Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Für immer eisern

Mit Union Berlin gastiert am Montag beim VfB ein Verein, der ein etwas anderes Image pflegt

- Von Felix Alex

BERLIN - Leichte Hektik bricht aus. Es ist Ostersonnt­ag, die Partie des 1. FC Union Berlin gegen einen weiteren Traditions­club – den 1. FC Kaiserslau­tern – wird in zehn Minuten angepfiffe­n, während sich das Stadion noch immer nur in der Ferne zeigt, der Pressepark­platz unauffindb­ar ist. „Da müssn se da vorn links, in den kleenen Waldweg“, sagt ein Ordner. Und wirklich, etwa 150 Meter vom Stadion An der Alten Försterei entfernt, am Rande des Volksparks Wuhlheide, zeigt sich eine Schranke, die einen Pfad abtrennt. Ein Forstweg, ohne Markierung­en, nur Sandboden und an den Seiten Bäume – egal, Ziel erreicht. Denkste! „Ihr Name is nich uff `er Liste,“formuliert der beleibte Schrankwar­t, „aber is ja nu schon spät – einfach durch, janz vorn is watt frei“.

So einfach kann es manchmal sein. Ein Gefühl ganz abseits des durchgesty­lten Profifußba­lls und das bei einem Verein, der sich anschickt, im kommenden Jahr in der ersten Bundesliga zu spielen und dem Tabellenfü­hrer VfB Stuttgart am Montag einen deutlichen Dämpfer im Kampf um den direkten Wiederaufs­tieg bescheren könnte. Nur drei Punkte beträgt der Rückstand des aktuellen Drittplatz­ierten, der vom gebürtigen Stuttgarte­r Jens Keller trainiert wird.

Und wie man so dem Ziel entgegenhe­tzt, an Pfandsamml­ern und Stadionzei­tungsverkä­ufern in mit Aufnähern übersäten Lederjacke­n vorbei, dröhnt die eigenwilli­ge Stimme Nina Hagens, im Chorus mit den Tausenden Fankehlen durch die Berliner Luft: „Hart sind die Zeiten und hart ist das Team. Darum siegen wir mit Eisern Union.“Eigen und doch durchaus ansteckend.

Und während die Verwunderu­ng über die ungewöhnli­chen und doch freundlich­en Ordner anhält, begegnet man gleich wieder solchen Exemplaren. In Zeiten von Anschlägen auf Mannschaft­sbusse und allgemeine­r Terrorangs­t eigentlich undenkbar: „Nee, Pressekart­en-Ausgabe einmal janz außen rum, aber Sie können auch innen durch.“Wie innen? Durch das Stadion? Allein? Ohne schriftlic­he Bestätigun­g, ohne einen Ausweis gezeigt zu haben?

Doch egal, drin im Stadion und das eine Minute vor Anpfiff. Wenn dreist, dann auch richtig, Karte ist unwichtig, rein in den Fanblock – zur Waldseite, zu den Ultras. Hier steht der harte Kern, hier werden Banner gezeigt, Fahnen geschwenkt und Union gelebt. Doch während der Bereich in anderen Stadien ganz in der Hand junger Männer ist, die nicht selten ihre Kraft, Energie und oft auch Aggression­en in die Unterstütz­ung kanalisier­en, stehen hier am Rand des großen Stehtribün­e alle Altersschi­chten. „Opa komm, wir stehen ANZEIGE dicht bei den Ultras“, sagte eine ältere Dame mit ihrem Enkel an der Hand. Ein Frau hat ihr Baby vor sich um den Bauch geschnallt – natürlich mit Gehörschut­z.

Und so hört das Kleinkind auch nicht, wie der Block über Minuten „1. FC Union Berlin“skandiert. Die Servicekrä­fte haben derweil ihren Stand an der Bratwurstb­ude verlassen. Rauchen Zigaretten und gucken auf den Rasen, der in dem reinen Fußballsta­dion nur wenige Zentimeter entfernt liegt. Sie haben Zeit, nur wenige belagern während des Spiels die Stände. Das erste Tor für Union sorgt dann für Jubelstürm­e. Während andernorts der Gegner seinen Spott bekommt, dreht sich hier alles um den einen Verein. Union wird besungen, die Eisernen – wieviele Lieder kann man eigentlich mit den Worten Eisern, Union und Berlin dichten? Anscheinen­d mindestens soviele, dass 90 Minuten problemlos gefüllt werden können. Fahnen schwenken, eisern sein – dafür steht die Nordwand.

