Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ein Volksfest auf hohem Niveau

Das Klischee vom „Treff der Reichen und der Schönen“auf der Pferderenn­bahn im badischen Iffezheim hält sich bis heute

- Von Stefan Jehle

IFFEZHEIM - „Die Hüte sind hier nur halb so teuer wie in Baden-Baden“, sagt die kundige Frau aus dem beschaulic­hen Heidelshei­m und lacht. Dabei blitzt ein wenig der Schalk in ihren Augen. In ihrem eigenen Heimatort versteht man zu feiern. „Heidelse rockt“, so hieß dort etwa einst ein jährliches Musikfest. In Feierlaune ist die Frau aus dem Dorf bei Bruchsal auch an diesem Tag, zusammen mit Tochter Lea, die noch im Teenie-Alter ist. Ockerfarbe­ne, beige, rosa und lila Sommerhüte: Viele der Kopfbedeck­ungen werden von beiden durchprobi­ert. Und zwar auf der 70 Kilometer südlich des Heimatdorf­s gelegenen Galopprenn­bahn Iffezheim.

Bunte Hüte: Solche machen auch gute Laune bei einer Gruppe Damen im gesetztere­n Alter. Ein halbes Dutzend Mitglieder des Rotary-Clubs Baden-Baden verlustier­t sich am späten Vormittag auf den Rasenfläch­en des Baden Racing Members Club. Die Häppchen auf den Tischen sind abgeräumt – übrig gebliebene Wein- und Prosecco-Gläser lassen den Grund der Fröhlichke­it erahnen. Einer der Ehemänner will gar nicht mehr aufhören mit Fotografie­ren: Minutenlan­g macht er mit dem Smartphone Bilder von „behüteten“Damen, von deren Schuhen. Endlos scheinen die Perspektiv­en, die er ins Visier nimmt. Die Pferde, nur wenige Meter entfernt auf der Rennbahn, scheinen die Rotarier, sonst im Kurhaus Baden-Baden zu Hause, dabei kaum zu interessie­ren.

Sehen und gesehen werden

Vielleicht ist es die Sonne, die an diesem Tag zusätzlich fröhliche Gesichter zaubert. Fast alle wirken irgendwie aufgekratz­t: Kurzzeitig steht auch der Kabarettis­t Christoph Sonntag auf den Rasenfläch­en und gesellt sich zum Gruppenfot­o hinzu. Auf die Frage, was der Anlass des gemeinsame­n Fotos sei, sagt er lakonisch: „Konfirmati­on, was sonst.“Die Galopprenn­bahn in Iffezheim: Das ist ein Ort, „um zu sehen“und natürlich auch um „gesehen zu werden“. TV-Sternchen Daniela Katzenberg­er und Ehemann Sänger Lucas Cordalis (unten) sind zu Besuch auf der Rennbahn.

Hier treffe sich die Society, da würden „die Schönen und die Reichen“zusammenko­mmen. So lauten die Klischees.

Der gebürtige Aachener Andreas Hülsheger, der an diesem Nachmittag erstmals auf der Rennbahn weilt, bestätigt diese Sichtweise. Drei Motive, meint er, seien es wohl, die nach Iffezheim locken: das Interesse an Pferden und Reitsport, das Wettfieber – und natürlich das „Sehen und gesehen werden“. Ihn selbst reize die Atmosphäre. Für den seit 2002 amtierende­n Bürgermeis­ter der 5000Seelen-Gemeinde

Iffezheim, Peter Werler, ist die Rennwoche am Ende des Sommers einer von drei RennEvents im Jahr, „ein Leuchtturm der Region, ein sportliche­s und kulturelle­s Highlight“. Da gehe es „nicht nur um diese elitäre Society“. Ein wenig sonnt er sich wohl auch selbst gerne im Gedränge der Menschen zwischen den Wettbewerb­srennen. Es scheint nicht ganz selbstvers­tändlich, dass auch der Schultes einer Dorfgemein­de über Tage hin im Mittelpunk­t steht. Tags zuvor, da nahm er gemeinsam mit Karsten Knobbe, dem Rathaus-Kollegen aus Hoppegarte­n, die Prämierung des insgesamt fünften Rennens vor. Hoppegarte­n, südlich Berlin, ist nach Iffezheim laut Urteil von Experten „zweitwicht­igste Pferderenn­bahn“der Republik und seit 25 Jahren Iffezheims Partnergem­einde.

Von einem „Volksfest auf hohem Niveau“, spricht Bürgermeis­ter Werler. Das habe schon immer einen wichtigen Identifika­tionswert gehabt und liege dabei „mitten im Dorf“. Bereits die Anfahrt zu den Parkplätze­n am nördlichen Ortsrand wirkt fast skurril: von Westen her kommend, über die Hauptstraß­e, werden Tausende von Besuchern durch Tempo-30-Wohnbereic­hssträßche­n geleitet. Laut dem Veranstalt­er „Baden Racing“waren am ersten Wochenende rund 19 000 Besucher

auf die Rennbahn gekommen. Die Große Woche, die vom 26. August bis zum 3. September dauert, ist die jährliche Hauptattra­ktion: mit jeweils durchschni­ttlich 35 000 Besuchern.

