Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Der Amazonas und das schwarze Gold
Bisher galten Flüsse als korallenfeindlich – In Brasilien ist erstmals ein riesiges Riff untersucht worden
MACAPÁ (dpa) - Die ersten Bilder haben die Forscher verzückt. „Ein Sensationsfund“, meint die deutsche Meeresbiologin Sandra Schöttner. „Wir wollen einen verborgenen Schatz sichtbar machen.“Schöttner spricht vom bisher wohl weltweit einzigen großen Korallenriff, das in einer Flussmündung entdeckt worden ist. Im Mündungsbereich des Amazonas im Atlantik vor Brasiliens Küste. Der Haken: Das Wunder der Natur steht hier in direkter Konkurrenz zu geplanten Ölbohrungen.
Allein die Ausmaße des Riffs sind enorm: 9500 Quadratkilometer bis an die Küste von Französisch-Guyana; zwischen 30 und 120 Meter tief, völlig unterschiedliche Strukturen. Es handelt sich um ein Gebiet, ungefähr so groß wie die WattenmeerSchutzgebiete von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und den Niederlanden zusammen, betont die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Hinweise, dass hier etwas sein muss, gibt es schon seit den 1970-erJahren. Fischer berichteten von Fischarten, die nur an Korallenriffen vorkommen, zudem gab es eine Häufung von Schwämmen.
Ein Team um den Forscher Fabiano L. Thompson von der Universität Rio de Janeiro erkundete in den letzten Jahren das Riff-Gebiet. 2016 wurde der Fund erst in seiner Dimension bekannt. Aber erst vor Kurzem konnten erstmals mit einem ForschungsU-Boot Unterwasseraufnahmen gemacht werden.
Blaue Welt von Schwämmen
Zu Gesicht bekamen die Forscher eine einzigartige, blaugetünchte Welt von Schwämmen, Hart- und Weichkorallen, Rotalgen und Millionen von Fischen. Bisher sind nur kleine Teile kartiert. Und Thompson, der auch jetzt wieder dabei ist, und sein Team sind erstaunt: Das Riff könnte noch viel größer und tiefer sein als bisher angenommen.
Greenpeace hat aus Europa das große Forschungsschiff „Esperanza“ („Hoffnung“) geschickt, von dort werden die Tauchgänge des Mini-UBoots gesteuert. „Wir sind die Allerersten, die das Riff, live, mit unseren Augen sehen“, sagt Schöttner. Die 38Jährige ist auch an Bord – bei Greenpeace Deutschland ist sie zuständig für die Themen Meere und Biodiversität. Sie hat über Korallenriffe promoviert und vor genau zehn Jahren mit einem Tauchboot bereits das größte Kaltwasserkorallenriff der Welt in Norwegen in Augenschein genommen.
Warum ist dieser neue Fund eigentlich so bedeutsam? Die Forscher – etwa 45 sind an diesem Projekt beteiligt – sprechen von einem „der wichtigsten meeresbiologischen Funde seit Jahrzehnten“.
Eigentlich gelten Flussgebiete bisher als Lebensräume, die nicht für Korallen geeignet sind. Und in diesem Fall treffen Süß- und Salzwasser aufeinander, der Amazonas transportiert viel Sediment und organisches Material, dass das Wasser stark trübt. Aber Korallenriffe brauchen eigentlich klares Wasser: Das Licht dient ihnen als Energiequelle, damit ausreichend Fotosynthese der Algen möglich ist.
So hat sich im Mündungsgebiet des Amazonas ein ganz besonderes, dreigeteiltes Riff entwickelt: Von Süden nach Norden wechselt das Wasser von sehr hell zu dunkler, von viel Leben zu weniger Leben.
Interessant sei auch die Bedeutung des Riffs als Zukunftsorakel, sagt Schöttner. Es kann der Wissenschaft Hinweise liefern, wie Riffe sich verändern könnten, die durch den Klimawandel unter erschwerten Bedingungen überleben müssen. Die zunehmende Ozeanversauerung und der steigende Sediment- und Nährstoffeintrag seien schon jetzt ein ganz massives Problem in vielen Riffsystemen. „In diesem bisher einzigartigen Ökosystem scheinen die riffbildenden Lebewesen wie Korallen, Kalkalgen und Schwämme aber zu überleben, ohne dass das Meerwasser ausgesprochen klar, sonnendurchflutet und sauerstoffreich ist“, betont Schöttner.
Warum ist eigentlich Greenpeace federführend mit von der Partie? Sandra Schöttner, Meeresbiologin Weil hier ein Umweltkonflikt am Horizont aufzieht. Und das Beispiel zeigt, wie die Umweltschützer weltweite Kampagnen aufziehen – in diesem Fall unter anderem gegen Ölkonzerne wie BP (Großbritannien) und Total (Frankreich). „Wir bauen Druck auf, das Ganze bekommt ein Gesicht“, meint Schöttner mit Blick auf die einzigartigen Unterwasseraufnahmen.
„Wir wollen einen verborgenen Schatz sichtbar machen.“
Konzessionen für Ölbohrungen
In dem Gebiet wurden schon vor einiger Zeit, als man noch nichts Handfestes und Genaueres von dem Riff wusste, Umweltverträglichkeitsprüfungen gemacht. Es wurden Konzessionen für Ölprobebohrungen vergeben. Hier lagern wahrscheinlich große Mengen des schwarzen Goldes. Doch in Zeiten von Solar- und Windenergie, der Hoffnung auf eine E-Auto-Welle, kämpft die Organisation Greenpeace verbissen gegen die geplante Ölförderung.
An den Küsten gibt es zudem eines der größten Mangroven-Ökosysteme der Erde, indigene Gemeinden leben dort. Durch einen Unfall bei der Ölförderung könnte es zu einer dramatischen Katastrophe kommen. Rund um das gesamte Gebiet des Amazonas-Riffs.