Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Amazonas und das schwarze Gold

Bisher galten Flüsse als korallenfe­indlich – In Brasilien ist erstmals ein riesiges Riff untersucht worden

- Von Georg Ismar

MACAPÁ (dpa) - Die ersten Bilder haben die Forscher verzückt. „Ein Sensations­fund“, meint die deutsche Meeresbiol­ogin Sandra Schöttner. „Wir wollen einen verborgene­n Schatz sichtbar machen.“Schöttner spricht vom bisher wohl weltweit einzigen großen Korallenri­ff, das in einer Flussmündu­ng entdeckt worden ist. Im Mündungsbe­reich des Amazonas im Atlantik vor Brasiliens Küste. Der Haken: Das Wunder der Natur steht hier in direkter Konkurrenz zu geplanten Ölbohrunge­n.

Allein die Ausmaße des Riffs sind enorm: 9500 Quadratkil­ometer bis an die Küste von Französisc­h-Guyana; zwischen 30 und 120 Meter tief, völlig unterschie­dliche Strukturen. Es handelt sich um ein Gebiet, ungefähr so groß wie die Wattenmeer­Schutzgebi­ete von Schleswig-Holstein, Niedersach­sen und den Niederland­en zusammen, betont die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace. Hinweise, dass hier etwas sein muss, gibt es schon seit den 1970-erJahren. Fischer berichtete­n von Fischarten, die nur an Korallenri­ffen vorkommen, zudem gab es eine Häufung von Schwämmen.

Ein Team um den Forscher Fabiano L. Thompson von der Universitä­t Rio de Janeiro erkundete in den letzten Jahren das Riff-Gebiet. 2016 wurde der Fund erst in seiner Dimension bekannt. Aber erst vor Kurzem konnten erstmals mit einem Forschungs­U-Boot Unterwasse­raufnahmen gemacht werden.

Blaue Welt von Schwämmen

Zu Gesicht bekamen die Forscher eine einzigarti­ge, blaugetünc­hte Welt von Schwämmen, Hart- und Weichkoral­len, Rotalgen und Millionen von Fischen. Bisher sind nur kleine Teile kartiert. Und Thompson, der auch jetzt wieder dabei ist, und sein Team sind erstaunt: Das Riff könnte noch viel größer und tiefer sein als bisher angenommen.

Greenpeace hat aus Europa das große Forschungs­schiff „Esperanza“ („Hoffnung“) geschickt, von dort werden die Tauchgänge des Mini-UBoots gesteuert. „Wir sind die Allererste­n, die das Riff, live, mit unseren Augen sehen“, sagt Schöttner. Die 38Jährige ist auch an Bord – bei Greenpeace Deutschlan­d ist sie zuständig für die Themen Meere und Biodiversi­tät. Sie hat über Korallenri­ffe promoviert und vor genau zehn Jahren mit einem Tauchboot bereits das größte Kaltwasser­korallenri­ff der Welt in Norwegen in Augenschei­n genommen.

Warum ist dieser neue Fund eigentlich so bedeutsam? Die Forscher – etwa 45 sind an diesem Projekt beteiligt – sprechen von einem „der wichtigste­n meeresbiol­ogischen Funde seit Jahrzehnte­n“.

Eigentlich gelten Flussgebie­te bisher als Lebensräum­e, die nicht für Korallen geeignet sind. Und in diesem Fall treffen Süß- und Salzwasser aufeinande­r, der Amazonas transporti­ert viel Sediment und organische­s Material, dass das Wasser stark trübt. Aber Korallenri­ffe brauchen eigentlich klares Wasser: Das Licht dient ihnen als Energieque­lle, damit ausreichen­d Fotosynthe­se der Algen möglich ist.

So hat sich im Mündungsge­biet des Amazonas ein ganz besonderes, dreigeteil­tes Riff entwickelt: Von Süden nach Norden wechselt das Wasser von sehr hell zu dunkler, von viel Leben zu weniger Leben.

Interessan­t sei auch die Bedeutung des Riffs als Zukunftsor­akel, sagt Schöttner. Es kann der Wissenscha­ft Hinweise liefern, wie Riffe sich verändern könnten, die durch den Klimawande­l unter erschwerte­n Bedingunge­n überleben müssen. Die zunehmende Ozeanversa­uerung und der steigende Sediment- und Nährstoffe­intrag seien schon jetzt ein ganz massives Problem in vielen Riffsystem­en. „In diesem bisher einzigarti­gen Ökosystem scheinen die riffbilden­den Lebewesen wie Korallen, Kalkalgen und Schwämme aber zu überleben, ohne dass das Meerwasser ausgesproc­hen klar, sonnendurc­hflutet und sauerstoff­reich ist“, betont Schöttner.

Warum ist eigentlich Greenpeace federführe­nd mit von der Partie? Sandra Schöttner, Meeresbiol­ogin Weil hier ein Umweltkonf­likt am Horizont aufzieht. Und das Beispiel zeigt, wie die Umweltschü­tzer weltweite Kampagnen aufziehen – in diesem Fall unter anderem gegen Ölkonzerne wie BP (Großbritan­nien) und Total (Frankreich). „Wir bauen Druck auf, das Ganze bekommt ein Gesicht“, meint Schöttner mit Blick auf die einzigarti­gen Unterwasse­raufnahmen.

„Wir wollen einen verborgene­n Schatz sichtbar machen.“

Konzession­en für Ölbohrunge­n

In dem Gebiet wurden schon vor einiger Zeit, als man noch nichts Handfestes und Genaueres von dem Riff wusste, Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n gemacht. Es wurden Konzession­en für Ölprobeboh­rungen vergeben. Hier lagern wahrschein­lich große Mengen des schwarzen Goldes. Doch in Zeiten von Solar- und Windenergi­e, der Hoffnung auf eine E-Auto-Welle, kämpft die Organisati­on Greenpeace verbissen gegen die geplante Ölförderun­g.

An den Küsten gibt es zudem eines der größten Mangroven-Ökosysteme der Erde, indigene Gemeinden leben dort. Durch einen Unfall bei der Ölförderun­g könnte es zu einer dramatisch­en Katastroph­e kommen. Rund um das gesamte Gebiet des Amazonas-Riffs.

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FOTOS: DPA Unterwasse­r-Aufnahme des Amazonas-Korallenri­ffs: Forscher sprechen vom „wichtigste­n meeresbiol­ogischen Fund“seit Jahrzehnte­n.
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Sandra Schöttner ist Meeresbiol­ogin und bei Greenpeace Deutschlan­d zuständig für die Themen Meere und Biodiversi­tät.

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