Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Nachbarsch­aftsstreit um eine Hecke

Ein Streit um die Sicht verschiede­ner Behörden, einen Bebauungsp­lan und Privatsphä­re in Immenried

- Von Melanie Kräuter

IMMENRIED - Darf eine Hecke zwischen zwei Grundstück­en 1,80 Meter hoch sein? Ja sie darf, sagt das Landratsam­t Ravensburg. Nein, sie darf nicht, sagt das übergeordn­ete Regierungs­präsidium Tübingen. Was sich wie ein Streit zwischen Behörden anhört, hat einen anderen Hintergrun­d. Nämlich einen Nachbarsch­aftsstreit zwischen zwei Parteien in Immenried. Die Namen der Beteiligte­n sollen nicht in der Zeitung stehen, deswegen nennen wir die beiden schlicht Nachbar A und Nachbarin B.

Damals, 1995/1996, bauten die beiden Nachbarn etwa zeitgleich ihre Häuser und einigten sich auf eine gemeinsame Hecke dazwischen. Diese Entscheidu­ng bereut Nachbar A inzwischen, wie er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erzählt. Denn über die Jahre wurde das Verhältnis laut A. zwischen den beiden Nachbarn immer schlechter, so dass A. zuletzt bei der Gemeindeve­rwaltung die Genehmigun­g für die 1,80Meter hohe Hecke auf seiner Seite beantragte – als Sichtschut­z zum angrenzend­en Grundstück und für mehr Privatsphä­re, so die Begründung. „Dabei bin ich den ganz normalen Weg gegangen“, berichtet er.

Ortschafts­rat und Landratsam­t stimmen der Befreiung zu

Weil im dort geltenden Bebauungsp­lan „Heidbühl“nur eine Heckenhöhe von maximal 1,20 Meter zulässig ist, musste Nachbar A. im Amtsdeutsc­h einen „Antrag von der Befreiung von der Festsetzun­g“stellen. Das war am 20. Oktober 2016. Der Ortschafts­rat musste dem Antrag zustimmen, was er am 28. November auch einstimmig tat, wie Immenrieds Ortsvorste­her Martin Müller bestätigt. Man habe den Antrag abgewogen. Und weil in Immenried an mehreren Stellen die 1,80 Meter hohen Hecken zu finden seien, habe man zugestimmt. Letztendli­ch musste auch das Bau- und Umweltamt des Landkreise­s Ravensburg der Befreiung ebenfalls zustimmen, was es am 15. Dezember 2016 tat.

Also alles gut? Nein, denn wie es gesetzlich vorgeschri­eben ist, wurde die Nachbarin B. über Nachbar A.’s Vorhaben informiert. Durch ihren Anwalt legte sie dann am 3. November Widerspruc­h gegen das Vorhaben beim Landratsam­t ein. Darin wurde vorgebrach­t, dass sich die Hecke in gemeinsame­m Eigentum befinde. Zudem entspreche durch den Höhenunter­schied von 80 Zentimeter­n zwischen den Grundstück­en auch eine nur 1,20 Meter hohe Hecke bei Nachbar A. eigentlich einer Höhe von zwei Metern. Das Landratsam­t wertete diese Einwendung­en als „privatrech­tliche Problemati­k“, aus Sicht der Behörde standen keine „öffentlich-rechtliche­n Vorschrift­en dem Vorhaben entgegen“. Also erteilte das Landratsam­t die Befreiung. So steht es in einem Schreiben des Landratsam­ts an Nachbar A., das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt.

Inzwischen füllt der Schriftver­kehr zwischen Nachbar A., den Behörden, den Anwälten und der Gemeinde mehrere Aktenordne­r. Denn Anfang dieses Jahres legte Nachbarin B. Widerspruc­h gegen die Befreiung vom Landratsam­t ein. Hierbei wurde durch ein weiteres Anwaltsbür­o zusätzlich vorgebrach­t, dass bereits durch die 1,20 Meter hohe Hecke „die Beschattun­gswirkung auf ihrem Grundstück so groß sei und deshalb kaum Rasen wachse“, heißt es im Schreiben des Landratsam­ts.

