Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Hier erzählt man sich die Story vom Pferd
200 Jahre Araberzucht: Gestüt Marbach blickt auf eine lange Tradition zurück
P● ferde sind auch bloß Menschen“, sagt Sabine Weissinger. Gleich mehrfach fällt dieser Satz bei ihrer Führung durch das Haupt- und Landesgestüt Marbach. Und je mehr man sieht und erfährt, desto klarer wird einem: Da könnte durchaus etwas dran sein, zumindest an diesem Ort, so individuell wie die Tiere hier behandelt werden.
Im ersten Stall geht es vorbei an Chippendale, Hundertwasser und Maximus. Jedes Pferd hat ein Namensschild, auf dem neben dem Geburtsjahr auch Mutter und Vater verzeichnet sind. Außerdem hängt ein spezieller Menüplan an der Box. Manche Tiere bekommen Müsli, bei anderen steht eher Heu oder Hafer auf dem Speiseplan. „Weiß eigentlich jemand, warum es heißt, dass einen der Hafer sticht?“, fragt Weissinger bei dieser Gelegenheit mit einem Schmunzeln und gibt die Antwort gleich selbst: „Weil Hafer schnelle Energie liefert.“Die humorvolle Rundgangsleiterin ist bekennender Pferdenarr, züchtet sogar selbst und arbeitet seit mehr als zehn Jahren in Marbach.
Idyllisch liegt das Gestüt im Lautertal, mit seinen zahlreichen Ställen, den Reithallen und Werkstätten wirkt es wie ein kleines Dorf. Die
Führung beginnt direkt im Hof, am Stutenbrunnen. Rundherum gruppieren sich zahlreiche denkmalgeschützte Gebäude, schließlich ist Marbach mit seiner mehr als 500-jährigen Geschichte das älteste staatliche Gestüt Deutschlands. Der Nachteil der alte Gemäuer: Nichts darf verändert werden. „In den alten Ställen gibt es keine großen Fenster, auch wenn es schön wäre für Tier und Reiter“, erklärt Weissinger. Wie das aussehen kann, zeigt sie später in einem der modernen Ställe, wo es auch Dusche und Solarium fürs Pferd gibt.
Dort wird gerade ein Araberhengst von einem angehenden Pferdewirt gestriegelt. „Oh, das glänzt“, sagt Weissinger und kommt ins Schwärmen: „Das ist ein Vollblut, das sind die mit Temperament. Hochsensibel, ganz speziell und wunderschön.“Die Araber feiern gerade ein besonderes Jubiläum. Seit 200 Jahren gibt es die Zucht, es war die erste außerhalb des Orients. König Wilhelm I. von Württemberg begann damit 1817 und legte in seinem Testament fest, dass die Arbeit fortgeführt werden muss. Und so ist es bis heute. Daneben gibt es noch zwei weitere seltene Rassen auf dem Gestüt: die Altwürttemberger und die Schwarzwälder Kaltblüter.
Insgesamt gehören um die 520 Pferde zum Gestüt, in Marbach selbst leben allerdings nur rund 120 davon. Die Jungtiere und die Rentner sind an zwei anderen Standorten auf der Schwäbischen Alb untergebracht. Aber auch so gibt es genug zu sehen, die verschiedenen Kutschen zum Beispiel und die Führanlage, eine Art Karussell, in der die Tiere zu Ausbildungszwecken im Kreis gehen. Nebenbei erfährt man jede Menge über die Vierbeiner. „Wissen Sie, dass Schimmel nicht weiß geboren werden? Sie haben nur eine weiße Umrandung um die Augen, die sogenannte Brille“, erklärt Weissinger. Auch über die verschiedenen Rassen, die Prüfungen der Tiere und Details zum Liebesleben klärt sie die Besucher auf. Im Vorbeigehen zeigt die Pferdenärrin auf die große Reithalle: „Da findet im Frühling immer die Auktion statt.“Der andere Pflichttermin in Marbach sind die Hengstparaden im Herbst. Bis zu 10 000 Zuschauer kommen dafür in die Arena.
Aber auch an allen anderen Tagen lohnt es sich, im Gestüt vorbeizuschauen. Besucher können auf eigene Faust in fast alle Ställe einen Blick werfen. Fotografieren ist ebenso erlaubt wie streicheln. Bei einer Führung lernt man darüber hinaus aber auch noch allerhand Menschen und Tiere kennen, zumindest wenn man mit Sabine Weissinger unterwegs ist. Egal, wer gerade vorbeigeht oder -trabt, wird vorgestellt, der Azubi in der Kutsche genauso wie das Reiterduo auf dem Hof.
So ist es auch kein Wunder, dass es doch etwas länger als eine Stunde dauert, bis die Runde an der Weide mit den Stuten und den Fohlen endet. Die Besucher können wohl auch nicht genug kriegen, so scheint es. Denn einige stehen eine halbe Stunde später immer noch dort und beobachten die Tiere.
Das Gestüt in Marbach hat ganzjährig geöffnet und kann kostenlos besichtigt werden. An Sonnund Feiertagen sowie in den Schulferien gibt es um 13.30 und 15 Uhr jeweils einstündige Führungen. Erwachsene zahlen fünf Euro, Kinder drei Euro. Weitere Programme wie Kutschfahrten und alle Veranstaltungen stehen auf
www.gestuet-marbach.de, unter „Besuch im Gestüt“. Die Hengstparaden finden dieses Jahr am
30. September sowie am 1. und
3. Oktober statt. Wer noch tiefer in die Geschichte von Marbach und seiner Pferdezucht einsteigen will, ist im Gestütsmuseum Offenhausen, nur wenige Kilometer weiter, richtig.