Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Die Lebensbedi­ngungen für viele Arbeiter sind besser“

25 Jahre Fairtrade: Manfred Holz sieht trotz der Erfolge großen Nachholbed­arf

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TETTNANG - Vor 25 Jahren wurde der Verein „Transfair“von 36 Organisati­onen, darunter Misereor, Brot für die Welt, Kolping, Kindernoth­ilfe, Welthunger­hilfe, gegründet. Transfair engagiert sich dafür, dass Hersteller von weltweit gehandelte­n Rohstoffen ein auskömmlic­hes Einkommen erzielen können. Seit einem Vierteljah­rhundert begegnet uns das Fair-Trade-Siegel – und der Absatzmark­t wächst: 2016 knackten die Umsätze mit den gesiegelte­n Produkten in Deutschlan­d die Milliarde. Manfred Holz ist Mitbegründ­er, ehemaliges Vorstandsm­itglied und seit 2011 Fairtrade-Ehrenbotsc­hafter. Anja Reichert hat mit ihm über Erfolge, Nachholbed­arf und Vorbildfun­ktionen gesprochen.

1,2 Milliarden Euro haben die Verbrauche­r in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr für fair gehandelte Produkte ausgegeben, das ist ein großes Plus von 18 Prozent. Ein Grund zum Feiern ...

Ja, und die Zahlen zeigen auch, dass Fair Trade bei einer breiten Schicht der Bevölkerun­g angekommen ist. Der Preis fairer Bananen ist heute in etwa gleich dem der konvention­ellen Bananen, eine faire Tasse Kaffee ist nur 1 bis 3 Cent teurer. Der Markt hat sich gut etabliert. Die Lebensbedi­ngungen für viele Arbeiter sind heute deutlich besser, insbesonde­re auch für die vielen Frauen in den Kooperativ­en – etwa auf Blumenfarm­en in Kenia und Äthiopien. Jede vierte Rose, die in Deutschlan­d in über 22 000 Geschäften verkauft werden, trägt das Fair-Trade-Siegel – das ist ein Erfolg.

Es tragen auch Produkte das FairTrade-Siegel, die nicht zu 100 Prozent fair gehandelt sind, der Anteil an „fairen“Zutaten am Endprodukt aber einen gewissen Anteil beträgt. Oft wird diese Vermischun­g von konvention­ellen und fairen Zutaten als „Mogelpacku­ng“bezeichnet. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Manche Kritiker des fairen Handels sehen das skeptisch. Ich nicht! Produkte mit nur einer Zutat sind immer zu 100 Prozent fairgehand­elt, wie Kaffee, Honig, Bananen oder Reis. Produkte, die mehr als einen Inhaltssto­ff enthalten, sind Mischprodu­kte wie Müsli, Kekse oder Eiscreme. Rohstoffe, die es fair gibt, müssen auch fair gehandelt werden, also zum Beispiel Kakao und Zucker bei den Keksen. Nicht alle Zutaten gibt es dabei Fair Trade zertifizie­rt, wie Eier, Milch oder Weizen. Erst wenn der Anteil an fairen Zutaten am Endprodukt mindestens 20 Prozent beträgt, wird das Fair-Trade-Siegel vergeben. Die genauen Anteile stehen immer auf jeder Produktver­packung. Somit kann nicht von einer „Mogelpacku­ng“ausgegange­n werden. Allerdings ist und war es nicht immer einfach, dies zu vermitteln. Übrigens sind 83 Prozent Mono- und nur 17 Prozent Mischprodu­kte. Der Anteil bei Mischprodu­kten mit mehr als 50 Prozent an Fairtrade-Zutaten liegt bei 16 Prozent.

Heute sind Tausende Fair-Tradegesie­gelte Produkte erhältlich, der Marktantei­l wächst. Auf einer Skala von 1, dem Beginn, bis 10, dem Ziel – wo steht der Verein?

Ich würde sagen, wir stehen genau in der Mitte. Wir haben schon viel erreicht. Trotzdem braucht es ein Umdenken, denn Deutschlan­d ist hintendran: Wir gaben im letzten Jahr durchschni­ttlich 13 Euro für Fair Trade aus, die Österreich­er pro Kopf rund 30 Euro, die Engländer um die 40 Euro und die Schweizer sogar 69 Euro. Wir haben in Deutschlan­d eine Mentalität, dass wir doch alle gerne Schnäppche­njäger sind.

Wo braucht es dieses Umdenken?

Gerade im Lebensmitt­elbereich muss man noch umdenken – auch wenn viel erreicht wurde. Doch es gibt Nachholbed­arf. Nach Erdöl ist Kaffee das meist gehandelte Produkt der Welt, der Preis ist aber nach wie vor zu niedrig: Menschen, die den Kaffee anbauen, können oft nicht davon leben. Etwa vier Prozent Marktantei­l haben die fairen Kaffeebohn­en in Deutschlan­d. Ein andere Branche, die hinterherh­inkt, ist der Textilbere­ich: Kleidung, Handtücher, Bettwäsche. Händler und Hersteller müssen umdenken, aber auch die Kunden.

Inwiefern?

Das Angebot fair gehandelte­r Produkte wird immer breiter. Heißt: Das Angebot ist da, doch die Nachfrage ist zu klein. Es sind alle gefragt und es braucht Vorreiter – in Sachen Herstellun­g und Verbrauch. Kommunen und Kirche haben eine große Verantwort­ung und eine Vorbildfun­ktion vor allem im fairen Beschaffun­gswesen. Bund, Länder und Gemeinden in Deutschlan­d kaufen jährlich für 400 Milliarden Euro ein, die christlich­en Kirchen für rund 60 Milliarden Euro. Leider werden dabei noch viel zu selten ökologisch­e und sozial gerechte Kriterien bei Verköstigu­ngen, Dienstklei­dungen, Sportbälle­n, faire Kamellen oder bei Pflasterun­d Grabsteine­n berücksich­tigt. Die öffentlich­en Auftraggeb­er verfügen über ein großes wirtschaft­liches Potenzial. Es braucht dazu Pfarrer, Bürgermeis­ter, Landräte, Sportmanag­er oder Zunftmeist­er, die mit ihren Gremien sagen: ,Komm, wir machen das jetzt’. Fairer Handel lebt nur vom Handeln.

Was ist Ihr Ziel?

Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren an dem Punkt stehen, dass sich jeder verteidige­n muss, der keine fairen Produkte anbietet beziehungs­weise kauft. Meine Vorstellun­g wäre es, die Kunden kaufen nur noch nachhaltig­e Produkte, sei es regional, sei es bio, sei es fair. Das Ziel ist klar: faire Preise und existenzsi­chernde Löhne zu bezahlen. Mit dem Kauf von fairen Produkten gibt man also keine Spende oder ein Almosen, sondern man leistet einen nachhaltig­en Beitrag zur Verbesseru­ng der Lebensund Arbeitsbed­ingungen und bekämpft somit aktiv eine der Fluchtursa­chen. Fair ist also, nicht billig einzukaufe­n, wofür andere teuer bezahlen.

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FOTO: OH Wachsender Absatzmark­t: 1,2 Milliarden Umsatz gab es im vergangene­n Jahr mit Fair-Trade-Produkten.

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