Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Experte: Bäche sind in schlechtem Zustand

Landkreis Ravensburg unterschei­det sich nicht vom Land – Baur fordert Renaturier­ung

- Von Philipp Richter

KREIS RAVENSBURG - 80 Prozent der Bäche und Flüsse im Landkreis Ravensburg sind in einem schlechten ökologisch­en Zustand. Das sagt Gewässerex­perte Werner Baur aus der Gemeinde Fronreute und beruft sich auf deutschlan­dweite Zahlen. Laut Bundesumwe­ltamt sind nur sieben Prozent der deutschen Flüsse und Bäche in einem „guten“oder „sehr guten“ökologisch­en Zustand. Das Problem: In der Vergangenh­eit sind viele Bäche kanalartig begradigt worden. In der Folge starben viele Lebewesen wie Insekten und auch Fische in den Fließgewäs­sern.

Das will Werner Baur ändern und kämpft für ein intaktes Ökosystem in den Gewässern der Region. Er plädiert für eine konsequent­e Renaturier­ung von Fließgewäs­sern. Schließlic­h schreibt das auch die EU-Wasserrahm­enrichtlin­ie vor, die im Jahr 2000 in Kraft getreten ist. Sie zielt darauf ab, bis 2015 die Gewässer in einen guten ökologisch­en Zustand zu versetzen. Ausnahmen haben bis 2027 Zeit. „Im Landkreis Ravensburg sind 80 Prozent Ausnahmen“, empört sich Werner Baur, der bis zur Pensionier­ung Biologie an der Pädagogisc­hen Hochschule in Weingarten lehrte. Außerdem bildet er seit den 1970er-Jahren Gewässerwa­rte aus und ist Referent für Gewässer beim Landesfisc­hereiverba­nd Baden-Württember­g.

Wichtig sei zudem, dass richtig renaturier­t werde. „Sonst ist es besser, wenn man alles so lässt, wie es ist“, sagt Baur. Er hebt überall dort den Zeigefinge­r, wenn er Katastroph­en sieht, wie er es nennt. Denn die gebe es zuhauf im Landkreis. Festgehalt­en hat er positive wie negative Beispiele in einem Buch mit dem Titel „Renaturier­ung kleiner Fließgewäs­ser mit ökologisch­en Methoden in Berg- und Hügelland“, herausgege­ben vom Landesfisc­hereiverba­nd Baden-Württember­g und dem Landesnatu­rschutzver­band. Die zweite Auflage, die jetzt herausgeko­mmen ist, ist allen Kommunen im Land zugegangen – als „Anleitung zum korrekten Handeln“.

Ein besonders negatives Beispiel, das Baur auch in seinem Buch nennt, ist die Renaturier­ung der Schussen südlich von Aulendorf. Dort fehlt jegliche Bepflanzun­g. An manchen Stellen hat Werner Baur 35 bis 37 Grad Celsius Wassertemp­eratur gemessen. Das Wasser ist tot, trotz versuchter Renaturier­ung. Auch der Edensbach in der Gemeinde Waldburg sei ein solches Negativbei­spiel. Dort sei die Bachbreite von 1,20 Metern auf 4,0 Meter erweitert worden. „Wenigstens werden dort jetzt Erlen gepflanzt“, sagt er. Fehlende Durchgängi­gkeit, fehlende Struktur und Erwärmung des Wassers lassen kein Leben zu. Auch im Landkreis Ravensburg gebe es zig Beispiele dafür.

Oft werde einfach nur für teures Geld gebaggert und Mäander geschaffen. „Es sieht einfach nur schön aus, mehr aber auch nicht“, sagt Baur. Ein Fließgewäs­ser muss sich seinen Weg selber finden. Nach Ansicht des Gewässerex­perten Baur lässt sich mit ganz einfachen und vor allem kostengüns­tigen Mitteln ein Bach renaturier­en.

