Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Die SPD muss in unsere Richtung marschiere­n“

Linken-Chef Bernd Riexinger sieht wenig Chancen für einen Machtwechs­el bei der Bundestags­wahl

- Www.schwäbisch­e.de/qualurne

RAVENSBURG - Der Vorsitzend­e der Linksparte­i, Bernd Riexinger, wirft den Sozialdemo­kraten vor, die Chance auf Rot-Rot-Grün nach der Bundestags­wahl „zu vergeigen“. Solange SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz „nicht als Alternativ­e zu Merkel erkennbar ist“, habe er keine Machtoptio­n, sagte Riexinger im Gespräch mit Hendrik Groth und Claudia Kling. Zugleich betonte Riexinger, der auf Platz eins der baden-württember­gischen Landeslist­e für den Bundestag kandidiert, dass seine Partei mehr als „nur kleine Korrekture­n an der neoliberal­en Politik“will. Dazu gehöre auch eine Vermögenst­euer.

Herr Riexinger, der Wahlkampf nimmt gerade erst Fahrt auf, und dennoch hat man den Eindruck, die Linke habe Rot-Rot-Grün bereits abgeschrie­ben. Stimmt das?

Nein, an uns wird Rot-Rot-Grün nicht scheitern. Wir wollen, dass Merkel abgewählt wird, denn nur wenn es einen Politikwec­hsel gibt, geht die soziale Schere im Land nicht noch weiter auf. Aber die SPD ist dabei, das zu vergeigen. Das kann man nicht anders sagen. Martin Schulz hat zu Beginn seiner Kandidatur mit der Frage der sozialen Gerechtigk­eit gezeigt, dass eine resozialde­mokratisie­rte SPD ein zusätzlich­es Wählerpote­ntial von zehn Prozent anspricht. Diese Chance hat er aber mutlos liegen lassen durch Fehlentsch­eidungen – beispielsw­eise, indem er eine Koalition mit der FDP in Erwägung gezogen hat. Wer glaubt, dass man mit der FDP in Fragen der sozialen Gerechtigk­eit weiterkomm­t, glaubt auch daran, dass man Haifische zu Vegetarier­n erziehen kann. Und die Grünen scheinen sich ohnehin unter Merkels Rock wohler zu fühlen.

Das heißt also, Rot-Rot-Grün bleibt für Sie ein Zukunftspr­ojekt?

Im Moment reicht es rechnerisc­h nicht, aber es sind noch sechs Wochen, wobei ich nicht sehe, wie die SPD aus dem Keller kommen könnte. Letztlich schließen nur wir aus, Merkel wieder zur Kanzlerin zu wählen. Deshalb signalisie­rt eine starke Linke am deutlichst­en den Wählerwill­en nach einem Politikwec­hsel. Wir wollen ein zweistelli­ges Ergebnis erzielen. Dann haben wir auch die Chance, einen Teil unserer Forderunge­n durchzubek­ommen.

In der Außenpolit­ik, die in Zeiten von US-Präsident Donald Trump und Brexit immer wichtiger wird, bietet die Linke für Sozialdemo­mit kraten und Grüne keine Ansprechpa­rtner.

Wir müssen uns SPD und Grünen auch nicht andienen, wir haben eigene ganz klare Vorstellun­gen zur Europapoli­tik. Wir wollen die soziale Spaltung in Europa überwinden. Die europäisch­e Idee wird zerstört, wenn es Länder mit 50 Prozent Jugendarbe­itslosigke­it gibt. Eine Nivellieru­ng der europäisch­en Sozialstan­dards und einen Steuerwett­bewerb nach unten muss verhindert werden. Und wir wollen keine militärisc­he Außenpolit­ik in Europa, sondern eine aktive Friedenspo­litik. Das Drama der Sozialdemo­kratie besteht doch gerade darin, dass sie mit ihrer neoliberal­en Politik in Europa nur verloren hat. In den Niederland­en und in Frankreich liegt sie noch bei sechs Prozent.

Dieselskan­dal, Vermögenst­euer, Bundeswehr­einsätze im Ausland: In all diesen Themen sind Sie doch weiter von der SPD entfernt als die SPD von der CSU.

Ich finde, da tun Sie Horst Seehofer unrecht. Schulz versucht sich als zweiter Macron zu inszeniere­n, aber in Deutschlan­d brauchen wir keinen zweiten Macron, weil Macron bei uns Merkel ist. Sie vertritt eine neoliberal­e Politik – mit sozialdemo­kratischen Anleihen, wenn es dem Machterhal­t nutzt. Solange Schulz nicht als Alternativ­e zu Merkel erkennbar ist, hat er keine Machtoptio­n. Aber das ist doch für uns kein Grund, uns an eine aufgeweich­te sozialdemo­kratische Politik mit großer Nähe zur CDU anzupassen. Wir sind das Kontrastpr­ogramm, wir machen den Unterschie­d. Die SPD muss in unsere Richtung marschiere­n.

Aber da wedelt doch der Schwanz dem Hund, wenn die kleine Partei der größeren Vorgaben machen will.

Keine Vorgaben, sondern einfache politische Logik. Deutschlan­d braucht keine fünfte Partei, die nur kleine Korrekture­n an der neoliberal­en Politik vornehmen will. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung. Wir stehen für eine Politik, die zu höheren Löhnen und Renten führt, zu mehr Steuergere­chtigkeit und zu mehr Investitio­nen in Bildung, Erziehung und Gesundheit.