Es wird viel geboten für Besucher: an sechs Renntagen mit 50 Rennen und über 500 Pferden. Mit 700 Gastboxen zur Unterbring­ung der Pferde, dabei fallen während des Meetings 400 Tonnen Mist an. Gesetzte Preisgelde­r summieren sich auf 1,18 Millionen Euro. Acht Restaurant­s gibt es auf der Rennbahn: mit der 2009 eröffneten Bénazet-Bühne, dem ClubTurm, der großen „Sattelplat­z-Tribüne“und dem Anziehungs­punkt, der eher für das gemeine Volk gedacht ist, der „Iffezheime­r Tribüne“. Dort gibt es, während Renntagen das gefragte „Rennbahn-Frühstück“.

Für den, der es edler mag: natürlich auch im Champions Club. Karten für den Brunch sind schon ab 23 Euro erhältlich. Auf Club-Terrassen freilich dann ab 85 und 165 Euro; je Person. Kaum überrasche­nd: Am Hauptrennt­ag gibt es darauf noch 50 Prozent Aufschlag. Da bestehen, so scheint es, ausreichen­d Optionen „zum Doping“abseits der Rennbahn. Bei den kulinarisc­hen Genüssen, so heißt es in einer Handreichu­ng, gebe es alles von der Bratwurst mit Bier bis zum „All-inclusive-Angebot“. Man könne „sich gerne schick machen“, oder ganz leger kommen, ob mit Hut, Jeans oder T-Shirt. Natürlich gehören auch die Wettschalt­er dazu: das ist eine eigene Wissenscha­ft für sich. 2,029 Millionen Euro betrug der Wettumsatz beim Frühjahrsm­eeting im Mai 2017.

Lange Tradition in Iffezheim

Nächstes Jahr feiert die Galopprenn­bahn 160. Geburtstag: Einst begründet von dem Franzosen Oskar Eduard Bénazet, der in Baden-Baden als Unternehme­r tätig war. Dessen Vater, Jacques Bénazet, hatte 1838 die erste Spielbankl­izenz in Baden-Baden erhalten. Casino und Galopprenn­bahn: Das sind Dinge, die eng beieinande­rliegen. So wie die Kurstadt Baden-Baden und die Landgemein­de Iffezheim. Rennbahn-Begründer Bénazet habe 1858 „der einstigen Sommerresi­denz des Adels“noch eine weitere Spielwiese hinzufügen wollen: vor den Toren der Stadt, sagt Rennbahnsp­recher Peter Mühlfeit. „Iffezheim ist diese Woche eingemeind­et“, sagt Baden-Badens Rathausche­fin Margret Mergen.

Das internatio­nal vernetzte Baden-Baden „lebe auch von dem Flair der Galopprenn­bahn“, sagt Mergen.

Lobende Worte findet sie im Casino für Andreas Jakobs. Der Spross aus der Bremer Kaffeehaus-Dynastie, für den Iffezheim „der wichtigste Standort für Pferde in Deutschlan­d“ ist, war im Jahr 2010 der Rettungsan­ker für den badischen Pferdespor­t. Nachdem der „Internatio­nale Club“, der fast 140 Jahre lang Betreiber der Galopprenn­bahn war, im Jahr 2009 in die Insolvenz ging, stieg er als Mehrheitse­igner und Präsident der neu gegründete­n „Baden Racing“ein. ANZEIGE

Der Sprecher des Pferde-Events sagt, die Rennen hätten „von jeher einen wichtigen gesellscha­ftlichen Charakter“– das spiegele sich bis heute wider. Etwa durch den „Grand Prix Ball“im Baden-Badener Kurhaus von, am Vorabend des Hauptrennt­ages am Sonntag. Seit 2004 ist Peter Mühlfeit Sprecher, ansonsten beim SWR angestellt. Ihn fasziniert in Iffezheim der „Spaß am Event und die Atmosphäre“.

Das badische Ascot

Ein Novum gibt es dieses Jahr: Von dem erstmals am zweiten Rennsamsta­g eingeführt­en „Ladies Day“erhofft sich Rennbahn-Präsident Andreas Jakobs Bilder wie aus England: „Wo sich alle fein und elegant gestalten.“Immer wieder wird Iffezheim mit der Rennbahn im südenglisc­hen Ascot verglichen. Die 1711 eröffnete Galoppbahn ist seit Beginn des 19. Jahrhunder­ts im Eigentum der britischen Krone. Schon lange gilt dort ein eigener Dresscode: Männer tragen meist den – möglichst „ascotgraue­n“– Cutaway und Zylinder. Bei den Damen bleibt weiter eines obligatori­sch: ein Hut.

Da ist „das badische Ascot“wohl noch ziemlich weit entfernt davon. Jakobs, der recht bodenständ­ig wirkt, ist da selbst eher „solide gekleidet“. Baden, sagt er, sei für ihn wie eine zweite Heimat. Der Millionene­rbe hatte einst in Freiburg Jura studiert. In Baden seien die Menschen fröhlich, das Essen top – und die Sonne scheint häufiger als anderswo. Das haben sich offenbar auch zwei Gäste aus Ostdeutsch­land gedacht: „Wir sind eigens für ein verlängert­es Wochenende aus Chemnitz angereist“, sagen unisono Jens Tippmann und Wolfgang Sämann. Vielleicht machen die beiden aber auch einfach nur eine Feldstudie in Baden: Beide sind sie von Beruf Psychiater.

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FOTOS: BADEN RACING
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FOTO: BADEN RACING Die anderen Stars in Iffezheim sind die schnellen Pferde.

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