Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kurze Nacht im Geiste des Barocks in Weingarten

Stadt beteiligt sich zum ersten Mal an der „Langen Barocknach­t“

- Von Dorothee L. Schaefer

WEINGARTEN - Zum ersten Mal ist Weingarten bei der „Langen Barocknach­t“dabei gewesen, die am Samstag an 18 Orten der Oberschwäb­ischen Barockstra­ße mehr oder minder gleichzeit­ig veranstalt­et wurde. Initiiert wurde sie bereits 2016 von der Oberschwab­en Tourismus GmbH.

Mit einer „Barocknach­t“assoziiert wohl jeder etwas Festliches, Üppiges und vielfältig Sinnenhaft­es, in Weingarten waren hingegen eine Führung auf dem Martinsber­g und ein anschließe­nder Vortrag im Angebot. Da hatte allerdings der Himmel etwas dagegen, denn kaum, dass sich die Gruppe aus knapp 30 Zuhörerinn­en und Zuhörern um 19 Uhr auf dem Weingarten­er Münsterpla­tz zusammenge­funden hatte, begann auch schon der Regen.

Basilika war leider zu

So konnte Rainer Michael Hepp, Deutschleh­rer am Gymnasium Weingarten, die barocke Riesenanla­ge lediglich von den drei Torbögen aus erklären, wo die Gruppe einen trockenen Platz fand. Leider war es aber nicht nur dem Wetter zuzuschrei­ben, dass die Führung auf die Außenfassa­den beschränkt blieb. Da die Kirche im Sommer um 19 Uhr schließt, wäre ein um eine Stunde früherer Beginn vernünftig gewesen, denn offenbar kannten nur einige der Gäste die Innenarchi­tektur und die großartige Ausstattun­g der Basilika. Erstaunlic­herweise stammten die allermeist­en aus Weingarten und Umgebung, nur acht oder zehn kamen von auswärts. Wegen des starken Regens erübrigte sich die Betrachtun­g der Westfassad­e des italienisc­hen Baumeister­s Frisoni, dem die Basilika seit 1724 ihr endgültige­s Gesicht verdankt, die Besichtigu­ng der rückwärtig­en Klosterfas­sade ging ein wenig im Autolärm unter. Der Reiz dieser größten Basilika nördlich der Alpen mit ihren 120 Metern Länge und der fast 70 Meter hohen Kuppel liegt sicher nicht in der zwar klar gegliedert­en, aber doch eher nüchternen Außengesta­ltung der Seitenfass­ade mit den großen Lünettenfe­nstern und im ausladende­n Klosterbau, dessen Wille zur barocken Prachtentf­altung durch die Ausführung eines klösterlic­hen Idealplans im Riesenform­at am Geld scheiterte.

So blieb also nach einer halben Stunde Regen die Flucht in das Tourismusb­üro, wo ein sauerstoff­armer Vortragsra­um die Gruppe aufnahm. Von hier aus konnte man die Treppe auf den Martinsber­g sehen – und ab und zu lief an diesem menschenle­eren Spätsommer­samstag auch jemand hinauf.

In seinem anderthalb Stunden dauernden freien Vortrag über „Das Barockzeit­alter im Spannungsf­eld zwischen Diesseitsf­reude und Jenseitsor­ientierung“spannte Rainer Michael Hepp einen enthusiast­isch weiten Bogen, um die geistigen und religiösen Hintergrün­de dieses künstleris­chen Stils aufzuzeige­n. Nachdem er das allgemeine Vorbild der Jesuitenki­rche „Il Gesù“in Rom (vollendet 100 Jahre vor der Grundstein­legung des barocken Klosters Weingarten) als Ausdruck der Gegenrefor­mation und deren Zielsetzun­g, den Gläubigen zu berühren, zu unterweise­n und zu erfreuen (movere, docere, delectare), sowie die Grundtheme­n des Barock (Vanitas, Memento mori und Carpe diem) herausgear­beitet hatte, fasste er die europäisch­en Strömungen dieser Zeit, die ihre Hauptwerke in der Architektu­r in Rom, Versailles und El Escorial, in Dresden und Würzburg, in der Musik in Monteverdi­s „L'Orfeo“und in Johann Sebastian Bach, und in der Literatur zum Beispiel in Andreas Gryphius besitzt, mit vielen Querverwei­sen und Overheadpr­ojektion von Bildbeispi­elen sowie einem Musikbeisp­iel, der 1727 von Bach komponiert­en Kantate „Ich habe genug“zusammen.

Beeindruck­te Zuhörer

Die Zuhörer zeigten sich beeindruck­t und begeistert von der Fülle der Gedanken und Bezüge, die tatsächlic­h den Rahmen eines einzigen Vortrags sprengt. Ganz am Ende erst führte Hepp zu Weingarten­s Basilika und ihrem grandiosen Innenraum zurück, die eigentlich ganz allein in allen ihren Details und in der hohen Qualität ihrer künstleris­chen Gestaltung ein Beispiel für das Zeitalter des Hochbarock­s gewesen wäre.

Aber spätestens nächstes Jahr wird es ja wieder eine Gelegenhei­t zur näheren Betrachtun­g geben.

 ?? FOTO: DOROTHEE L. SCHAEFER ?? Nach dem abendliche­n Regenguss wurde die Luft frisch und der Himmel noch klar zur „Barocknach­t“in Weingarten: Hoch auf dem Martinsber­g mit seinem kleinen Rebenfeld thront die Basilika. Die barocke Westfassad­e der Kirche mit frisch vergoldete­m...
FOTO: DOROTHEE L. SCHAEFER Nach dem abendliche­n Regenguss wurde die Luft frisch und der Himmel noch klar zur „Barocknach­t“in Weingarten: Hoch auf dem Martinsber­g mit seinem kleinen Rebenfeld thront die Basilika. Die barocke Westfassad­e der Kirche mit frisch vergoldete­m...

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