Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Für einen sauberen Weltraum
Ingenieure von Airbus in Immenstaad entwickeln Konzepte, um Weltraumschrott zu vermeiden
RAVENSBURG - Müll wird erst dann ein Thema, wenn es zu viel davon gibt. Als 1957 mit Sputnik der erste Satellit den Planeten Erde verlassen hatte, interessierte sich noch niemand für den Umweltschutz im All. 60 Jahre später ist man sich der Problematik bewusst: Bei einer Konferenz der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) in Darmstadt haben sich von Dienstag bis Freitag rund 400 Teilnehmer darüber ausgetauscht. Darunter auch zwei Ingenieure von Airbus Defence and Space aus Immenstaad am Bodensee, die mit ihren Ideen dem All als Mülldeponie ein Ende setzen wollen.
Satelliten-Friedhof im All
„Technology for Self-Removal of Spacecraft“, kurz „TeSeR“, heißt das Projekt von Philipp Voigt. Der 34jährige Systemingenieur möchte für Satelliten ein Modul entwerfen, mit dem sie nach ihrer geplanten Lebensdauer oder trotz eines Betriebsausfalls zurück auf die Erde geschickt werden können. Kleinere Raumfahrzeuge würden im Anflug auf den blauen Planten verglühen, größere Teile könnten so gesteuert werden, dass sie in einem der großen Ozeane landen und für die Menschen keine Gefahr darstellen. Ist der Satellit zu weit weg von der Erde, könne dieser auf einem „Friedhof“abgelegt werden, erklärt Voigt. Der Satellit befindet sich so weit von den relevanten Umlaufbahnen entfernt, dass auch in Jahrhunderten die Gefahr einer Kollision beinahe ausgeschlossen werden könne.
Wie dieses Modul aussieht, kann Voigt noch nicht sagen. Im vergangenen Jahr habe sich ein zehnköpfiges Team darüber beraten, welche Funktionen das Modul erfüllen soll. „Wir haben die Konzeptphase abgeschlossen, jetzt kommt die Designphase.“Die Größe des Moduls sei von der Größe des Satelliten, aber auch von dessen Lage im Orbit abhängig. Fest steht, dass „TeSeR“ein standardisiertes Produkt werden soll, das – anders als bisher – nicht individuell an jedes Raumfahrzeug angepasst werden muss. „So werden Kosten gespart“, sagt Voigt. Zudem soll das Modul als Backup auch eine „gewisse eigene Intelligenz“zur Kommunikation mit der Erde und ein eigenes Antriebssystem besitzen, das ebenfalls vielfältig ist. Angedacht ist ein Antrieb mit Treibstoff, aber auch mithilfe eines elektrodynamischen Systems oder eines Segels. Bis zu einer Höhe von 700 Kilometer herrsche genug Atmosphäre, um ähnlich wie ein Segelschiff voranzukommen, erklärt Voigt: „Weitere Konzepte werden untersucht.“
„TeSer“wird von EU gefördert
Das Projekt wird im Zuge des Forschungsprogramms der Europäischen Union „Horizont 2020“für zwei Jahre mit 2,8 Millionen Euro gefördert. Auch Airbus trägt einen Teil der Kosten. Bis das Modul zu Testzwecken zum ersten Mal ins Weltall geschossen werden kann, werden noch mindestens zwei weitere Jahre vergehen. Theoretisch könne das Projekt sterben, wenn die Fördermittel auslaufen, sagt Voigt. Damit rechnet Voigt aber nicht: „Die Nachfrage seitens Esa, aber auch von Airbus ist groß genug.“Zwar wollen und können Wissenschaftler noch keine genaue Vorhersage machen, aber es könne sein, dass aufgrund des Mülls im All irgendwann kein Raumschiff mehr starten kann. Die Folgen, so Voigt, wären „katastrophal“.
„TeSeR“will Weltraumschrott vermeiden. Das andere Immenstaader Projekt beschäftigt sich mit den Trümmern, die aktuell im All herumfliegen. Jens Utzmann (39), Leiter von „Security in Space“, will mit Weltraumteleskopen, Teilchen aufspüren, die bisher zu klein – kleiner als zehn Zentimeter – waren, um sie zu identifizieren. „Da ist die Lücke noch groß“, sagt Utzmann. Über alles, was größer ist, wisse man „dank der Amerikaner“und ihrer Teleskope Bescheid. Man gehe davon aus, dass sich rund 750 000 Teilchen, die größer sind als ein Zentimeter, im All befinden. Davon könnten allerdings nur 22 000 Stück geortet werden. Im All schwirren zudem rund 150 Millionen Partikel herum, die größer sind als ein Millimeter.
Ziel ist es, die Trümmer so zu lokalisieren, dass sie entweder von den Satelliten umfahren oder später sogar weggefischt werden können. „Aber man muss auch erst einmal wissen, wo sich welcher Schrott befindet, und wie dieser aussieht, um ihn gegebenenfalls zu manövrieren“, erklärt Utzmann. Erst dann könne auch die passende Technik zum Einfangen der Trümmer konstruiert werden: Netze, Robotergreifarme, Harpune und Magnete. Permanent werden Varianten entwickelt, durchgespielt – und manchmal auch wieder verworfen.
Der Vorteil des Weltraumteleskops sei, dass man es unabhängig von Wolken, Tag oder Nacht verwenden kann. „Man ist viel näher dran“, sagt Utzmann. Momentan wird an einem Labormodell getüftelt, um wichtige Fragen zu beantworten: Wie muss die Kamera funktionieren? Was muss die Software können? Welche Sensoren werden benötigt? Sind diese Aspekte geklärt, soll 2020 das erste Flugmodell startklar sein.