Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Lösungen im guten Miteinander
Die katholische Stiftung St. Anna besteht seit 150 Jahren
- Als oberster Dienstherr wird Gebhard Fürst, der Bischof der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart, am 25. Juni zwar einen Festgottesdienst in St. Martin halten und sich dann unter die Gäste des Festes zum 150-jährigen Bestehen der Stiftung St. Anna in Leutkirch mischen. Doch die Kinder-, Jugendund Familienhilfeeinrichtung arbeitet längst überkonfessionell und versteht sich als Kompetenzzentrum für sozial- und sonderpädagogische Fragen in Leutkirch und in der Region. Der Bedarf an Beratung und Betreuung hat stetig zugenommen.
Michael Lindauer, der geschäftsführende Stiftungsvorstand und Gesamtleiter der Einrichtung mit mehr als 100 Beschäftigten, ist katholisch. Jochen Narr, sein Stellvertreter im Tagesgeschäft und unter anderem verantwortlich für die Leitung der Wohngruppen, ist evangelisch. Zumindest in dieser Einrichtung, die geschichtlich so eng an die katholische Kirche gebunden ist, bildete die Zugehörigkeit zur anderen großen christlichen Religion kein Problem für Narr, eine Leitungsfunktion zu erhalten. Das christliche Menschenbild ist die Basis des Wirkens. Das verbindet. Zum Betreuerstab zählt auch ein muslimischer Mitarbeiter, muslimische Jugendliche werden betreut. „Wir wollen und müssen im guten Miteinander Lösungen finden“, sagt Michael Lindauer. Nach guten Lösungen insbesondere für Jugendliche, die schon einige Krisen durchgestanden haben, ehe sie von der Stiftung betreut werden. Mal meldet sich das Jugendamt, mal melden sich Schulen, mal auch Eltern, die nicht mehr klarkommen.
Als private Stiftung kirchlichen Rechts wurde St. Anna 1867 gegründet, nachdem die Piuspflege in Oggelsbeuren nach Erweiterungsmöglichkeiten gesucht hatte. Dank einer Spende konnte in Leutkirch das Furtenbachschlösschen erworben werden, in das dann am 16. Juli 1867 die ersten „37 Zöglinge“mit ihren Schwestern eingezogen sind. Stiftungsziel der „Annapflege“, wie die Einrichtung damals hieß, war es, „arme Mädchen“aufzunehmen und zu erziehen. Die Leitung lag bei der Vinzentinerinnenkonkregation aus Schwäbisch Gmünd. Erst 1990 verließen die letzten Ordensfrauen die Einrichtung.
Aus dem Leutkircher Standort Furtenbachschlösschen ist mehr geworden. Heute gehören zu dem Gelände ein Gebäude für Wohngruppen und ein Schulanbau. Schon 1985, die Frage nach Betreuungsangeboten nahm zu, wurde eine erste Außenwohngruppe eröffnet.
Die Familie einbeziehen
Lindauer weist aber auch auf den Paradigmenwechsel der Einrichtung hin, der in den 1980er-Jahren begonnen habe. Lange sollte die Heimerziehung die Familie ersetzen. „Längst ist Praxis, dass die Lösung von Problemen nur in Kontakt mit dem Elternhaus angestrebt werden soll“, stellt er klar. Auch wenn das nicht immer möglich ist.
Als Unterstützer und Helfer der Jugendlichen und als Entlastung für die Eltern versteht Lindauer die Vielzahl der Betreuungsmöglichkeiten. Im Heim. In den Tagesangeboten. In der Sonderpädagogik. Im Schulkindergarten. Auch die Jugendlichen werden stark eingebunden, sie sollen sich einbringen und nicht bevormundet fühlen auf dem Weg dazu, Konflikte zu meistern. „Ziel ist, Verantwortung zu entwickeln“, betont wiederum Narr und ergänzt: „Vor 30 Jahren galten Regeln für alle. Heute gehen wir individuell vor.“
Einzelschicksale
Gerade auch das Bedürfnis der Jugendlichen nach Spiritualität sei dabei ein wichtiger Faktor. Dazu zählen aber auch religiöse Aspekte bis hin zur Möglichkeit, diese auch auszuüben. Jedes Schicksal unterscheide sich vom anderen, oft führten nur viele kleine Schritte zum erhofften Erfolg. Deshalb auch kommen die Erziehungspläne regelmäßig in den verschiedenen Teamsitzungen auf den Prüfstand.
Am 25. Juni aber soll gefeiert werden. Längst haben die Vorbereitungen begonnen, um auch der Öffentlichkeit ein umfassendes Bild von der Arbeit zu vermitteln. Dabei, so Lindauer, gehe es auch darum, „dass der Gemeinschaftscharakter unserer Arbeit zum Ausdruck kommt“.