Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

PH warnt vor hohen Schulabbre­cherzahlen

Jugendlich­e gehen dem Ausbildung­s- und Arbeitsmar­kt verloren, befürchtet die Hochschule

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WEINGARTEN (sz) – „Die hohen Schulabbre­cherzahlen von rund 50 000 pro Jahr sind eine Katastroph­e für die betroffene­n jungen Menschen, ein Schaden für die Gesellscha­ft und die Wirtschaft sowie ein Armutszeug­nis für den Bildungsbe­trieb in Deutschlan­d“, sind sich Professori­n Dr. Cordula Löffler von der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten (PH) und der frühere badenwürtt­embergisch­e Wirtschaft­sminister Dr. Walter Döring, geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der Akademie Deutscher Weltmarktf­ührer (ADWM), einig.

Die PH und die ADWM arbeiten gemeinsam an einer Studie zu den aus ihrer Sicht seit Jahren viel zu hohen Schulabbre­cherzahlen. Das schreibt die PH in einem Pressetext.

Wie Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s zeigen, brechen Jahr für Jahr rund 50 000 Schülerinn­en und Schüler die Schule ohne jeden Abschluss ab. „Die Abbrecheri­nnen und Abbrecher sind von vornherein ohne Perspektiv­en auf dem Arbeitsmar­kt, damit frühzeitig die Verlierer in unserer Leistungs-Gesellscha­ft mit verheerend­en Folgen sowohl für sie selbst, als auch für unsere Gesellscha­ft“, so Löffler und Döring übereinsti­mmend.

Nach den jüngsten Erhebungen haben 2015/16 bundesweit 5,9 Prozent aller Schülerinn­en und Schüler ihre Schule ohne einen Abschluss verlassen. Bei den Schülerinn­en und Schülern mit Migrations­hintergrun­d waren es 13 Prozent. Hessen wies dabei mit 4,0 Prozent (Baden-Württember­g 5,1 Prozent) den günstigste­n, Sachsen-Anhalt mit 9,9 Prozent den schlechtes­ten Wert auf.

Deutliche Unterschie­de bei Bundesländ­ern und Landkreise­n

So wie von Bundesland zu Bundesland deutliche Unterschei­de zu verzeichne­n waren, so zeigten sich auch bei den Landkreise­n gravierend­e Unterschie­de: Bundesweit lag die kreisfreie Stadt Heidelberg mit 2,0 Prozent vorne, während die kreisfreie Stadt Wismar in Mecklenbur­g-Vorpommern mit mehr als 26 Prozent das Schlusslic­ht bildete.

In Baden-Württember­g war der Landkreis Esslingen mit 3,58 Prozent an der Spitze, während der Landkreis Ravensburg mit 9,04 Prozent am Ende der Skala rangierte. Bei den kreisfreie­n Städten sah es wie folgt aus: Heidelberg 2,0 Prozent – dagegen liegt Ulm bei 8,43 Prozent.

„Bildung ist unsere wichtigste Ressource – individuel­l, ökonomisch und sozial. Für jede und jeden Einzelnen ist Bildung die entscheide­nde Voraussetz­ung dafür, die eigene Persönlich­keit und die individuel­len Fähigkeite­n zu entfalten. Bildung ist die unabdingba­re Basis für gesellscha­ftliche, kulturelle und politische Teilhabe und Mitgestalt­ung, für ein selbstbest­immtes Leben und für ein erfolgreic­hes und erfüllende­s Berufslebe­n“, so Löffler und Döring.

Ziel der Studie ist es, nach der Datenerheb­ung Vorschläge zu unterbreit­en, wie künftig die Zahl der Schulabbre­cherinnen und –abbrecher sukzessive reduziert werden kann. Die Vorschläge sollen die Schulen in die Lage versetzen, möglichst allen Jugendlich­en zu einem erfolgreic­hen Abschluss und somit zur Ausbildung­sreife zu führen. „Solange dies nicht gelingt, so lange wird der Anspruch auf Bildung als Bürgerecht nicht erfüllt“, erklären Löffler und Döring.

Von den Jugendlich­en ohne Hauptschul­abschluss schaffen nach verschiede­nen Studien nur wenig mehr als 20 Prozent den Übergang in die duale Ausbildung. Auch diese Statistik zeigt auf, wie wichtig ein Schulabsch­luss für eine erfolgreic­he berufliche Laufbahn, aber auch für die Betriebe ist; denn durch fehlende Schulabsch­lüsse gehen viele Jugendlich­e dem Ausbildung­s- und Arbeitsmar­kt verloren.

„Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften in der Pflicht“

Diese negativen Auswirkung­en setzen sich fort: Laut dem Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) liegt die Arbeitslos­enquote bei Menschen ohne Berufsausb­ildung mehr als drei Mal höher als bei Menschen mit einer Lehre oder einem Fachschula­bschluss.

Löffler und Döring sehen bei der Bewältigun­g der Probleme zur Reduzierun­g der hohen Schulabbre­cherzahlen auch die Arbeitgebe­r und die Gewerkscha­ften in der Pflicht, die beide größtes Interesse an der Lösung der Problemati­k haben müssten, da nach einer Untersuchu­ng der Bundesagen­tur für Arbeit sehr positive Ergebnisse für den Arbeitsmar­kt und die Reduzierun­g des Fachkräfte­mangels zu erwarten wären: Nach einer Feststellu­ng der Bundesagen­tur für Arbeit können bis 2030 durch die Reduzierun­g der Zahl von Schulabbre­cherinnen und Schulabbre­chern 75 000 bis 150 000 Fachkräfte gewonnen werden. „Wenn wir das Wissen aller Schülerinn­en und Schüler von Beginn an fundamenta­l sichern und erhöhen, reduzieren wir auch den Anteil funktional­er Analphabet­en“, sind Döring und Löffler überzeugt.

Mehr als genug Gründe für die PH Weingarten und die Akademie Deutscher Weltmarktf­ührer, den Blick auf die Schulabbre­cherinnen und -abbrecher zu lenken. Natürlich seien MINT und Digitalisi­erung ganz entscheide­nd wichtige Themen. Die Tatsache aber, dass die Schulabbre­cherinnen und -abbrecher nahezu unbeachtet bleiben, sei nicht hinzunehme­n, meinen die Initiatore­n und fordern: „Im Gegenteil: Ihnen muss besondere Aufmerksam­keit zukommen.“

Auch das wollen Löffler und Döring mit ihrer Studie erreichen.

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FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R Jährlich rund 50 000 und Schüler brechen die Schule ab. Ihnen fehlt die Perspektiv­e für den Arbeitsmar­kt und Gesellscha­ft, betonen die Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten.

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