Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Superstar aus dem Reich der Mitte
Der chinesische Exil-Künstler und Polit-Aktivist Ai Weiwei wird 60
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BERLIN (dpa) - 2007 ließ Ai Weiwei zur documenta in Kassel 1001 Landsleute einfliegen. Jüngst sammelte er für spektakuläre Installationen die Rettungswesten gestrandeter Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Alles bei Ai ist groß und plakativ – und von ungeheuerem Furor getrieben. Heute wird der Künstler, der seit zwei Jahren in Berlin lebt, 60 Jahre alt.
Sein wohl schönstes Geburtstagsgeschenk hat Ai schon bekommen. Bei den Filmfestspielen in Venedig hat am 1. September sein Dokumentarfilm „Human Flow“über die globale Flüchtlingskrise Premiere. Ein Jahr lang ist der Künstler dafür um den Globus gereist, hat in 23 Ländern mit Menschen gesprochen, die wegen Hunger und Naturkatastrophen, Krieg und Gewalt ihre Heimat verlassen mussten.
Heimatlosigkeit und Entwurzelung sind auch in seinem eigenen Leben die prägende Erfahrung. Weil sein Vater, der berühmte chinesische Dichter und Maler Ai Qing, von den Kommunisten 20 Jahre lang aufs Land verbannt wurde, wuchs der Junge in Chinas Randprovinzen auf. Nach einem Studium in Peking lebte er zwölf Jahre in New York und machte mit ersten Arbeiten auf sich aufmerksam.
Nach seiner Rückkehr nach Peking im Jahr 1993 geriet er als „soziales Gewissen“des Milliardenvolks zunehmend ins Visier der Behörden. Als er nach dem verheerenden Erdbeben in Sichuan 2008 erkunden wollte, wie viele Kinder in eingestürzten Schulen durch Pfusch am Bau ums Leben kamen, wurde er politisch zur Unperson. Er durfte im eigenen Land nicht mehr ausstellen, 2011 kam er für 81 Tage in Haft.
Als Ai 2015 ausreisen durfte, war Berlin für ihn der selbstverständliche Zufluchtsort. Im Kulturzentrum Pfefferberg hat er schon seit Jahren neben seinem dänischen Künstlerfreund Olafur Eliasson ein riesiges Studio. An der Universität der Künste wartete die dreijährige EinsteinGastprofessur. Und vor allem leben hier sein Sohn und seine Lebensgefährtin. Seither ist Ai Weiwei gefragt wie nie. Das britische Kunstmagazin „ArtReview“führte ihn 2015 in seinem jährlichen Ranking als den einflussreichsten Menschen im Kunstbetrieb weltweit nach dem Schweizer Galeristenehepaar Wirth.
Der Grat zwischen Kunst und Kommerz, Mitgefühl und Selbstinszenierung ist bei Ai recht schmal. So sorgte er im vergangenen Jahr für Aufsehen, als er das Bild des ertrunkenen syrischen Flüchtlingsjungen Aylan am Strand von Lesbos nachstellte. „Unendlich peinlich und unangemessen“, urteilte das Kunstmagazin „Art“über den „Protest-Berserker“.