Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Bad Waldsee hinkt hinterher
Stadt hat erst zwei von 70 Haltestellen barrierefrei umgerüstet.
BAD WALDSEE - Bis 2022 müssen laut Personenbeförderungsgesetz alle Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland barrierefrei ausgebaut werden. Das gilt auch für Bad Waldsee. Doch bislang sieht es damit mau aus in der Kurstadt. Von etwa 70 Haltestellen im Stadtgebiet (inklusive Ortschaften) sind bislang nur zwei im neuen Wohngebiet „Frauenberg VI“und die drei Haltepunkte am Döchtbühlzentrum barrierefrei ausgebaut.
Im Haushalt für das laufende Jahr hat die Stadtverwaltung zwar 60 000 Euro für Bushaltestellen bereitgestellt, diese werden jedoch nicht für den barrierefreien Ausbau verwendet, sondern in zwei überdachte Wartehäuschen beim Rewe und an der Therme investiert.
Die Stadt Bad Waldsee ist stolz auf ihren Citybus, der vier Linien und ein Einzelticket für 70 Cent anbietet. Zum Vergleich: In der Nachbarstadt Ravensburg kostet eine Einzelfahrt 2,10 Euro und an Samstagen neuerdings einen Euro. Durch die günstigen Fahrpreise will die Stadt Bad Waldsee die Menschen dazu bewegen, lieber mit dem Bus in die Stadt zu fahren, anstatt mit dem Auto, erklärt Alfred Maucher, Leiter der städtischen Pressestelle. So vorbildlich die Stadt bei den Buspreisen ist – in Sachen Barrierefreiheit steht Bad Waldsee nicht gut da. Denn: Außer am Döchtbühlzentrum gibt es keine barrierefrei ausgebauten Haltestellen, die aktuell angefahren werden können. Überall sonst: nicht angepasste Bordsteinhöhen, Kopfsteinpflaster, fehlende Markierungen für Sehbehinderte – das alles sind Hürden, die es Menschen mit Handicap schwer machen.
Im Neubaugebiet „Frauenberg VI“gibt es zwar auch zwei neue barrierefreie Haltestellen, allerdings keine entsprechende Busanbindung. „Es wäre ja unsinnig gewesen, ein Baugebiet ohne Bushaltestellen zu planen. Irgendwann gibt es eine Linie dorthin. Außerdem sind die Haltepunkte ja nicht nur ausschließlich für den öffentlichen Nahverkehr gedacht“, erläutert Maucher.
Die „Schwerpunkthaltestellen“am Bahnhof und an der Bleiche sollen möglichst bald umgerüstet werden und sind Teil der Umgestaltungspläne für beide Areale, wie Maucher ausführt. Dass völlige Barrierefreiheit bis 2022 erreicht werden kann, hält er für ausgeschlossen. „Das ist schlichtweg nicht machbar. Das ist für alle Kommunen unmöglich.“Ein Grund dafür seien nicht nur fehlende finanzielle Mittel, sondern oft auch das Problem mit Privatgrundstücken, auf denen sich Bushaltestellen teilweise befinden würden. „Grundstücksverhandlungen dauern manchmal Jahre.“
Verbände drohen mit Klagen
Für den Kreisbehindertenbeauftragten Torsten Hopperdietzel ist nicht nachvollziehbar, warum die Stadt Bad Waldsee das Thema so lange verschlafen hat. „Menschen mit Behinderung haben ab 2022 einen gesetzlichen Anspruch auf barrierefrei ausgebaute Bushaltestellen. Ansonsten werden Einzelne oder ganze Behindertenverbände die Umrüstung von Haltestellen vor Gericht einklagen. Die Verbände ziehen solche Klagen bereits jetzt in Erwägung. Das kommt die Städte dann gewiss nicht günstiger“, schimpft der 42-jährige Sehbehinderte, der sich im Auftrag des Landkreises um die Belange von Menschen mit Behinderung kümmert. Auch Schadensersatzforderungen seien möglich und denkbar. „Es geht um gleichberechtigte Lebensteilhabe, darauf haben Menschen mit Behinderung einen Rechtsanspruch.“Zudem würden auch Senioren – oft nicht mehr so gut zu Fuß und mit Rollatoren und Gehhilfen unterwegs – von der Umrüstung profitieren.
Hopperdietzel wünscht sich, dass Bad Waldsee ähnlich wie Ravensburg und Weingarten gemeinsam mit Behinderten eine Prioritätenliste erstellt, welche Haltestellen in welcher Reihenfolge umgerüstet werden. „Seit Januar 2013 gilt das neue Gesetz. Was hat Bad Waldsee in den vergangenen Jahren gemacht? Sich jetzt hinzustellen und zu sagen, das schaffen wir bis 2022 nicht, geht nicht“, kritisiert der Kreisbehindertenbeauftragte. „Würde die Stadt pro Jahr zehn Haltestellen umrüsten, wären bis 2022 zumindest 50 von 70 fertig. Das wäre doch schon mal was.“Ein kleiner Trost für Bad Waldsee: Die Stadt reiht sich laut Hopperdietzel in eine Liste unrühmlicher Beispiele ein. „Es ist in fast allen Städten die gleiche unbefriedigende Situation. Die Kommunen müssen extrem nachholen.“