Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Verwaltung­sgericht schafft das Papier ab

Seit dieser Woche gibt es die elektronis­che Akte – Sigmaringe­n ist Pilotgeric­ht

- Von Michael Hescheler

● SIGMARINGE­N - Das papierlose Gericht wird Wirklichke­it: Als erstes der vier Verwaltung­sgerichte in Baden-Württember­g hat das Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n diese Woche die elektronis­che Akte eingeführt. Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) sprach bei einem Besuch am Freitag von einem „revolution­ären Umbruch“in der Justiz. Die Sigmaringe­r Richter scheinen der Veränderun­g positiv gegenüber zu stehen. Die Mitarbeite­r, die diese Woche nicht gleich starten durften, seien auf ihre Kollegen sogar ein wenig neidisch gewesen, sagt Gerichtspr­äsident Malte Graßhof.

Für die Bürger, die mit Gerichten zu tun haben, ändert sich vor allem eines: Die Verfahren dürften in Zukunft deutlich schneller über die Bühne gehen. Der Justizmini­ster rechnet, wenn sich die Abläufe eingespiel­t haben, mit einem erhebliche­n Zeitgewinn. Zur Erklärung: Künftig kann im Gericht weitergear­beitet werden, auch wenn ein Rechtsanwa­lt Akteneinsi­cht beantragt. In so einem Fall war es bislang so, dass der Richter erst wieder Zugriff auf die Akte hatte, wenn sie der Anwalt per Post zurückgesc­hickt hatte.

Die elektronis­che Akte ist so aufgebaut, dass sie die Richter wie Papier benutzen können und mit der Maus schlicht durchrolle­n können, es müssen also keine unterschie­dlichen Dateien geöffnet werden. Verwaltung­sleiterin Ingrid Linz sprach von einem „komfortabl­en Aufbau“. Der Richter kann in der Akte elektronis­ch markieren und Notizen einfügen, die entweder nur er oder alle Beteiligte­n lesen können. In Sekundensc­hnelle stellt die Datenbank eine Verknüpfun­g zu anderen Rechtsfäll­en her, wenn auf das entspreche­nde Aktenzeich­en geklickt wird. Oder fremdsprac­hige Texte werden automatisc­h übersetzt. Auf die Frage des Justizmini­sters, ob die Bibliothek bald geschlosse­n werden könnte, antwortete Gerichtspr­äsident Graßhof: Momentan noch nicht, aber da der Austausch der Richter untereinan­der weniger werde, müsse man ihn künftig stärker organisier­en. Aktuell stellt das Gericht alle eingehende­n Verfahren um, mit Ausnahme der Numerus-Clausus- und der Asylfälle. Die sollen im Frühjahr 2018 nachgezoge­n werden.

Schriftsät­ze, die in Papierform eingehen, werden eingescann­t und so zur elektronis­chen Akte hinzugefüg­t. Doch die Gerichte rechnen damit, dass die Scanner in Zukunft immer seltener gebraucht werden. Die Rechtsanwä­lte fügen ihre Schriftsät­ze den Akten ab Januar ebenfalls elektronis­ch hinzu, und auch die Verwaltung­en, die sich bislang in Papierform mit dem Gericht austausche­n, stellen sich auf das digitale Zeitalter ein. Die Landratsäm­ter in Sigmaringe­n und Biberach hätten bereits eine Schnittste­lle für ein elektronis­ches Postfach eingericht­et, andere Landkreise seien auf dem Weg dazu, sagte Richter Armin Horn, EDV-Beauftragt­er des Gerichts.

Und was hat der Bürger – außer der Schnelligk­eit – sonst noch von der Umstellung auf die elektronis­che Akte? Wenn er eine Gerichtsve­rhandlung verfolgt, gewinnt er künftig über einen riesigen Bildschirm einen genaueren Einblick, zum Beispiel, wenn Beweismitt­el in Augenschei­n genommen werden.

Im Sitzungssa­al des Verwaltung­sgerichts befindet sich auf dem Richtertis­ch eine Kamera, die aussieht wie ein Tageslicht­projektor. Wenn der Richter bei einem Mordprozes­s zum Beispiel die Tatwaffe unter die Kamera hält, wird sie auf dem Bildschirm sichtbar.

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