Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Den Fall der Mauer habe ich gar nicht mitbekommen“
Charly Hübner kennt das flirrend-chaotische Berlin der Sven-Regener-Romane – Im Film „Magical Mystery“spielt er jetzt den Ex-Künstler Karl Schmidt
Das Fernsehpublikum kennt ihn vor allem als ruppigen Polizeiruf-Ermittler Bukow. In seinem neuesten Film verkörpert Charly Hübner einen ganz anderen Typen: Charlie, den psychisch labilen Künstler in der Verfilmung des Sven-Regener-Romans „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“, angesiedelt in der deutschen Technoszene der 1990er-Jahre. André Wesche hat sich mit dem vielseitigen Mimen über Musikleidenschaft, DDR-Identität und die Kunst des Bierzapfens unterhalten.
Herr Hübner, wenn Sven Regener die Feder geschwungen hat, Arne Feldhusen („Stromberg“) Regie führt und Detlev Buck Kollege ist, sagt man dann automatisch zu?
Ja. Für mich waren diese Sven-Regener-Welten immer ein Kosmos, den ich aus der Ferne bewundert habe. Arne und ich kennen uns schon länger. Er hat mir das Projekt vorgestellt und mir war klar, dass ich das Angebot erstmal prüfen muss. Vielleicht würde ich ja zu aufgeregt sein und das gar nicht hinkriegen! Ich habe das Buch gelesen, war sehr begeistert und fühlte mich auch sehr geehrt. Dass Detlev dann als „RegenerPapst“höchstpersönlich dazu gestoßen ist, war natürlich ein zusätzliches Schmankerl.
Was für eine Rolle spielt Musik in Ihrem Leben?
Eine große. Ich bin sehr musikalisch. Ich höre ständig Musik und bin sehr früh in die Welt der Stromgitarren geraten. Das war meine Prägung als Teenager. Später haben sich alle möglichen Genres hinzugefügt außer Discomusik. Und irgendwann kam dann auch Rave dazu. Joe Strummer („The Clash“) hatte irgendwo mal gesagt: „Raver sind die besseren Hippies.“. Strummer war natürlich eine Punk-Ikone, mit der man sich befasst hat. Wenn so einer das sagte, musste man schon mal genauer hinhören. Gerade diese dunkle Seite, die aus Detroit rüber schwappte und in Berlin im „Tresor“zu hören war, hat mich immer wieder zum Mitraven eingeladen. Aber ich habe nie zu Hause Techno gehört.
Ihre Filmfigur erlebte die Wende als Trauma. Wie war es bei Ihnen?
Am betreffenden Abend haben wir Generalprobe vom Karnevalsklub gehabt und der Alkohol ist reichlich geflossen. Den Fall der Mauer haben wir gar nicht mitbekommen, ich kenne ihn nur aus der Nacherzählung. Deshalb war „Bornholmer Straße“so ein Projekt, bei dem ich diesen Moment noch einmal selbst nachholen konnte. Ich war zur Wende siebzehn, da war dieser Aufbruch und das Sichlösen-vom-Elternhaus eh in den Knochen drin. Weg aus dem Dorf, rein in die Stadt. Deshalb fühlte sich für mich der Aufbruch im ehemaligen Ostteil der Bundesrepublik gar nicht als großer Unterschied an, gerade in einer Stadt wie Berlin, wo es viel mehr Potential gab als auf dem Land. Das Berlin vor dem Mauerfall kannte ich nicht. Und das Berlin, das ich ab 1992 kennenlernte, war eine Stadt, die sich veränderte und verschmolz. Manches ist dabei draufgegangen, manches ist besser geworden. Wenn es ein Schnitt war, dann auf positive Art. Der Weg zum Schauspielerberuf, der sich mir in dieser BRD eröffnet hat, wäre mir in der DDR so sicher nicht gelungen. Dazu war das Umfeld doch zu sehr SED-orientiert, was es für mich sehr kompliziert gemacht hätte.
Spüren Sie trotzdem noch eine DDR-Identität in sich?
