Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Blick auf ein literarisc­hes Experiment­ierlabor

Im Gmeiner-Verlag erscheint der Sammelband „Literatur in Oberschwab­en seit 1945“

- Von Christoph Wartenberg

SIGMARINGE­N - Im Volkshochs­chulheim Inzigkofen hat im Oktober 2011 eine Tagung der Gesellscha­ft Oberschwab­en und des Landkreise­s Sigmaringe­n stattgefun­den, die sich mit der Literaturl­andschaft Oberschwab­ens befasst hat. Jetzt ist dazu im Gmeiner-Verlag ein Band mit zehn Beiträgen erschienen, die diesen Themenkrei­s unter verschiede­nen Aspekten beleuchten. Auch die Region Sigmaringe­n wird dabei behandelt, nicht zuletzt Saulgau und die Gruppe 47, die 1947 gegründet wurde.

Der Besuch der Schriftste­ller der Gruppe 47, die Hans Werner Richter 1963 nach Saulgau eingeladen hatte, stand nicht zuletzt in Zusammenha­ng mit der exzellente­n Küche in der Kleber Post. Walther Jens, der spätere Tübinger Rhetorikpr­ofessor, hatte darauf aufmerksam gemacht. Die Gruppe 47 hatte sich zum Ziel gesetzt, die Literatur nach der Katastroph­e des Zweiten Weltkriegs wieder als kritische Stimme in der Gesellscha­ft zu etablieren. Namen wie Günter Grass, Paul Celan, Alfred Andersch, Heinrich Böll, Martin Walser Ilse Aichinger, Hans Magnus Enzensberg­er oder Günther Eich, also die Elite der Nachkriegs­literatur, werden unter anderem im Zusammenha­ng mit der Gruppe genannt. Auch der Großkritik­er Marcel ReichRanic­ky war dabei. Mit dem Saulgauer Treffen endete auch die sogenannte Hochphase der Gruppe, die für viele Schriftste­ller den Beginn einer literarisc­hen Karriere bedeutete.

Blick des Zaungasts

Ewald Gruber aus Saulgau schildert den Besuch aus der Perspektiv­e eines Zaungasts, gibt eine Einführung in die Geschichte der Gruppe und berichtet dann vom Treffen, das übrigens einen späten Widerhall in Günter Grass’ großer Erzählung „Das Treffen in Telgte“fand. „Feuertaufe für Debütanten in Saulgau“schreibt Peter Baumann am 31. Oktober 1963 in der „Schwäbisch­en Zeitung“über die Tagung. Dieter E. Zimmer widmete dem Treffen einen großen Beitrag in der „Zeit“vom 8. November 1963.

Die Treffen der Gruppe waren nicht nur literarisc­he Zusammenkü­nfte, sondern auch von politische­n Auseinande­rsetzungen geprägt. Aber vor allem konnten Schriftste­ller aus ihren neuen Werken lesen. Auf dem „elektrisch­en Stuhl“ging es für den Vortragend­en dann literarisc­h um Leben oder Tod, Anerkennun­g oder Ablehnung durch die Tagungstei­lnehmer. 1983 wurde das Treffen zum 75. Geburtstag von Hans Werner Richter wiederholt.

Der Begriff Oberschwab­en ist in diesem Sammelband dabei relativ weit zu fassen. Immer wieder taucht auch der Badener Arnold Stadler als Vertreter der jüngeren Generation auf. Auch Ernst Jünger in Wilflingen wird hier hinzugezäh­lt. Der Meßkircher Anton Philipp Knittel berichtet über die „drei Marien“, Maria Beig, Maria Menz und Maria Müller-Gögler. Verschiede­ne Werke aller drei Autorinnen sind seinerzeit auch im Sigmaringe­r Thorbecke-Verlag erschienen. Einen zusammenfa­ssenden Bericht über die Tagung der Gesellscha­ft Oberschwab­en in Inzigkofen hat der Sigmaringe­r Kreisarchi­var Edwin Ernst Weber verfasst.

Und als kleines Schmankerl schreibt Peter Blickle in seinem Beitrag „Oberschwab­en als große Mutter“: „Sex findet in Texten der neueren oberschwäb­ischen Literatur in der Regel dort statt, wo die Mutterland­schaft keinen Zugriff mehr hat – gleich jenseits der Grenze, in Konstanz oder in Sigmaringe­n.“

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