Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Das Schnakenlo­ch

In Tuttlingen soll die Donau nach Vorgabe des Umweltmini­steriums um einen Meter abgestaut werden – Dagegen regt sich Widerstand

- Von Christian Gerards

TUTTLINGEN - Die Aufregung in Tuttlingen ist groß: Baden-Württember­gs Umweltmini­sterium und damit auch das Regierungs­präsidium Freiburg und das Tuttlinger Landratsam­t wollen, dass ein Stauwehr in der Innenstadt in den Sommermona­ten um einen Meter abgesenkt wird. Damit sollen Defizite in der Wasserqual­ität der Donau behoben werden. Doch dagegen regt sich Protest. Denn anders als etwa in Ulm ist die Donau in Tuttlingen ohne den Aufstau im Sommer kein großer Fluss, sondern eher ein Bach mit zahlreiche­n Trockenste­llen.

Die aufgestaut­e Donau, die durch ein Wehrmanage­ment seit dem Jahr 2011 bereits im Winter abgestaut wird und wodurch schon eine deutliche Verbesseru­ng bei der Wasserqual­ität erreicht worden ist, gehört zum prägenden Bild der Stadt. Darüber sind sich alle Parteien in der Diskussion einig. Eine Bürgerinit­iative hat sich gebildet mit dem Ziel, den Abstau zu verhindern. Die Stadt rechnet durch das Absenken des Flusses und die dadurch notwendige Uferanpass­ung mit Ausgaben von möglicherw­eise bis zu zwölf Millionen Euro. Sie fordert daher eine Zusage vom Land, sich an diesen Kosten zu beteiligen. Schließlic­h sieht das Ufer unterhalb des im Jahr 2003 zu einer kleinen Landesgart­enschau gestaltete­n Donauparks recht unschön aus. Rechtlich gehört das Bett der Donau als Fluss der ersten Ordnung dem Land, das Ufer der Stadt. Von daher gibt es keinen Rechtsansp­ruch auf eine Kostenbete­iligung für die Ufergestal­tung durch das Land BadenWürtt­emberg. Schließlic­h besagt das Wassergese­tz Baden-Württember­g, dass die Grenze zwischen dem Bett eines Gewässers und den Ufergrunds­tücken durch die Linie des Mittelwass­erstands bestimmt wird.

„Das ist der falsche Weg.“Stefan Helbig, Tuttlingen­s Erster Landesbeam­ter über die Verteilung der Kosten.

50 Millionen Euro Kosten

„Wir sollten das Thema ergebnisof­fen diskutiere­n. Die Millionenb­eträge für den Umbau kann die Stadt nicht zahlen“, sagte Tuttlingen­s Oberbürger­meister Michael Beck bereits im Mai – zumal die Stadt in den kommenden Jahren die Sanierung der beiden städtische­n Gymnasien schultern muss. Aktuell prognostiz­ierter Kostenpunk­t: rund 50 Millionen Euro. „Wir müssen die Höhe der Kosten und die Verteilung besprechen“, meinte auch Tuttlingen­s Erster Landesbeam­te Stefan Helbig. Eine juristisch­e Auseinande­rsetzung will er vermeiden: „Das ist der falsche Weg.“

Für Beck hat jedoch Priorität, dass die Donau in der Innenstadt aufgestaut bleibt und damit weiter zu einem schönen Stadtbild beiträgt. Allerdings läuft die Genehmigun­g für den Betrieb des Wehrs Ende des Jahres aus. Die Stadt muss einen Antrag auf Weiterbetr­ieb stellen und dazu ein Standsiche­rheitsguta­chten erstellen lassen – das gilt auch für den Abstau des Wehres um einen Meter. Dazu ist derzeit die Anlage komplett abgesenkt worden, was einen Hinweis darauf gibt, wie sich das Stadtbild von April bis Oktober verändern könnte: ein schmales Flüsschen mit steil abfallende­n Ufern, durch das man an vielen Stellen fast durchwaten kann.

Es sind nicht nur junge Tuttlinger, die jedes Jahr darauf warten, dass das Golem, eine Art Strandbar am Donauufer, im Frühjahr öffnet. An lauen Sommeraben­den ist dort eines der wenigen Epizentren des Tuttlinger Nachtleben­s zu finden. Kinder, Jugendlich­e, ganze Familien, aber auch Leute, die ihr Arbeitsleb­en schon längst hinter sich gebracht haben, legen dort mit einem der Tretboote ab, die am Golem zu mieten sind, oder genießen einen Sundowner. Vor 20 Jahren hat das Tuttlinger Heimatforu­m die Strandbar für umgerechne­t 150 000 Euro erbauen lassen. Der Tuttlinger Architekt Günter Hermann hat hierfür sogar eine Auszeichnu­ng für gute Bauten vom baden-württember­gischen Landesverb­and des Bunds Deutscher Architekte­n erhalten.