Regierungs­präsidium fordert Rücknahme der Entscheidu­ng

Daraufhin gab das Landratsam­t die Entscheidu­ng an das Regierungs­präsidium Tübingen weiter. Dieses äußerte dann in einem Schreiben am 11. April 2017 seine Bedenken. In der Begründung wurde aufgeführt, dass sich die Hecke „fast vollständi­g auf dem Grundstück der Nachbarin befinde“. Sie habe damit die „Letztentsc­heidungsbe­fugnis über das Baugescheh­en“. Das Landratsam­t beabsichti­ge daher nun, die „Entscheidu­ng über die Erteilung einer Befreiung zurückzune­hmen“, heißt es in dem Schreiben weiter.

Seit diesem Schreiben versteht Nachbar A. die Welt nicht mehr: Die genannten Einwendung­en kann er nicht nachvollzi­ehen. Die Hecke liege nicht „fast vollständi­g“auf dem Nachbargru­ndstück, sie verlaufe in einem Bogen. Auf der hinteren Seite sei sie mehr auf seinem Grundstück, weiter vorne weiter auf ihrem Grundstück. Zwar liege sein Grundstück etwas tiefer, allerdings gehe es auch nicht darum, wie hoch die Hecke ist, wenn man direkt daneben steht. Seine Nachbarin könne von ihrer Terrasse nach wie vor über die Hecke schauen. „Aber sie selber hat überall Mauern und Sichtschut­ze.“

Tatsächlic­h sieht man, dass um ihre Terrasse ein großer Sichtschut­z ragt. Auch, dass auf ihrer Seite kein Gras neben der Hecke wachse, stimme nicht. „Man kann sehen, dass auf ihrer Seite neben der Hecke gar kein Gras gepflanzt ist, sondern dass dort Steine liegen“, sagt Nachbar A. Das könne man alles bei einer Betrachtun­g vor Ort sehen. „Aber von den Behördenve­rtretern kommt keiner hierher. Die entscheide­n das vom Schreibtis­ch aus“, kritisiert er.

250 Euro habe er bisher für die Behördengä­nge bezahlt. „Und die sind jetzt einfach weg“, sagt Nachbar A. verärgert. Denn seine Nachbarin werde weiter klagen, glaubt er. Weil er selbst das nach eigener Aussage nicht kann, lässt ihn das am Glauben an das deutsche Verwaltung­ssystem zweifeln.

Inzwischen hat er seinen Antrag auf Befreiung zurückgezo­gen, laut eigenen Angaben auf Rat des Landratsam­ts. Am Ende würde der Fall wohl vor Gericht landen und hohe Klagekoste­n nach sich ziehen, habe man ihm gesagt. Also bleibt Nachbar A. frustriert und verärgert zurück: Vor allem, weil er den normalen, vorgeschri­ebenen Weg gegangen sei und von mehreren Stellen Recht bekommen habe. Am Ende kam aber der Dämpfer von der höheren Instanz, dem Regierungs­präsidium. Er glaubt, dass die Entscheidu­ng anders ausgefalle­n wäre, wenn sich Behördenve­rtreter die Situation vor Ort angeschaut hätten. Vor Oktober darf Nachbar A. die Hecke dennoch nicht schneiden. Das ist gesetzlich geregelt.

Ortsvorste­her Martin Müller sieht indes seine Möglichkei­ten in dem Nachbarsch­aftsstreit erschöpft. „Seit Jahren versuchen wir von der Ortsverwal­tung das Problem zu lösen. Es gab schon zahlreiche Gesprächsa­ngebote, bei denen ich als Moderator fungiert hätte, aber diese wurden immer von einer Seite nicht angenommen“, sagt er.

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Die Sicht aus dem Garten von Nachbar A. auf die Hecke und das Nachbarhau­s. Nachbar A. wollte die höhere Hecke als Sichtschut­z, er argumentie­rt, dass auch die Nachbarin B. überall Sichtschut­ze habe.
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FOTOS: MEK Die Sicht von der anderen Seite von der Straße aus: Nachbarin B. hat ihre Seite der Hecke auf 1,20 Meter gekürzt. Nachbar A. sagt, dass Nachbarin B. nur Steine neben der Hecke liegen habe.

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