Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Entschärfungen machen 80 000 kurzzeitig obdachlos
Größte Evakuierungsaktion in Frankfurt seit 1945 – Kampfmittelräumdienst auch in Koblenz gefordert
● KOBLENZ/FRANKFURT (dpa) - Insgesamt mehr als 80 000 Menschen müssen am Wochenende in Koblenz und Frankfurt ihre Wohnungen verlassen, weil Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg beseitigt werden. In Koblenz muss gar ein Gefängnis geräumt werden.
Ein Warnlicht blinkt, langsam öffnet sich das große Schiebetor der JVA Koblenz. Ein Gefangenenbus, unten grün, oben weiß, fährt in den Innenhof. Zahlreiche Häftlinge steigen ein. Es ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik: Schon zum zweiten Mal nach 2011 wird das Koblenzer Gefängnis wegen einer Bombenentschärfung geräumt.
Diesmal werden etwa 160 Untersuchungshäftlinge per Bus zu anderen Gefängnissen gebracht. Auf welche Gefängnisse in Rheinland-Pfalz wie viele Häftlinge wann verteilt werden, will der Sprecher des Mainzer Justizministeriums, Christoph Burmeister, nicht verraten – um nicht etwa den Versuch einer Gefangenenbefreiung zu provozieren. „Wir werden keine JVA in anderen Bundesländern in Anspruch nehmen müssen“, fügt er hinzu. „Wir kriegen das selbst hin.“
Die Haftanstalt in Koblenz liegt im Sperrgebiet, das am Samstag 21 000 Anwohner verlassen müssen. Anschließend plant der Kampfmittelräumdienst die Entschärfung eines 500-Kilo-Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg.
Einen Tag später, am Sonntag, müssen in Frankfurt wegen der Entschärfung einer 1800-KilogrammWeltkriegsbombe sogar 60 000 Anwohner aus ihren Häusern. Dort wurde eine Luftmine gefunden. In Frankfurt liegt zwar kein Gefängnis in der Evakuierungszone, dafür sind dort unter anderem zwei Krankenhäuser, rund 20 Altenheime, ein Polizeipräsidium, der Hessische Rundfunk und die Bundesbankzentrale. Somit stellt die Evakuierung die Behörden vor eine logistische Mammutaufgabe.
Das Bürgerhospital, das älteste Krankenhaus Frankfurts, hat mit etwa 3000 Neugeborenen jährlich die größte Geburtenstation Hessens. Zumindest am Sonntag dürfen dort nun keine Kinder zur Welt kommen, andere Krankenhäuser springen ein. Die übrigen Patienten des 320-Betten-Hauses sollen am Samstag verlegt werden. Wie viele genau es letztlich sein werden, stand am Donnerstag noch nicht fest. Neue Patienten werden schon nicht mehr angenommen.
Die Entschärfung einer 1,8 Tonnen schweren Luftmine nahe der GoetheUniversität erfordert die größte Evakuierungsaktion nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Der Zeitplan sieht folgendermaßen aus: Um sechs Uhr müssen die ersten aus ihren Häusern, ab acht Uhr soll eine Zone im Umkreis von 1,5 Kilometern rund um die Bombe menschenleer sein. Dann kontrolliert die Polizei, ob wirklich alle raus sind. Einige Tausend Polizisten werden die Straßen durchkämmen und an Wohnungen und Häusern klingeln. Auch ein Hubschrauber mit einer Wärmebildkamera wird im Einsatz sein. Gegen Mittag wollen die Experten des Kampfmittelräumdienstes mit ihrer eigentlichen Arbeit beginnen. Geht alles gut, können die Frankfurter gegen 20 Uhr wieder in ihre Häuser zurück.