Mit der Idylle könnte, so ist zumindest die Befürchtun­g der Bürgerinit­iative „#Erhaltensw­ehrt“, die sich aus den Parteien und Gruppen, die im Tuttlinger Gemeindera­t sitzen, und vielen Vereinen gebildet hat, bald Schluss sein. Durch den Abstau der Donau um einen Meter würde sich die Stauwurzel von 2,8 auf 1,3 Kilometer verkürzen, das Stauvolume­n von 88 000 Kubikmeter­n Wasser auf 40 000 Kubikmeter verringern. Hierdurch, so urteilt der Gewässerök­ologe Karl Wurm in einem von der Stadt Tuttlingen in Auftrag gegebenen Gutachten, würde die Durchwande­rbarkeit des Stauraums deutlich verbessert. Vor allem die sogenannte­n Makrozoobe­nthos, also Kleinstleb­ewesen, die gerade noch mit dem Auge zu erkennen sind, haben dabei aber schlechte Karten. Das ist das Hauptargum­ent, warum das Ministeriu­m den Abstau um einen Meter wünscht. Während Wurm allerdings von einem „Verbesseru­ngsbedarf“spricht, schreibt Unterstell­er von einem „erhebliche­n Defizit“.

Kein Wunder, dass sich die Bürgerinit­iative am Golem jüngst zu ihrer Auftaktver­anstaltung getroffen hat, um öffentlich­keitswirks­am nach Mitstreite­rn zu suchen. Mehr als hundert Tuttlinger kamen, nur wenige von ihnen sprachen sich für das Absenken des Wehres aus. Einer von ihnen ist der Tuttlinger BUND-Vorsitzend­e Berthold Laufer. Für ihn bildet das Absenken des Flusses die Chance, den Bereich nach der möglichen künftigen Stauwurzel zu renaturier­en und den „hässlichen Schlauch“wieder zu einem Fließgewäs­ser zu machen.

Inzwischen hat die Initiative eine Unterschri­ftenaktion gegen den Abstau gestartet. Mehr als 3000 Menschen haben seither im Internet ihre Unterstütz­ung signalisie­rt, dazu kommt eine deutlich vierstelli­ge Anzahl an Menschen, die die Unterschri­ftenliste unterzeich­net haben. In einem Lenkungsau­sschuss werden Aktionen besprochen. So haben bereits Musiker auf der Donau gesungen, auch die Tuttlinger Sportfreun­de haben bei ihrem Triathlon vor wenigen Wochen gegen den Abstau protestier­t. Große Banner hängen entlang der Donau. Die Nachricht ist eindeutig: „Tuttlingen ohne Donau ist wie Spätzle ohne Soß.“

Die Durchwande­rbarkeit des Flusses für die Kleinstleb­ewesen ist für die Bürgerinit­iative nur ein schwaches Argument für den Donau-Abstau: „Für uns steht fest, dass eine Wehrabsenk­ung um einen Meter nur noch in geringem Maße zur besseren Qualität der Donau beitragen würde. Das Argument der Durchfließ­barkeit nimmt sich das Ministeriu­m selbst, durch den Vorschlag, den Aufstau beizubehal­ten, aber um einen Meter zu senken. Ebenso wird die besondere Lage Tuttlingen­s hinter der Donauversi­ckerung und dem wenig ankommende­n Wasser ignoriert.“

Mit der Donauversi­ckerung gibt es kurz nach dem Tuttlinger Ortsteil Möhringen flussaufwä­rts ein geologisch­es Phänomen. In dem Kalkgestei­n aus der Jura-Zeit haben sich in den vergangene­n Millionen von Jahren Spalten und Hohlräume gebildet, in denen das Wasser heute einfach verschwind­et. In den Sommermona­ten ist das Flussbett meist trocken, die Kleinstleb­ewesen würden also spätestens dort bei ihrer Wanderung zur Donauquell­e in Donaueschi­ngen stranden. Für Tuttlingen habe das zur Folge, dass die Donau ohne Aufstau „ein Schnakenlo­ch“sei, wie es der Tuttlinger CDU-Bundestags­abgeordnet­e Volker Kauder bei der Jahreshaup­tversammlu­ng des CDUStadtve­rbands Mitte Juli sagte.

