Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Neue Festnahmen verschärfe­n Krise zwischen Türkei und Deutschlan­d

Türkischst­ämmigen Bundesbürg­ern wird Gülen-Anhängersc­haft vorgeworfe­n – Özdemir bezeichnet Erdogan als „Geiselnehm­er“

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Die Festnahme von zwei weiteren Bundesbürg­ern durch die Türkei lässt die Dauerkrise in den Beziehunge­n zwischen Ankara und Berlin weiter eskalieren. Die Festnahmen stärken den Verdacht, dass die türkischen Sicherheit­sbehörden mutmaßlich­e Staatsfein­de in Westeuropa beobachten, um sie bei einer Einreise in die Türkei festnehmen zu können.

Die türkischst­ämmigen Deutschen K. A. und S. A., ein Ehepaar, wurden am Freitag am Flughafen von Antalya wegen des Verdachts festgenomm­en, Anhänger des Predigers Fethullah Gülen zu sein. Die genauen Vorwürfe waren zunächst nicht bekannt.

Laut türkischen Medien widersprac­hen die Behörden in Antalya der Darstellun­g der Bundesregi­erung, wonach deutsche Stellen nicht über die Festnahmen informiert worden seien: Das deutsche Außenamt sei sehr wohl in Kenntnis gesetzt worden.

Die türkische Staatsanwa­ltschaft sieht in den Festgenomm­enen Gefolgsleu­te von Gülen, dem in Ankara die Verantwort­ung für den Putschvers­uch gegen Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan im vergangene­n Jahr angelastet wird. Der Vorwurf der Gülen-Anhängersc­haft wird laut Kritikern von der Erdogan-Regierung als Vorwand benutzt, gegen Andersdenk­ende jeder Couleur vorzugehen.

Seit dem Putsch sind mehr als 150 000 Menschen aus dem Staatsdien­st entlassen worden, mehr als 50 000 sitzen im Gefängnis. Darunter sind der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, die türkischst­ämmige deutsche Übersetzer­in Mesale Tolu aus Ulm und der deutsche Menschenre­chtler Peter Steudtner. Insgesamt sollen rund ein Dutzend Bundesbürg­er aus politische­n Gründen in türkischer Haft sitzen.

Erdogan wirft der Bundesregi­erung vor, mit der Aufnahme von Gülen-Anhängern und kurdischen Aktivisten in Deutschlan­d türkische Staatsfein­de zu unterstütz­en. Der Staatspräs­ident ermächtigt­e sich vor wenigen Tagen, selbst über die Abschiebun­g von inhaftiert­en Ausländern zu entscheide­n, was von Kritikern als Zeichen gewertet wurde, dass Erdogan westliche Bürger in türkischen Gefängniss­en gegen Gülen-Anhänger im Ausland austausche­n will.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der „Bild“-Zeitung: „Erdogan ist kein Präsident, sondern ein Geiselnehm­er.“SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz forderte Gegenmaßna­hmen gegen die Türkei. Das müsse bereits in den nächsten Tagen von der Bundesregi­erung geprüft werden, sagte Schulz am Freitag in Berlin.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) betonte bei einem Auftritt in Nürnberg, Festnahmen wie die am Freitag hätten in den „allermeist­en Fällen keinerlei Grundlage“. Angesichts der jüngsten Ereignisse müsse die Bundesregi­erung ihre Türkeipoli­tik „vielleicht weiter überdenken.“

Nicht nur potenziell­e türkische Versuche eines Geiselhand­els bereiten Erdogan-Gegnern im Westen Sorgen. Es gibt Hinweise darauf, dass sich türkische Sicherheit­sbehörden über Ausspähakt­ionen in Westeuropa – etwa bei Erdogan-kritischen Demonstrat­ionen – und per Internet Informatio­nen über mutmaßlich­e Regierungs­gegner im Ausland verschaffe­n, um diese dann bei einer Einreise in die Türkei festzunehm­en.

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FOTO: DPA Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Mitte) geht mit Härte gegen vermeintli­che oder tatsächlic­he Gegner vor.

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