Jeder hat natürlich seine eigene Identität. In meiner Generation, aber auch noch bei den zehn Jahre jüngeren und erst recht bei den älteren erkenne ich immer sofort, wenn jemand aus der ehemaligen DDR stammt. Es ist eine andere Form von Direktheit im Alltäglichen, eine andere Prägung. Was sich im Laufe meines Lebens aber immer mehr durchsetzt, sind die Mecklenburger Wurzeln. Dieses Norddeutsche ist noch mal ein anderer Stempel, der über die DDR hinausreicht. Das ist anderswo ähnlich.
Ist es seltsam, wenn eine Filmfigur denselben Namen wie man selbst trägt?
Nee. Ich bin ein SchriftMensch und jemand, der viel liest. Für mich ist „Charlie“ganz anders als „Charly“. Jetzt stellt man mir öfter diese Frage, ich habe vorher nie darüber nachgedacht. Die Figur heißt ja auch im wirklichen Leben Karl und ich Carsten. Deshalb hat sich das für mich nie gebissen.
Die Leute von „Bumm Bumm Records“stellen fest, dass sich ihre Ideale verändert und dass sie früher größer gedacht haben. Sehen Sie Ihren Beruf heute auch anders als zu Beginn?
Na klar. Als junger Schauspieler war ich sehr froh darüber, dass das überhaupt mal in die Gänge kam. Am Anfang stand so eine spleenige Idee. Damals war es noch selbstverständlich, dass man erstmal auf die Schauspielschule geht. Das ist ja heute nicht mehr so. Mich zog es ursprünglich nach Rostock, weil ich im Norden bleiben wollte. Das Schicksal hat dann drei Räder gedreht, bis ich aus der Empfindung heraus nach Berlin gehen musste. Heute bin ich natürlich total froh, dass ich an der „Ernst Busch“gelandet bin. Heute ist es ein Segen, jemanden wie Karl Schmidt spielen zu dürfen oder „Bornholmer
Straße“oder Bukow im Polizeiruf Rostock. Davon hätte ich als 19Jähriger nicht zu träumen gewagt.
Es ist schon toll, dass ich das erleben darf.
Charlie erleidet auf der Tour einen Zusammenbruch. Wie kommt eine so intensive Szene zustande?
Darüber haben wir viel diskutiert. Dieser Moment ist ja wie ein Dammbruch, der sich vorher ein bisschen angekündigt hat. Wir haben es am Ende genauso gedreht, wie Sven es im Roman vorgegeben hat. Dann ist es fast ein formaler Vorgang.
Sind Sie selbst vor depressiven Schüben gefeit?
Ja. In meinem bisherigen Leben war das gar kein Thema. Eine gewisse Melancholie gehört zu meinem Alter und meinem Beruf. Überhaupt halte ich Melancholie für ein gutes Ausgleichsbecken zu der hysterischen Gesellschaft, in der wir leben. Aber Depressionen oder Flashbacks sind mir bislang nicht widerfahren. Charlie hat ja auch jahrelang Tabletten in dieser Drogen-WG zu sich nehmen müssen. Und man weiß, dass beim Absetzen dieser Medikamente nicht nur die Dämonen wiederkommen, die durch sie im Zaum gehalten wurden, sondern auch die, die sich zwischenzeitlich im Unterbewusstsein dazugesellt haben. Deshalb ist so ein Flashback oft viel schlimmer, als der Zustand vor den Tabletten. Dann wird es zum Überlebensthema. Ich bin sehr froh, dass ich mit meinem extrovertierten Gemüt bisher davon verschont geblieben bin.
Im Film zapfen Sie Bier. Das dürfte Ihnen aufgrund Ihrer Herkunft nicht schwergefallen sein.
Nee. Ich habe sogar als später Teenie damit mein Geld verdient. Irre, was der Körper sich alles merkt. Man weiß sofort wieder, wie alles geht. Das hat der Vater mir mal beigebracht und das geht immer noch so. Was Hänschen lernt …
Karl/Charlie büxt gern aus seiner alles regulierenden WG aus und gönnt sich etwas Gutes. Sind Sie auch ein Genussmensch?
Bei einem wirklich guten Wein kann ich nicht Nein sagen. Das ist meine Achillesferse.