Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wohngruppe Wolfgang muss umziehen

Bewohner der Einrichtun­g für Menschen mit erworbenen Hirnschädi­gungen fühlen sich überrumpel­t

- Von Paulina Stumm

Aulendorf - Die St.-Elisabeth-Stiftung plant, die „Wohngruppe Wolfgang“in Aulendorf aufzulösen. Dort leben Menschen mit erworbenen Hirnschädi­gungen in einer Wohngruppe mit angegliede­rter Tagesförde­rungsstätt­e. Die Gruppe wird voraussich­tlich im Sommer 2018 in einen Neubau in Ravensburg umziehen – Pläne, die bei den Bewohnern für Unmut gesorgt haben. Sie verweisen auf die gut geeignete Infrastruk­tur in Aulendorf, kritisiere­n aber auch die Informatio­nspolitik der Stiftung.

Bislang wohnen die 13 Menschen, die etwa nach einem Unfall oder Hirninfark­t mit einer Hirnschädi­gung leben, in der Wohngruppe im Gebäude des Altenpfleg­eheims „Wohnpark St. Vinzenz“in Aulendorf, direkt am Stadtpark. „Für uns ist der Park ideal, weil wir selbständi­g raus können“, sagt Bewohnerin Corinna Sinistra. Die Wohngruppe gehe auch regelmäßig zusammen auf den Wochenmark­t, ohne, dass sie Angst haben müsste vor viel Verkehr, berichtet sie. Zudem fürchtet Sinistra, dass nicht alle Mitarbeite­r mit nach Ravensburg ziehen werden – dann müssten sie sich zusätzlich an neue Betreuer gewöhnen.

Auch Phillip Haasemann trifft der geplante Umzug hart. Sein Vater berichtet, was es für seinen Sohn, der seit 2012 in Aulendorf lebt, bedeutet. „Phillip war tief unglücklic­h. Er hat sich hier super eingelebt“, sagt Theo Haasemann und berichtet von zahlreiche­n Kontakten die sein Sohn im Ort dank der dörflichen Struktur geknüpft habe, er sei ein großer Fan der SGA-Frauenfußb­allmannsch­aft und gehe hier auch zu Musikveran­staltungen. „Wenn ein amerikanis­ches Auto vorbeifähr­t, wird gehupt – die Junkers kennen ihn alle“, sagt Haasemann über den hiesigen Autoclub. Warum sie gerne in Aulendorf bleiben wollen, und dass ihnen die Umzugsplän­e missfallen, haben einige Bewohner vor einem Monat dem Stiftungsv­orstand in einem Brief mitgeteilt. Phillip Haasemann hat den Brief ebenfalls unterschri­eben: „Ich bin ein Aulendorfe­r!“steht dort neben seinem Namen.

„Auf den Brief haben wir bis heute keine Reaktion bekommen“, sagt Bewohnerin Sinistra. „Wir erwarten, dass die Menschen, die das entschiede­n haben, sich damit auseinande­r setzen und uns nicht einfach ignorieren.“Die Elisabeth-Stiftung teilt dazu mit, es habe aus Urlaubsgrü­nden bislang keine mit mehreren Beteiligte­n abzustimme­nde Antwort erfolgen können. Man habe leider versäumt, die Autoren des Briefs darüber zu informiere­n. „Wir bedauern es sehr, dass dadurch Unmut aufgekomme­n ist“, teilt ein Sprecher mit.

„Über die Köpfe hinweg entschiede­n“

Grundsätzl­ich störten sich die Bewohner daran, dass „über unsere Köpfe hinweg entschiede­n wurde“, wie Sinistra sagt. Die Bewohner hätten über Gerüchte von den Plänen erfahren. Die St.-Elisabeth-Stiftung spricht von einer Versammlun­g im August, bei der die Bewohner informiert worden sind. Eine erste offizielle Informatio­n für Angehörige oder rechtliche Betreuer der Bewohner gibt es nun Mitte Oktober.

Das Krankheits­bild nach einem Schädel-Hirn-Trauma bringt es mit sich, dass die Bewohner kognitiv und in ihrer Ausdrucksf­ähigkeit eingeschrä­nkt sind. Allerdings könnten, so teilt die Stiftung auf Nachfrage mit, neben Sinistra auch viele andere Bewohner der Wohngruppe klar, deutlich und überlegt ihre Wünsche und Bedürfniss­e äußern. Dass die Bewohner nicht nach ihrer Meinung zu dem Umzug gefragt wurden, stört Sinistra gewaltig. „Wir haben ein Mitsprache­recht“, findet sie.

Das mag in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um ein Betreuungs­angebot handelt, viel verlangt sein, zeigt aber auch, wie schmal der Grad der Selbstbest­immung für Menschen, die auf eine solche Betreuung angewiesen sind, mitunter ist – oder, wie Sinistra es ausdrückt: „Es ist unser Zuhause. Was würden Sie sagen, wenn jemand in Ihre Wohnung kommt und sagt: Bitte packen Sie, Sie ziehen um.“

Bei der St.-Elisabeth-Stiftung ist man sich klar darüber, dass ein Umzug für die Bewohner mit Stress verbunden ist: „Wir sind uns bewusst, dass sich Bewohner bei einem Umzug auf eine neue Umgebung und zum Teil auch neue Strukturen einstellen müssen – wir bieten ihnen dabei die volle Unterstütz­ung“, teilt deren Sprecher mit. Allerdings betont die Stiftung auch, dass es sich um eine strategisc­he Entscheidu­ng handle, die das Wohn- und Beschäftig­ungsangebo­t „aus unserer Sicht für die Zukunft noch attraktive­r macht.“Letztlich entscheide aber jeder für sich, „ob er dieses Angebot annimmt oder nach einer Alternativ­e sucht“.

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