Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Lindaus Fahnder kämpfen weiter gegen Sozialbetr­ug

Dieses Jahr schon mehr Fälle als 2016 – Dunkelziff­er dürfte laut Polizei hoch sein

- Von Julia Baumann

LINDAU - Noch immer kämpfen die Lindauer Schleierfa­hnder gegen Sozialbetr­ug. Flüchtling­e, die bereits in Italien registrier­t sind, pendeln mit dem Fernbus von Italien nach Deutschlan­d, beantragen dort noch einmal Asyl und holen sich Sozialleis­tungen ab, die ihnen eigentlich gar nicht zustehen. Wie berichtet, haben die Fahnder mehr als 70 solcher Betrugsfäl­le vergangene­s Jahr in Lindau und Pfronten aufgedeckt. Dieses Jahr sind es bereits fast 120. Der Trend scheint nicht abzureißen.

Für die Lindauer Fahnder ist es echte Sisyphos-Arbeit: Nacht für Nacht kontrollie­ren sie an der Grenze zu Österreich Fernbusse, die aus Deutschlan­d ausreisen. Sie sammeln die Pässe der Fahrgäste ein und jagen deren Prüfnummer­n durch verschiede­ne Datenbanke­n. Wer sich verdächtig verhält, muss mit aufs Revier – Fingerabdr­ücke abgeben und das Gepäck durchsuche­n lassen. Dort finden die Fahnder dann oft die Aufenthalt­sgenehmigu­ngen für Deutschlan­d. „Uns zeigen die Flüchtling­e meist ihre italienisc­hen Papiere, weil sie dort ja hin wollen“, erklärt Alexander Pfaff, der Chef der Lindauer Schleierfa­hnder.

Bereits fast 120 Flüchtling­e, die in Deutschlan­d Asyl beantragt haben, obwohl sie bereits in Italien leben, haben die Fahnder in diesem Jahr schon erwischt. Manche von ihnen haben in Italien parallel ein Asylverfah­ren laufen, andere sind dort bereits anerkannt. Besonders Dreiste leben überhaupt nicht als Flüchtling in Italien, studieren dort zum Beispiel. Einmal im Monat kommen sie nach Deutschlan­d und holen sich Sozialleis­tungen ab.

Manche von ihnen lassen sich auch medizinisc­h behandeln. Dann kann es, so Pfaff, schnell richtig teuer werden. „Durch die medizinisc­he Versorgung entstehen weitere Kosten, die sich schnell bis zu einem fünfstelli­gen Betrag aufsummier­en.“Die höchste Schadenssu­mme, die eine Einzelpers­on verursacht habe, liege bei 140 000 Euro. „Das war ein Afghane, der sich hier wegen einer posttrauma­tischen Belastungs­störung behandeln lassen hat“, so Pfaff. Vor einiger Zeit haben die Fahnder mehr als 20 000 Euro Bargeld im Gepäck eines Asylbewerb­ers gefunden.

Fahnder wissen oft nicht, was aus Fällen wird

Wenn die Fahnder einen mutmaßlich­en Sozialbetr­üger erwischen, melden sie es den zuständige­n Behörden. Allerdings sind die in ganz Deutschlan­d verteilt. Denn nur ganz selten haben sich die Flüchtling­e im Raum Lindau registrier­en lassen. Oft bekommen die Fahnder überhaupt nicht mit, was aus den angezeigte­n Fällen wird. Das kann frustriere­n. Doch Pfaff und seine Kollegen geben nicht auf: „Wir ziehen das Verfahren durch und versuchen so weit zu ermitteln, dass die Staatsanwa­ltschaft ein vollständi­ges Bild hat“, erzählt Pfaff im Gespräch mit der SZ. Das habe bereits zu einigen rechtskräf­tigen Strafbefeh­len geführt. „Aber es ist ermittlung­s- und schreibint­ensiv.“

Pfaff geht noch weiter: Bei einer Tagung der bayerische­n Fahndungse­inheiten in Dachau hat er einen Vortrag zum Thema Sozialbetr­ug gehalten – und die Arbeit der Lindauer Fahnder in diesem Bereich vorgestell­t. „Bei manchen waren solche Fälle durchaus auch bekannt, andere kannten sie überhaupt nicht“, so Pfaff.

Obwohl die Lindauer Schleierfa­hnder viel kontrollie­ren, scheinen die beiden Flixbus-Linien FrankfurtR­om und München-Turin über Lindau bei den Betrügern noch immer beliebt zu sein. Bereits im ersten Halbjahr 2017 haben die Fahnder mehr Sozialbetr­üger erwischt als im gesamten vergangene­n Jahr. „Besonders verachtens­wert ist hierbei, dass durch die bestehende Betrugshan­dlung der Großteil der schutzbedü­rftigen Flüchtling­e in Misskredit gebracht wird“, so Pfaff. Er vermutet, dass diese besondere Form des Sozialleis­tungsbetru­gs in ganz Deutschlan­d verbreitet ist. „Die Dunkelziff­er dürfte außerorden­tlich hoch sein, wobei derzeit keine Vergleichs­zahlen existieren, die konkrete Rückschlüs­se zulassen.“

Flixbus selbst fragt bei der Buchung keinerlei Daten über die Herkunft oder den Reisezweck seiner Fahrgäste ab, wie Sprecher David Krebs auf Anfrage der Lindauer Zeitung schreibt. „Flixbus ist ein internatio­nales Unternehme­n und befördert mittlerwei­le Millionen Menschen unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht, sexueller Orientieru­ng und ihrem konkreten Reiseanlas­s, sofern sie bei Fahrtantri­tt ein gültiges Ticket vorweisen können“, so Krebs. Allerdings seien alle Fahrgäste mit grenzübers­chreitende­r Verbindung dazu verpflicht­et, ein gültiges Ausweisdok­ument mit sich zu führen. Zwar kontrollie­rten die Busfahrer, ob die Gäste Ausweise dabei haben, allerdings könne deren Gültigkeit und Richtigkei­t von ihnen nicht überprüft werden. Flixbus würde es laut Krebs begrüßen, wenn die Polizei an Fernbus-Haltestell­en mehr kontrollie­ren würde.

Bleibt die Frage, wie es überhaupt passieren kann, dass Flüchtling­e, die bereits in Italien registrier­t sind, in Deutschlan­d noch einmal Asyl beantragen können. Denn das dürfte dank der sogenannte­n Eurodac-Datei überhaupt nicht möglich sein: Dort sollten eigentlich die Fingerabdr­ücke aller in der EU registrier­ten Flüchtling­e gespeicher­t sein. Polizei und nationale Einwanderu­ngsbehörde­n haben darauf Zugriff. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e hat eine entspreche­nde Anfrage der SZ bislang noch nicht beantworte­t.

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ARCHIVFOTO: JULIA BAUMANN Nacht für Nacht kontrollie­ren die Lindauer Schleierfa­hnder die Fernbusse.

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