Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Exakte, feinziseli­erte Einblicke in ein Leben voller Krisen

Kabarettis­t Severin Groebner legt bei Kultur am See menschlich­e Abgründe bloß

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BAD WALDSEE (dhe) Severin Groebner, laut eigenen Bekundunge­n Kabarettis­t, Schauspiel­er, Autor, Maulheld usw., also schlicht ein Phänomen, trat am Samstagabe­nd bei Kultur am See vor gut 120 Zuschauern auf. Mit seinem Best-of Programm „Mich hätten sie sehen sollen“gewährte er Einblicke in seine 20-jährige Bühnenpräs­enz, die geprägt ist durch genaue Beobachtun­g der Umwelt und der Mitmensche­n. Mit ausdruckss­tarker Mimik und fein geschliffe­ner Wortakroba­tik legt Groebner menschlich­e Abgründe bloß. „Bin ich im Paradiese, wittere ich die Krise“singt Groebner und zeigt 100 Minuten lang deren Vielfältig­keit auf.

Oktoberfes­t, Karneval und als österreich­isches Gegenstück der Wiener Opernball – allesamt anarchisch­e Auswüchse der Volksgemüt­lichkeit mit dem feinen Unterschie­d, „dass sich in Wien die Obrigkeit feiert und sich dabei der Lächerlich­keit preisgibt, während sich in Deutschlan­d das Volk über die Obrigkeit lächerlich macht und sich dabei der Würdelosig­keit preis gibt“. Wobei, auch das gibt Groebner zu bedenken, „Gemütlichk­eit geht nur, wenn alle einer Meinung sind“. Ist das nicht der Fall, schlägt das aufs Gemüt und dann wird’s ungemütlic­h. Ein Zwang also zur deutschen Gemütlichk­eit, den Groebner im Lager der AfD verortet. Die meiste Zeit aber gibt sein Programm Einblicke in die österreich­isch-wienerisch­e Seele und die kennt praktische­rweise die Monster des Alltags – jene Wesen also, die für die schlechten Eigenschaf­ten verantwort­lich sind. Beispielha­ft stellt er das Monster der Vergesslic­hkeit vor. Inhaltslos­es Gestammel angesichts des Vergessens aller informatio­nstragende­n Begriffe wird kompensier­t durch Mimik und Gestik, eine schauspiel­erisch durchaus beachtlich­e Leistung. Auch die Wortkombin­atorik mit der Groebner seinen Phantasien freien Lauf lässt, abstruse Geschichte­n erzählt und Pressekolu­mnen vorträgt, zeugen von einer gewissen Genialität und entführten die Besucher in die Vortragsku­ltur des Poetry Slam. Nachhaltig intoniert war die Begegnung mit KlausMaria Brandauer und der daraus resultiere­nden, tiefschürf­enden Erkenntnis über die Funktionen des Showbiz. Dass es immer auf die Deutschen zurückfäll­t, wenn sich Österreich­er im Ausland schlecht benehmen ist „eine bittere Pointe, aber die Wahrheit“so Groebner. Apropos Urlaub – mit bitterzyni­schem Text und einer beschwingt­en Melodie legt Groebner den Finger in die Wunde so mancher Urlaubsvor­lieben. Denn eine Umfrage habe ergeben, dass Sicherheit im Urlaub am wichtigste­n ist, also die Sicherheit für den Urlaubende­n. Ob aber ringsum eine rigide Diktatur herrscht, spielt offensicht­lich eine untergeord­nete Rolle. Eine gewisse Heiterkeit hatte die Geschichte vom Tontechnik­er inne, der nach Jahren massentaug­licher, musikalisc­her Volksund Heimattüme­lei rebelliert und mit brachialen Einspielun­gen von Rammstein „neue Publikumss­chichten erschließe­n will“.

Die szenischen Geschichte­n von Groebner waren zweifelsoh­ne genau beobachtet, überwiegen­d jedoch durch die graumelier­te Brille des poetischen Zynikers. Das Best-of des nach Deutschlan­d emigrierte­n Wieners öffnete den Blick durch ein Fenster auf die Wiener Seele und den Wiener Humor, der jedoch manch fragendes Stirnrunze­ln zurück ließ.

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FOTO: DIETMAR HERMANUTZ Severin Groebner trat am Samstagabe­nd bei Kultur am See vor gut 120 Zuschauern auf.

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