Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Modernes Spiel mit Liebe, Leid und Tod
Ausstellung „Kraftquellen“auf Schloss Achberg zeigt zeitgenössische Künstler und alte sakrale Kunst
ACHBERG - Kann moderne Kunst sakral sein? Darf sie es? Will sie es? Oft gestellte Fragen. Aparte Antworten gibt die Ausstellung „Kraftquellen“auf Schloss Achberg, die mit einem originellen Konzept aufwartet: 16 Künstler haben sich zur Annäherung an das Religiöse unter 80 Kunstwerken aus der Sammlung der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) umgesehen und ihre jeweiligen Favoriten ausgewählt. Die Resultate dieser Kontaktaufnahmen sind nun so heterogen wie die Originale selbst – anregend allemal.
Christus, Maria, Johannes, Engel, Heilige – warum gerade jetzt diese Parade auf Achberg? „Religion liegt in der Luft“Maximilian Eiden, Leiter des Kultur- und Archivamtes des Landkreises Ravensburg, zieht lächelnd die Luther-Karte. Im Reformationsgedenkjahr steht es schließlich jeder Kunstinstitution gut an, sich Glaubensdingen zu widmen – zumal wenn sie mit Pfunden wuchern kann wie dem hochwertigen OEW-Fundus. Zwar reicht der Luther-Bezug nicht sehr weit. Es ist vorreformatorische oder gegenreformatorische Kunst zwischen 1150 und 1800, die hier in Kontakt mit der Moderne tritt, und die protestantische Bilderwelt hat ja eher Seltenheitswert in Oberschwaben.
Spirituelle Stimulanzien
Aber die „Patenschaften“zwischen alter und neuer Kunst, die die bestens in der Szene vernetzte Kuratorin Ilonka Czerny für die Achberger Schau gestiftet hat, greifen durchaus aktuelle spirituelle Tendenzen auf, die sich mit unserer Lebenswelt auseinandersetzen. Manche Überinterpretationen, manche Verrätselungen, gewiss. Aber was angenehm überrascht: Mögen die altehrwürdigen Werke nun wahre spirituelle Stimulanzien sein oder nur intellektuelle Sparringspartner, der ansonsten übliche Missbrauch alter sakraler Kunst für die billige Effekthascherei religionsferner Künstler hält sich in engen Grenzen.
Wie immer ist Achberg mit seiner Architektur ein Aktivposten an sich. Da thront ein Engel, geschaffen vom hochbegabten Johann Joseph Christian um 1760, umgeben von rauschhaften Rosengebilden aus Wolle im „Raum der überirdisch-irdischen Liebe“von Susanna Taras. Und über ihm schwebt der Götterbote Hermes mit seinen Flügelchen an Helm und Füßen – nur möglich in einem solchen barocken Stuckparadies. Als stark symbolbeladene Blume hat die Rose auch die Franziskanerin M. Pietra Löbl inspiriert. Ihre Objekte aus echten Rosenblättern korrespondieren aufs Schönste mit den Rosengirlanden der Gästezimmertapete und mit der reizenden Figur einer Maria – Rose ohne Dornen – um 1470/80. Ein romanisches Kreuz hat Jeanette Zippel als Bezugspunkt für ihr Hängeobjekt aus echtem Bienenwachs ausgewählt. Soziales Sterben des Heilands, soziales Leben der Bienen – eine interessante Parallele. Und auch hier spielt die alte Tapete mit: Ihre modern anmutenden Op-artQuadrate lassen sofort an Waben denken.
Manchmal sind geistige Rösselsprünge gefragt: Sonja Alhäuser entwickelt ihre fantasievollen Umsetzungen von Kochrezepten aus der Begegnung mit einer liebreizenden „Unterweisung Mariens“von Dominikus Hermenegild Herberger, Schöpfer der Allegorien im Bibliothekssaal Wiblingen. Alhäuser wurde ebenfalls von ihrer Mutter unterwiesen – am Herd. Auch Thom Barths Zusammenspannen zweier Putten auf einem Barockbild mit zwei Putten-Torsi in seinem MixedMedia Objekt erfordert Einfühlung. Oder Daniel Brägs Gegenüberstellung einer Reliquienbüste des Meisters von Eriskirch um 1420 mit seinem brillant geschnitzten Konterfei aus Eichenholz – eigene Blutreliquie inbegriffen. Oder Iris Wöhr-Reinheimers Umfunktionierung der Heiligen Drei Könige zu Frauen in einer Persiflage auf die WhatsApp-Kultur. Oder Laurenz Theinerts oszillierende Lichtprojektionen auf einer versehrten Pietà um 1500. Oder Jan Dietrichs Smartphone-Film-Spiel im Halbdunkel mit einem heiligen Sebastian um 1700.
Kein Ende des Leids
Ilonka Czernys Textbanner geben Orientierungen vor, Interpretationshilfen. Manches erschließt sich spontan: Karolin Bräg konfrontiert ein munteres Engelspärchen des Spätbarockvirtuosen Johann Georg Dirr mit dem Foto einer Mutter und ihrem im Krieg ermordeten Kind. Wo waren die Schutzengel? Theodizee mit modernen Mitteln. Klaus Illi arbeitet in seiner Installation mit Foto, Videofilm, Betstuhl, Himmelsleiter und spätgotischer trauernder Maria sehr anrührend das Schicksal der 2016 in Freiburg ermordeten Studentin Maria Ladenburger auf. Matthias Beckmann umgibt Michael Zeynslers wundervolles Relief einer „Flucht nach Ägypten“von 1525/30 mit milieusicheren Zeichnungen aus einer Berliner Flüchtlingsunterkunft. Und Rolf Wicker legt einen frühbarocken Grabchristus von Martin Zürn in das Leichtbauplatten-Modell einer Grabkammer aus der Etrusker-Nekropole Cerveteri.
Bei zwei Figuren drängen sich – mit Verlaub – kunsthistorisch bedingte Zweifel auf. Ob die Figur mit Dornenkrone, die Wim Weppelmann zu seinen Selbstporträts als nackt und schutzlos am Boden liegende Kreatur animierte, wirklich als spätgotischer „Himmelfahrtschristus“ geschnitzt wurde, steht dahin. Auch beim barocken Christus um 1650 – ebenfalls mit Dornenkrone, aber deklariert als „Auferstehungschristus“und umgeben von Fotos der Weinbergterrassen von Sanssouci – denkt man eher an einen „Schmerzensmann“. Immerhin funktioniert dann die Assoziation des Blutopfers Christi.
Den stärksten Eindruck aber hinterlässt die Installation „Eternal Eclipse“von Christoph Brech. Hinter dem Christuskopf einer Kreuzigungsgruppe um 1480/90 im Halbdunkel läuft der Video-Film einer totalen Sonnenfinsternis ab. Aber sie hört nicht auf. Will heißen: Kein Ende des Leids auf Erden. Wenn man nicht an die Erlösung glaubt …
Zeit sollte man sich nehmen für diese Ausstellung, und aufgeschlossen sollte man sein für Begegnungen der besonderen Art. Es lohnt sich.
Bis 22. Oktober, Öffnungszeiten: Sa., So. und Fei. 10-18 Uhr. Mehr unter: