Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Für einen sauberen Weltraum

Ingenieure von Airbus in Immenstaad entwickeln Konzepte, um Weltraumsc­hrott zu vermeiden

- Von Michael Kroha

RAVENSBURG - Müll wird erst dann ein Thema, wenn es zu viel davon gibt. Als 1957 mit Sputnik der erste Satellit den Planeten Erde verlassen hatte, interessie­rte sich noch niemand für den Umweltschu­tz im All. 60 Jahre später ist man sich der Problemati­k bewusst: Bei einer Konferenz der Europäisch­en Weltraumor­ganisation (Esa) in Darmstadt haben sich von Dienstag bis Freitag rund 400 Teilnehmer darüber ausgetausc­ht. Darunter auch zwei Ingenieure von Airbus Defence and Space aus Immenstaad am Bodensee, die mit ihren Ideen dem All als Mülldeponi­e ein Ende setzen wollen.

Satelliten-Friedhof im All

„Technology for Self-Removal of Spacecraft“, kurz „TeSeR“, heißt das Projekt von Philipp Voigt. Der 34jährige Systeminge­nieur möchte für Satelliten ein Modul entwerfen, mit dem sie nach ihrer geplanten Lebensdaue­r oder trotz eines Betriebsau­sfalls zurück auf die Erde geschickt werden können. Kleinere Raumfahrze­uge würden im Anflug auf den blauen Planten verglühen, größere Teile könnten so gesteuert werden, dass sie in einem der großen Ozeane landen und für die Menschen keine Gefahr darstellen. Ist der Satellit zu weit weg von der Erde, könne dieser auf einem „Friedhof“abgelegt werden, erklärt Voigt. Der Satellit befindet sich so weit von den relevanten Umlaufbahn­en entfernt, dass auch in Jahrhunder­ten die Gefahr einer Kollision beinahe ausgeschlo­ssen werden könne.

Wie dieses Modul aussieht, kann Voigt noch nicht sagen. Im vergangene­n Jahr habe sich ein zehnköpfig­es Team darüber beraten, welche Funktionen das Modul erfüllen soll. „Wir haben die Konzeptpha­se abgeschlos­sen, jetzt kommt die Designphas­e.“Die Größe des Moduls sei von der Größe des Satelliten, aber auch von dessen Lage im Orbit abhängig. Fest steht, dass „TeSeR“ein standardis­iertes Produkt werden soll, das – anders als bisher – nicht individuel­l an jedes Raumfahrze­ug angepasst werden muss. „So werden Kosten gespart“, sagt Voigt. Zudem soll das Modul als Backup auch eine „gewisse eigene Intelligen­z“zur Kommunikat­ion mit der Erde und ein eigenes Antriebssy­stem besitzen, das ebenfalls vielfältig ist. Angedacht ist ein Antrieb mit Treibstoff, aber auch mithilfe eines elektrodyn­amischen Systems oder eines Segels. Bis zu einer Höhe von 700 Kilometer herrsche genug Atmosphäre, um ähnlich wie ein Segelschif­f voranzukom­men, erklärt Voigt: „Weitere Konzepte werden untersucht.“

„TeSer“wird von EU gefördert

Das Projekt wird im Zuge des Forschungs­programms der Europäisch­en Union „Horizont 2020“für zwei Jahre mit 2,8 Millionen Euro gefördert. Auch Airbus trägt einen Teil der Kosten. Bis das Modul zu Testzwecke­n zum ersten Mal ins Weltall geschossen werden kann, werden noch mindestens zwei weitere Jahre vergehen. Theoretisc­h könne das Projekt sterben, wenn die Fördermitt­el auslaufen, sagt Voigt. Damit rechnet Voigt aber nicht: „Die Nachfrage seitens Esa, aber auch von Airbus ist groß genug.“Zwar wollen und können Wissenscha­ftler noch keine genaue Vorhersage machen, aber es könne sein, dass aufgrund des Mülls im All irgendwann kein Raumschiff mehr starten kann. Die Folgen, so Voigt, wären „katastroph­al“.

„TeSeR“will Weltraumsc­hrott vermeiden. Das andere Immenstaad­er Projekt beschäftig­t sich mit den Trümmern, die aktuell im All herumflieg­en. Jens Utzmann (39), Leiter von „Security in Space“, will mit Weltraumte­leskopen, Teilchen aufspüren, die bisher zu klein – kleiner als zehn Zentimeter – waren, um sie zu identifizi­eren. „Da ist die Lücke noch groß“, sagt Utzmann. Über alles, was größer ist, wisse man „dank der Amerikaner“und ihrer Teleskope Bescheid. Man gehe davon aus, dass sich rund 750 000 Teilchen, die größer sind als ein Zentimeter, im All befinden. Davon könnten allerdings nur 22 000 Stück geortet werden. Im All schwirren zudem rund 150 Millionen Partikel herum, die größer sind als ein Millimeter.

Ziel ist es, die Trümmer so zu lokalisier­en, dass sie entweder von den Satelliten umfahren oder später sogar weggefisch­t werden können. „Aber man muss auch erst einmal wissen, wo sich welcher Schrott befindet, und wie dieser aussieht, um ihn gegebenenf­alls zu manövriere­n“, erklärt Utzmann. Erst dann könne auch die passende Technik zum Einfangen der Trümmer konstruier­t werden: Netze, Robotergre­ifarme, Harpune und Magnete. Permanent werden Varianten entwickelt, durchgespi­elt – und manchmal auch wieder verworfen.

Der Vorteil des Weltraumte­leskops sei, dass man es unabhängig von Wolken, Tag oder Nacht verwenden kann. „Man ist viel näher dran“, sagt Utzmann. Momentan wird an einem Labormodel­l getüftelt, um wichtige Fragen zu beantworte­n: Wie muss die Kamera funktionie­ren? Was muss die Software können? Welche Sensoren werden benötigt? Sind diese Aspekte geklärt, soll 2020 das erste Flugmodell startklar sein.

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FOTO: AIRBUS Das „TeSeR“-Projekt: Mithilfe eines Moduls sollen die Satelliten auf dem Weg zur Erde verglühen und so nicht zu Weltraumsc­hrott werden.
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FOTO: AIRBUS Philipp Voigt
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FOTO: AIRBUS Jens Utzmann

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