Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Am Tropf des Landkreises
Oberschwabenklinik feiert 20-jähriges Bestehen – Dramatische Finanzkrisen überwunden
RAVENSBURG - Spannend, dramatisch und krisengebeutelt: Wenn die Ravensburger Oberschwabenklinik am 3. Mai ihr 20-jähriges Bestehen feiert, blickt sie auf eine bewegte Geschichte zurück. Medizinisch auf hohem Niveau, hat der Klinikverbund gleichzeitig schwere Finanzkrisen bewältigen müssen – bis an den Rand der Insolvenz. Ein Rückblick.
Guntram Blaser ist ein feiner Mensch. Immer gewesen. Ruhig und nachdenklich, nicht gerade bekannt für Zornausbrüche. Als der damalige Ravensburger Landrat in einer Sitzung des Kreistages im Januar 1995 als „größenwahnsinnig“ausgebuht wurde, platzte ihm jedoch der Kragen: „Wenn Sie so weitermachen, lasse ich den Saal räumen“, drohte er den 500 Besuchern. Die waren nach Amtzell gekommen, um lautstark gegen die Schließung der Geburtshilfen in Bad Waldsee, Leutkirch und Isny zu demonstrieren.
Im Krankenhauswesen gibt es schon lange eine Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen der Menschen nach einer wohnortnahen Versorgung und Sparzwängen. Je teurer ein Gesundheitssystem, desto höher die Beiträge zu den Krankenkassen. Da an der Qualität der Medizin nicht gespart werden soll und ein immer größerer Spezialisierungsgrad erforderlich ist, um konkurrenzfähig zu bleiben, kann hauptsächlich über die Quantität gespart werden. Schon Mitte der 1990er-Jahre standen die vier Kreiskliniken – damals Wangen, Leutkirch, Isny und Bad Waldsee – wirtschaftlich nicht gut da. Zu viele Betten, hohe Defizite – ein 1993 in Auftrag gegebenes Gutachten der Beratungsgesellschaft Gebera legte bereits Anfang 1995 nahe, einen Standort zu schließen: Leutkirch oder Isny. Es dauerte jedoch fast 20 Jahre, bis dieser Vorschlag umgesetzt wurde, und zwar radikal: Beide wurden dicht gemacht.
Zunächst traf der Kreistag aber den Beschluss, alle vier Standorte zu erhalten und „nur“drei Geburtshilfen zu schließen – trotz des zunehmenden Drucks der Landesregierung, Betten abzubauen, und einem stetigen Wandel der Rahmenbedingungen wegen einer Gesundheitsreform nach der anderen auf Bundesebene. Gleichzeitig nahm Landrat Blaser Verhandlungen mit der Stadt Ravensburg und den Franziskanerinnen in Reute auf, um alle Akutkliniken im Landkreis unter einem Dach zu vereinigen: die vier Kreiskrankenhäuser, das Heilig-Geist-Spital der Stadt Ravensburg und das Elisabethen-Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft. Die Idee: Gemeinsam ist man größer, stärker und flexibler, kann zudem gezielt medizinische Schwerpunkte neben der Grundversorgung anbieten und vermeidet eine Kannibalisierung durch Konkurrenz.
Katholische Kirche bewies Mut
Vor allem für die katholische Kirche war eine solche Fusion, die es bislang noch nie zuvor in Deutschland gegeben hatte, eine Herausforderung. Sie widersprach eigentlich einem 20 Jahre zuvor gefassten Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz, die eine Zusammenführung katholischer Krankenhäuser mit anderen Trägern untersagt hatte, bezogen allerdings auf die evangelische Kirche. Der damalige Bischof und spätere Kardinal Walter Kasper aus Wangen soll hinter den Kulissen intensiv für die Zusammenarbeit geworben haben, und Generaloberin Walburga Scheibel von den Franziskanerinnen in Reute überzeugte ihren Konvent, der ein einstimmiges Votum fällte. Bedingung für die Gründung der gemeinnützigen Oberschwabenklinik GmbH (OSK) im Jahr 1997 war aber, dass in der Präambel des Gesellschaftervertrags das „christlich-humanistische Menschenbild“als Richtschnur für die Arbeit festgeschrieben wurde, außerdem „der uneingeschränkte Schutz des menschlichen Lebens“– übersetzt ein klares Abtreibungsverbot.
Die Schwestern von Reute hielten über die Sankt-Elisabeth-Stiftung 50 Prozent am neuen Klinikverbund, 45 Prozent der Landkreis und fünf Prozent die Stadt Ravensburg, und zunächst funktionierte die ungewöhnliche Dreiecksbeziehung ganz gut. Aber schon 2001 wurde deutlich, dass die OSK ohne Finanzspritzen ihrer Träger nicht überleben würde. Liquiditätsengpässe erforderten Millionenzuschüsse, es begann ein Streit um die Verteilung. Der Kreis zahlte zunächst die fünffache Summe, weil die ehemaligen Kreiskliniken für einen Großteil des Defizits verantwortlich waren, und nicht das Elisabethen-Krankenhaus, das die Franziskanerinnen eingebracht hatten.