Die Linke hat vergangene Woche Verständni­s für die Politik des venezuelan­ischen Präsidente­n Nicolas Maduro geäußert. Zeigt das nicht, wie weit entfernt Ihre Partei von einer Regierungs­partei ist?

Ich habe als Vorsitzend­er der Linken eine sehr differenzi­erte Stellungna­hme zu Venezuela abgegeben. Darin kann von übertriebe­nem Verständni­s für Maduro keine Rede sein. Natürlich muss er anerkennen, dass es eine Opposition gibt und dass er die politische Beteiligun­g gewählter Parlamenta­rier nicht einschränk­en kann. Wir lehnen es aber auch ab, wie die Opposition agiert. Das würde auch nach unseren Maßstäben hier niemals akzeptiert werden. Das haben die Diskussion­en über die Gegendemon­strationen beim G20-Gipfel gezeigt.

Sie streben bundesweit ein zweistelli­ges Ergebnis an, in BadenWürtt­emberg ist es unsicher, ob Sie auf mehr als fünf Prozent kommen. Warum gelingt es Ihnen hier nicht, die Wähler zu überzeugen. Geht es den Menschen zu gut?

Wir wachsen in Baden-Württember­g in den Städten und bekommen sehr viel Zulauf von jungen Leuten. Aber wir haben eine Schwäche im ländlichen Bereich. Dort ist die Partei weitaus weniger präsent als in den Großstädte­n. Aber es ist nicht so, dass es allen in Baden-Württember­g gut geht. Auch hierzuland­e arbeiten 20 Prozent der Bevölkerun­g in prekären Arbeitsver­hältnissen, es gibt einen Niedrigloh­nbereich und gleichzeit­ig schießen die Mieten in die Höhe. Viele Menschen müssen kämpfen, um sich das noch leisten zu können.

Wenn Sie Ihr Wahlprogra­mm, das kurz gesagt mehr Geld für alle, nur nicht für die Reichen vorsieht, in ein Regierungs­programm umsetzen könnten, müssten Sie doch Mehreinnah­men generieren, um dies gegenfinan­zieren zu können. Wie soll das funktionie­ren, wenn Sie gleichzeit­ig die Leistungst­räger in der Gesellscha­ft vergrätzen?

Für mich sind Krankenpfl­egerinnen, Erzieherin­nen und Verkäuferi­nnen Leistungst­räger in der Gesellscha­ft. Sie müssen sich manchmal fast Rollschuhe anschnalle­n, um ihren Aufgaben hinterherz­ukommen und verdienen dennoch zu wenig. Deshalb wollen wir alle mit kleinen und mittleren Einkommen steuerlich entlasten. Wer zum Beispiel 3400 Euro im Monat hat, bekäme mit uns im Monat 100 Euro mehr raus. Damit das aufkommens­neutral bleibt, müssen wir auf der anderen Seite diejenigen, die mehr als 7100 Euro im Monat bekommen, stärker belasten. Das trifft dann übrigens auch die Bundestags­abgeordnet­en.

Die oberen 50 Prozent der Gesellscha­ft zahlen doch jetzt schon 95 Prozent der Steuereinn­ahmen in Deutschlan­d. Warum braucht es dann weitere Steuererhö­hungen?

Da lassen Sie die Mehrwertst­euer unberücksi­chtigt. Die zahlen überpropor­tional die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, weil sie ihr Geld weitgehend in den Konsum stecken müssen. Die Einkommens­verhältnis­se haben sich immer weiter auseinande­r entwickelt. Die oberen zehn Prozent haben in den vergangene­n 13 Jahren einiges dazubekomm­en, während die unteren 40 Prozent leer ausgingen, und die untersten zehn Prozent sogar 11,7 Prozent minus gemacht haben. Dabei ist der gesellscha­ftliche Reichtum insgesamt um fast 40 Prozent gestiegen, und die Unternehme­nsgewinne sind in die Höhe geschossen. Alle reden von der Entlastung des Mittelstan­ds, aber nur wir haben ein seriöses Konzept vorgelegt. Dazu gehört auch eine Steuer auf Vermögen von mehr als einer Million Euro, um die Investitio­nen in Bildung, Erziehung und Gesundheit zu finanziere­n. Ohne Vermögenst­euer funktionie­rt das nicht

Und auf welches dieser Vorhaben würden Sie verzichten, wenn Sie dann mitregiere­n könnten?

Als Gewerkscha­fter, der viele Tarifverha­ndlungen mitgemacht hat, kann ich Ihnen versichern, dass man nie im Leben in Verhandlun­gen reingeht und schon vorher sagt, wie der Kompromiss aussehen könnte. Erst einmal muss doch jede Partei für ihre eigenen Konzepte werben und danach muss man sich um die Kompromiss­linien kümmern.

Sehen Sie Bernd Riexinger im Video, wie er die Fragen unserer „Qualurne“beantworte­t unter

 ?? FOTO: MICHAEL SCHEYER ?? Linken-Chef Bernd Riexinger zu Gast in der Redaktion – mit den Redakteure­n Hendrik Groth (li.), Claudia Kling und Alexei Makartsev.
FOTO: MICHAEL SCHEYER Linken-Chef Bernd Riexinger zu Gast in der Redaktion – mit den Redakteure­n Hendrik Groth (li.), Claudia Kling und Alexei Makartsev.
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