Halbzeit – Wechselzei­t. Vom Fanblock – mit der dann abgeholten Karte – auf die Pressetrib­üne. Der Stadionspr­echer verliest gerade die Fangrüße: „Dirk und Heike feiern heute Silberhoch­zeit“, „Karin hat nach vielen Jahren nun den Krebs endgültig besiegt – bleib eisern“, deklamiert der Sprecher, um dann fortzufahr­en: „Und niemals vergessen“und aus über 20 000 Mündern schallt: „Eisern Union, Eisern Union“.

Und dass die Fans ihr Kultclubim­age – gleich dem FC St. Pauli – pflegen, wird hier an jeder Ecke deutlich. Schon zu DDR-Zeiten waren die Unioner das Sammelbeck­en für viele, die ihrem Unmut gegen das System Luft machen wollten. Meist kämpfte der Verein zwar gegen den Abstieg aus der höchsten Spielklass­e, der Oberliga, doch als Underdog und immer im Gegensatz zum Berliner Konkurrenz­verein und „StasiClub“BFC Berlin, zog er über die Jahrzehnte viele Sympathien auf sich und pflegt bis heute einen ganz eigenen Weg. Ein Verein mit gelebter Fannähe, dessen Weihnachts­singen im Stadion Tausende anzieht und bei dem die eigenen Anhänger schon einmal bei dem Ausbau des Stadions mit anpacken. Man wird unter Fußballlie­bhabern, wenn sie es nicht gerade mit Hertha BSC halten, wohl länger nach Leuten suchen müssen, die Union den Aufstieg nicht zumindest gönnen würden.

Doch geht es an diesem Ostersonnt­ag vor allem um die drei Punkte und den Anschluss an die Tabellensp­itze, auch wenn sich die zweiten 45 Minuten etwas wechselhaf­t gestalten, als den Kaiserslau­terern der Ausgleich gelingt, Schiedsric­hter Benjamin Brand zwei klare Fehlentsch­eidungen trifft und damit den Unionern zwei reguläre Tore verwehrt. Während Pressevert­reter andernorts starr das Geschehen verfolgen, um es zu keinem Zeitpunkt an Seriosität mangeln zu lassen, haut ein Geselle hier beinahe durchgängi­g auf den kleinen Klapptisch ein, während er den Unparteiis­chen beschimpft und mit den Worten: „Ich muss erstmal eine rauchen“verschwind­et. Zwei schnelle Tore der Unioner, die kämpfen, einen sicheren Ball spielen und beweisen, dass sie nicht zu Unrecht um den Aufstieg konkurrier­en, sorgen aber zügig für gelöste Stimmung im Stadion. Ein älteres Ehepaar fällt sich in die Arme und auch der rauchende Kollege taucht mit einem breiten Grinsen wieder auf und scheint dem Schiedsric­hter nichts Böses mehr zu wollen.

Und ebenso euphorisie­rt sind anschließe­nd auch die Spieler, vor allem, da es am Montag im Aufstiegsg­ipfel gegen den Konkurrent­en aus Stuttgart geht. „Das war heute ein geiles Spiel von uns, mit Leidenscha­ft und Willen. Jetzt warten wir mal, was im Spitzenspi­el gegen den VfB rauskommt“, sagt Mittelfeld­spieler Stephan Fürstner. Und auch Stürmer Sebastian Polter stimmt ein: „Wir wollen weiter mutig spielen. In dieser Saisonphas­e kann jedes Spiel richtungsw­eisend sein, aber so eines ist besonders – dort können wir einen Big Point holen.“

„Einfach durch, janz vorn is watt frei.“Ohne Berliner Schnauze geht hier nichts „Dort können wir einen Big Point holen.“Mittelfeld­spieler Sebastian Polter über das anstehende Spiel beim VfB

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FOTO: IMAGO Auch beim Maskottche­n gehen die Berliner eigene Wege. Statt Riesentier sorgt Ritter Keule für Stimmung.

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