Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Vom Leben der Bildhauerfamilie Zürn
Michael Skuppin führt anekdotenreich durch die Ausstellung im Museum Kornhaus
●
BAD WALDSEE - Ein farbenreiches Sittengemälde vom Leben und Arbeiten der Bildhauerfamilie Zürn hat der Schauspieler Michael Skuppin während eines Gangs durch das Museum Kornhaus gezeichnet. Am Schluss der Führung nahm er die Besucher mit auf einen kurzen Stadtspaziergang.
Im Rahmen der langen Barocknacht waren etwa 30 Interessenten ins Bad Waldseer Kornhaus gekommen, um mehr über die Künstlerfamilie Zürn zu erfahren. Sie erlebten eine überaus lebendige Führung, die mit einer Überraschung begann. Statt eines Referenten in Anzug und Schlips betrat eine Gestalt den Besucherkreis, die mit Bart, gegürtetem Wams und Barett geradeswegs dem sechzehnten Jahrhundert entsprungen schien: Michael Skuppin, der sich die Rolle des Gesellen Ulrich auf den Leib geschrieben und sogar dessen Redeweise nachempfunden hatte.
Ulrich stand bereits als Lehrling in den Diensten des Dynastiegründers Hans Zürn und verstand sich als Hüter von Schnitzwerken seines verstorbenen Meisters und dessen Söhnen. Am Ende des Dreißgjährigen Krieges, so erfuhr man, habe er aus Furcht vor marodierenden Soldaten etliche Zürnsche Kunstwerke im ersten Stockwerk des Kornhauses versteckt. Dahin nehme er die Besucher sogleich mit.
Während des folgenden Rundgangs entwarf Ulrich ein Bild der Region, die von der Brutalität es Dreißigjährigen Krieges, von Zerstörung, Hunger und Pest gezeichnet war. In Zeiten großer Not waren auch Aufträge für Holzbildhauer rar. Ein Grund für die Söhne von Hans Zürn, dort zu siedeln, wo sie Arbeit fanden, was bedeutete, dass die väterliche Werkstatt in Bad Waldsee verwaiste. Sohn Jörg hatte in einen Überlinger Bildhauerei eingeheiratet, wo kirchliche Auftraggeber einen Altar für das Nikolaus Münster bestellten. Das Großprojekt erforderte die Mitarbeit von drei weiteren Familienmitgliedern und sicherte gleichzeitig ihren Broterwerb. Die Zahlungsmoral mancher Auftraggeber ließ zu damaliger Zeit allerdings oft zu wünschen übrig.
Als Beispiel für eine bestellte, aber nicht finanzierte Figur hängt die Skulptur eines Heiligen ohne Titel und Signatur im Museum, die zu schade zum Wegwerfen erachtet wurde und wohl auf einen späteren Käufer hoffte. Ulrich alias Michael Skuppin lenkte die Aufmerksamkeit der Besucher auf zahlreiche Besonderheiten der ausgestellten Stücke. Da waren einmal Beschädigungen, die zum Teil auf die Zerstörungswut schwedischer Soldaten zurück gehen. So fehlen einer Christusfigur die Arme, zwei Erzengeln sind Stab und Lilie abhanden gekommen und der Heilige Benedikt vermisst den giftgefüllten Becher. Diese fachmännisch zu restaurieren betrachtete Ulrich als seine Lebensaufgabe.
Anhand zweier Darstellungen des Heiligen Sebastian erklärte er die Gepflogenheiten der damaligen Lehrlingsausbildung. Zug um Zug durften die Kandidaten per Stechbeitel einen einfachen Lendenschurz schneiden, um schließlich mit dem Messer die Feinheiten einer ganzen Figur zu gestalten. Dazu gehörten meisterhaft geformte Gesichtszüge, beispielsweise der spöttischen Blick, den die kleine Sebastiansfigur auf ihre Peiniger zu werfen scheint. Oder die Haartracht des Erzengels Michael, für die eine attraktive Wirtsfrau, Regina Wiltmann, Modell gestanden hatte. Dies musste sie allerdings jämmerlich büßen und brachte ihr sogar ein Gerichtsverfahren an den Hals. Das entsprechende Urteil wurde vom Gerichtserker des historischen Rathauses verkündet, wohin Ulrich die Besuchergruppe begleitete, bevor es zur nahegelegenen früheren Werkstatt der Familie Zürn ging. Das schmucklose kleine Haus beherbergt heute das Eiscafe Italia.
Herzlicher Beifall plus ein Bravoruf dankten Skuppin für seine bildkräftige, temperamentvolle Führung.