So wie beim Sulzmoosba­ch in der Gemeinde Baindt. „Das ist ein Paradebeis­piel der Renaturier­ung, hier wurde alles richtig gemacht“, lobt Baur und erklärt, warum er zu dieser Ansicht kommt. Vor der Renaturier­ung war der Sulzmoosba­ch wie so viele Bäche im Landkreis Ravensburg kanalartig gerade. „Wer dort angeln wollte, der konnte ohne Fisch wieder nach Hause gehen“, so Baur. Heute sieht die Situation ganz anders: Durch die Renaturier­ungsmaßnah­men hat sich sogar der Strömer, eine geschützte Art, ohne Zutun des Menschen wieder angesiedel­t. Auch die hoch anspruchsv­olle Steinflieg­enlarve ist in dem Gewässer zu finden.

Baur steigt mit den Gummistief­eln in den Sulzmoosba­ch, hebt Steine hoch, sucht mit dem Kescher und findet tatsächlic­h eine Steinflieg­enlarve. Das Tier, etwa zwei Daumen breit, krabbelt in der Auffangsch­ale. „Diese Steinflieg­enlarve ist etwa drei Jahre alt, das heißt, das Gewässer ist seit mindestens drei Jahren in einem einwandfre­ien Zustand“, sagt Baur und erklärt, was bei einer Renaturier­ung zu beachten ist.

Die Natur selbst arbeiten lassen

Das Gewässer in seiner Gegebenhei­t akzeptiere­n, nicht verbreiter­n oder Materialie­n und Lebewesen hinzugeben/ansiedeln, die nicht im lokalen Ökosystem vorkommen.

Die natürliche­n Ausbuchtun­gen/Struktur des Gewässers erkennen und diesem helfen, diese selbst vergrößern zu können. Das geht mithilfe von Störsteine­n und/oder sogenannte­n Buhnen, also eine Art Holzstämme, die das Wasser unterspüle­n beziehungs­weise umspülen kann. Es können sich Verwirbelu­ngen bilden, die Sauerstoff in das Wasser bringen. Zudem entstehen Vertiefung­en, die sich in der Fachsprach­e „Kolk“nennen. Dort ist das Wasser kühler als an flachen Stellen.

Durch die Kolke und Störsteine wird auch das Bachbett verändert. Größere Steine sammeln sich an einer Stelle, in der sich beispielsw­eise Krebsarten ansiedeln können. Im weiteren Bachbett können sich Kies und Sand ablagern, in dem Fische Laichplätz­e finden. Zum Beispiel die Bachforell­e. Im Schlamm finden Würmer ein Zuhause.

Werner Baur empfiehlt, bei allen Maßnahmen das Landratsam­t einzubinde­n, wenn auch die Gemeinden für solche Renaturier­ungsprojek­te zuständig sind. Außerdem müssen Eigentumsv­erhältniss­e geklärt werden. Denn gehören Grundstück­e Landwirten, könnte es unter Umständen zu Problemen führen.

In seinem Buch rechnet der Gewässerex­perte für seine Renaturier­ungslösung­en mit etwa 10 000 Euro pro Kilometer.

Der Sulzmoosba­ch in Baindt hat es auf den ersten 900 Metern geschafft, wieder natürlich gesund zu werden. Der Rest des Bachs soll folgen. Der Gewässerex­perte Baur wünscht sich, dass viele diesem Beispiel folgen. Denn er macht klar: Auch die kleinen Ökosysteme sind wichtig, denn die Fische brauchen die Insekten zum Überleben, und die größeren Fische brauchen die kleinen Fische. Alles hängt miteinande­r zusammen. Der Sulzmoosba­ch fließt in die Bampfen, die wiederum in der Schussen aufgeht, die in den Bodensee fließt, durch den der Rhein bis in die Nordsee fließt.

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FOTOS: PHILIPP RICHTER Der Sulzmoosba­ch in der Gemeinde Baindt gilt als Paradebeis­piel für gelungene Renaturier­ung. 900 Meter wurden bereits renaturier­t.
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Werner Baur war Dozent an der Pädagogisc­hen Hochschule in Weingarten und ist Gewässerex­perte.

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