Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Kurze Nacht im Geiste des Barocks in Weingarten
Stadt beteiligt sich zum ersten Mal an der „Langen Barocknacht“
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WEINGARTEN - Zum ersten Mal ist Weingarten bei der „Langen Barocknacht“dabei gewesen, die am Samstag an 18 Orten der Oberschwäbischen Barockstraße mehr oder minder gleichzeitig veranstaltet wurde. Initiiert wurde sie bereits 2016 von der Oberschwaben Tourismus GmbH.
Mit einer „Barocknacht“assoziiert wohl jeder etwas Festliches, Üppiges und vielfältig Sinnenhaftes, in Weingarten waren hingegen eine Führung auf dem Martinsberg und ein anschließender Vortrag im Angebot. Da hatte allerdings der Himmel etwas dagegen, denn kaum, dass sich die Gruppe aus knapp 30 Zuhörerinnen und Zuhörern um 19 Uhr auf dem Weingartener Münsterplatz zusammengefunden hatte, begann auch schon der Regen.
Basilika war leider zu
So konnte Rainer Michael Hepp, Deutschlehrer am Gymnasium Weingarten, die barocke Riesenanlage lediglich von den drei Torbögen aus erklären, wo die Gruppe einen trockenen Platz fand. Leider war es aber nicht nur dem Wetter zuzuschreiben, dass die Führung auf die Außenfassaden beschränkt blieb. Da die Kirche im Sommer um 19 Uhr schließt, wäre ein um eine Stunde früherer Beginn vernünftig gewesen, denn offenbar kannten nur einige der Gäste die Innenarchitektur und die großartige Ausstattung der Basilika. Erstaunlicherweise stammten die allermeisten aus Weingarten und Umgebung, nur acht oder zehn kamen von auswärts. Wegen des starken Regens erübrigte sich die Betrachtung der Westfassade des italienischen Baumeisters Frisoni, dem die Basilika seit 1724 ihr endgültiges Gesicht verdankt, die Besichtigung der rückwärtigen Klosterfassade ging ein wenig im Autolärm unter. Der Reiz dieser größten Basilika nördlich der Alpen mit ihren 120 Metern Länge und der fast 70 Meter hohen Kuppel liegt sicher nicht in der zwar klar gegliederten, aber doch eher nüchternen Außengestaltung der Seitenfassade mit den großen Lünettenfenstern und im ausladenden Klosterbau, dessen Wille zur barocken Prachtentfaltung durch die Ausführung eines klösterlichen Idealplans im Riesenformat am Geld scheiterte.
So blieb also nach einer halben Stunde Regen die Flucht in das Tourismusbüro, wo ein sauerstoffarmer Vortragsraum die Gruppe aufnahm. Von hier aus konnte man die Treppe auf den Martinsberg sehen – und ab und zu lief an diesem menschenleeren Spätsommersamstag auch jemand hinauf.
In seinem anderthalb Stunden dauernden freien Vortrag über „Das Barockzeitalter im Spannungsfeld zwischen Diesseitsfreude und Jenseitsorientierung“spannte Rainer Michael Hepp einen enthusiastisch weiten Bogen, um die geistigen und religiösen Hintergründe dieses künstlerischen Stils aufzuzeigen. Nachdem er das allgemeine Vorbild der Jesuitenkirche „Il Gesù“in Rom (vollendet 100 Jahre vor der Grundsteinlegung des barocken Klosters Weingarten) als Ausdruck der Gegenreformation und deren Zielsetzung, den Gläubigen zu berühren, zu unterweisen und zu erfreuen (movere, docere, delectare), sowie die Grundthemen des Barock (Vanitas, Memento mori und Carpe diem) herausgearbeitet hatte, fasste er die europäischen Strömungen dieser Zeit, die ihre Hauptwerke in der Architektur in Rom, Versailles und El Escorial, in Dresden und Würzburg, in der Musik in Monteverdis „L'Orfeo“und in Johann Sebastian Bach, und in der Literatur zum Beispiel in Andreas Gryphius besitzt, mit vielen Querverweisen und Overheadprojektion von Bildbeispielen sowie einem Musikbeispiel, der 1727 von Bach komponierten Kantate „Ich habe genug“zusammen.
Beeindruckte Zuhörer
Die Zuhörer zeigten sich beeindruckt und begeistert von der Fülle der Gedanken und Bezüge, die tatsächlich den Rahmen eines einzigen Vortrags sprengt. Ganz am Ende erst führte Hepp zu Weingartens Basilika und ihrem grandiosen Innenraum zurück, die eigentlich ganz allein in allen ihren Details und in der hohen Qualität ihrer künstlerischen Gestaltung ein Beispiel für das Zeitalter des Hochbarocks gewesen wäre.
Aber spätestens nächstes Jahr wird es ja wieder eine Gelegenheit zur näheren Betrachtung geben.