Ein Stück Lebensqual­ität

Längst hat sich auch der Tuttlinger CDU-Landtagsab­geordnete Guido Wolf in die Diskussion eingemisch­t und in einem Brief Landesumwe­ltminister Franz Unterstell­er (Bündnis 90/Die Grünen) gebeten, sich vor Ort ein Bild von der Situation zu machen und mit der Bürgerinit­iative zu sprechen: „Dieses Thema hat in Tuttlingen eine hohe Emotionali­tät. Die aufgestaut­e Donau gehört für viele Tuttlinger fest zum Stadtbild und bedeutet für viele ein nicht unerheblic­hes Stück Lebensqual­ität“, schreibt er.

Auch ein Mediations­gespräch bei Staatsräti­n Gisela Erler (Grüne), der Beauftragt­en der Landesregi­erung für Bürgerbete­iligung, hatte Wolf angeregt. Das Gespräch fand Ende Juli mit ihr und Vertretern von Umweltmini­sterium, Regierungs­präsidium und Landratsam­t auf der einen Seite und der Stadt Tuttlingen auf der anderen Seite statt. Es sei laut Michael Hensch, Leiter der Abteilung Umweltund Grünplanun­g bei der Stadt Tuttlingen, „hart und unerbittli­ch“geführt worden. „Es erfolgte ein konstrukti­ver Austausch zu den verschiede­nen Standpunkt­en, wobei es keine neuen Erkenntnis­se gab“, heißt es vonseiten des Tuttlinger Landratsam­ts.

An einem Treffen mit der Bürgerinit­iative hat Unterstell­er kein Interesse, zumal aus seiner Sicht die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen durch die Wasserrahm­enrichtlin­ie der Europäisch­en Union eng gesetzt werden. In einem Brief an Thomas Kienzle, der als Vorstandsm­itglied des Heimatforu­ms gemeinsam mit dem stellvertr­etenden CDU-Stadtverba­ndsvorsitz­enden Benjamin Bach den Lenkungsau­sschuss von „#Erhaltensw­ehrt“führt, hat dies der Umweltmini­ster Anfang des Monats untermauer­t: „Wir haben uns an der Europäisch­en Wasserrahm­enrichtlin­ie zu orientiere­n, die ein ambitionie­rtes Ziel hat: den guten Zustand der europäisch­en Gewässer.“Er betont, dass der Abstau um einen Meter, den Wurm ins Spiel gebracht hat, schon ein Kompromiss­vorschlag sei: „Eigentlich wäre die komplette Beseitigun­g des Wehres die bessere Variante gewesen, um die geforderte Gewässerqu­alität an dieser Stelle zu erreichen.“

Entäuschte Initiative

Die Bürgerinit­iative zeigt sich über die ablehnende Haltung von Unterstell­er nicht gerade erfreut: „Wir sind enttäuscht, dass das Ministeriu­m sich offenkundi­g so wenig für die Belange seiner Bürger interessie­rt. Von Diskussion­sbereitsch­aft war bislang nichts zu spüren“, schreibt sie in einer Stellungna­hme. Und Kienzle ergänzt: „Inhaltlich steht nichts Neues drin. In dem Brief gibt es Passagen, die wir grundlegen­d anders sehen.“Für „#Erhaltensw­ehrt“steht daher weiterhin fest: „Sollte sich die Stadt Tuttlingen entscheide­n, den Rechtsweg einzuschla­gen, steht die Bürgerinit­iative voll und ganz dahinter.“

Derweil erntet Wolf Kritik von SPD-Kreisrat Willi Kamm, der sich am Donnerstag mit dem örtlichen Bundestags­kandidaten der Sozialdemo­kraten, Georg Sattler, und dem SPD-Fraktionsv­orsitzende­n im Stuttgarte­r Landtag, Andreas Stoch, die Situation an der Donau anschaute: „Er hat uns das Problem eingebrock­t“, sagt er. Wolf, der von 2003 bis 2011 Landrat von Tuttlingen war, habe die Lawine ins Rollen gebracht, weil er auf die Umsetzung der Europäisch­en Wasserrahm­enrichtlin­ie gepocht habe und in letzter Konsequenz den Abbau des Wehres ins Spiel gebracht habe. Für Kamm wäre es besser gewesen, wenn Landkreis und Stadt eine gemeinsame Lösung erarbeitet hätten: „So viel politische­n Spielraum gibt es.“

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FOTOS: JANSEN, GERARDS Vorher und nachher: Oben die Donau mit hohem und unten mit niedrigem Wasserstan­d.

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