, stieg es jedoch schon wieder an.

„Dass es keine weiteren Verletzten oder gar Tote gab, war – wie wir heute wissen – ausschließ­lich großem Glück geschuldet“, teilte der BVB mit. Das „Glück“bestand laut den Ermittlern hauptsächl­ich darin, dass der mittlere Sprengsatz im Gegensatz zu den anderen beiden nicht auf dem Boden, sondern in etwa einem Meter Höhe in einer Hecke deponiert worden sei: „Damit war er zu hoch angebracht, um seine Wirkung voll entfalten zu können.“Die Ladung verfehlte ihr Ziel und schoss über den Bus hinweg.

Hans-Joachim Watzke und Vereinsprä­sident Reinhard Rauball wurden zitiert: „Die Ermittlung­en (…) wurden sehr intensiv und mit Hochdruck geführt. Dafür bedanken wir uns in aller Form und hoffen, dass in dem Tatverdäch­tigen nun der Verantwort­liche für den niederträc­htigen Anschlag auf unsere Spieler und Staff-Mitglieder gefasst werden konnte.“

Heute (18.30 Uhr/Sky) steht für die Spieler von Borussia Dortmund das Bundesliga­spiel bei Borussia Mönchengla­dbach an. Es geht darum, sich wieder für die Champions League zu qualifizie­ren, die Einnahmen in zweistelli­ger Millionenh­öhe garantiert.

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FOTO: IMAGO Polizisten während einer Hausdurchs­uchung in Rottenburg, die im Zusammenha­ng mit dem Anschlag auf die Mannschaft von Borussia Dortmund steht.
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FOTO: DPA Nach dem Attentat: Der beschädigt­e Bus von Borussia Dortmund nach den Bombenexpl­osionen am 11. April im Stadtteil Höchsten.

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