2003 betrug der Verlust der OSK dann schon fast 11 Millionen Euro, die Streitereien eskalierten. 2004 soll es sogar Gedankenspiele aufseiten der Kirche gegeben haben, das EK wieder aus dem Verbund herauszulösen und mit anderen katholischen Krankenhäusern zusammenzuführen. Die Sankt Elisabeth-Stiftung erklärte, ab 2005 kein zusätzliches Kapital mehr zuschießen zu wollen und drängte auf die Schließung der kleinen Häuser – was wahrscheinlich klug gewesen wäre, politisch zu der Zeit aber nicht durchsetzbar. In einer Ehe würde man von unüberbrückbaren Differenzen sprechen, die dann zur Scheidung führten. Die kam den Kreis teuer zu stehen. 2005 übernahm er die Anteile der Sankt Elisabeth-Stiftung für 20 Millionen Euro.
Mit der neuen Geschäftsführerin Elizabeth Harrison, einer US-amerikanischen Unternehmensberaterin, wehte ein neuer Wind im Klinikum, das sich wirtschaftlich zunächst erholte. Aber auch Harrison konnte nicht durchregieren. Jede wichtige Unternehmensentscheidung musste vom Kreistag abgesegnet werden, und auch der Ravensburger Gemeinderat hatte wegen seiner Fünf-Prozent-Beteiligung ein Wörtchen mitzureden. Obwohl die kleinen Kliniken mit Ausnahme von Bad Waldsee, das wegen seiner lukrativen Endoprothetik-Abteilung gut dastand, rote Zahlen schrieben, waren Standortschließungen in den Anfangsjahren des rein kommunalen Klinikverbundes immer noch tabu, weil die Kommunalpolitiker aus dem Allgäu im Kreistag strikt dagegen waren. Ein Denkverbot, das sich später rächen sollte.
Komplizierte Konstrukte
Stattdessen wurden komplizierte Konstellationen ausprobiert. Die Allgäuer Patienten sollten zum Beispiel in Leutkirch in die Innere Abteilung, aber in Isny operiert werden, was 2010 wieder verworfen wurde, weil die Bevölkerung das nicht annahm. Dann wurde ein Klinikum Westallgäu geschaffen, mit Wangen als Zentrum und Leutkirch und Isny als Trabanten. Auch das ging nicht so richtig auf. Pläne, in Isny eine Endoprothetik-Abteilung samt Rehazentrum aufzubauen, ließen sich nicht verwirklichen. Harrison verließ Ravensburg im Januar 2011 und ging als Geschäftsführerin ans städtische Klinikum München – 2011 war zugleich das wirtschaftlich schwierigste Jahr für die OSK.
Das Ausmaß der Finanzkrise wurde im Frühsommer 2012 publik. Ein horrendes Defizit aus dem Vorjahr und ein akuter Liquiditätsengpass brachten den Klinikverbund – nun unter der Leitung von Harrisons früherem Vize Sebastian Wolf – an den Rand der Insolvenz. Eine neue wirtschaftliche Analyse kam zum gleichen Ergebnis wie fast 20 Jahre zuvor das Gebera-Gutachten: Standortschließungen seien unvermeidlich.
Und wieder war der Aufschrei in der Bevölkerung groß. Im Allgäu sah man sich betrogen und abgehängt, vergessene Gräben zwischen Berg und (Schussen)-Tal wurden wieder aufgerissen. Während die Leutkircher fassungslos die Schließung ihres Krankenhauses Mitte 2013 hinnehmen mussten, kramten die Isnyer einen uralten Vertrag aus dem Jahr 1970 aus den Archiven. In dem hatte der Altkreis Wangen, rechtlich Vorgänger des Landkreises Ravensburg, der Stadt bei der Übernahme des Krankenhauses die Garantie gegeben, es „etwa in der bisherigen Größe weiter zu betreiben und für die Bevölkerung offen zu halten, soweit dies nicht durch staatliche oder sonstige vom Landkreis nicht zu vertretende Maßnahmen und Ereignisse unmöglich gemacht wird“. Um diese Formulierung führten Stadt Isny und Kreis Ravensburg einen Prozess durch mehrere Instanzen, den der Kreis im April 2014 gewann: Kurz darauf scheiterte auch die Verfassungsbeschwerde, Isny wurde Mitte 2014 geschlossen.
Doch das war nur ein Teil des Sanierungsprozesses, den Sebastian Wolf, mittlerweile aufgestiegen zum neuen Geschäftsführer, ruhig, aber beharrlich vorantrieb. Den Löwenanteil trugen die nicht-medizinischen Beschäftigten, die auf fünf Prozent Lohn verzichteten, und die Ärzte, die länger arbeiteten. Der Landkreis verzichtete auf Mieteinnahmen, und die Unternehmungsberatung Kienbaum fand an die 400 Spar- und Verbesserungsvorschläge, die großteils umgesetzt wurden.
Medizin hat teils Uni-Niveau
Medizinisch hat die Oberschwabenklinik seit ihrer Gründung enorm aufgerüstet. Rund drei Millionen Patienten wurden in den 20 Jahren behandelt. Moderne Hightechgeräte, Ärzte, die laut Focus-Liste zu den besten in Deutschland gehören, dazu eine umfassende Sanierung der Gebäude am EK mit Zweibettzimmern auch für Kassenpatienten – in seiner jetzigen Form sollte der Klinikverbund mit vier Standorten und 2700 Mitarbeitern weiter bestehen können.
Aber eins steht fest: Die medizinische Daseinsvorsorge wird auch in Zukunft am finanziellen Tropf des Landkreises hängen. Denn eine Privatisierung wie im Kreis Biberach steht derzeit nicht zur Debatte.