Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Städte müssen grüner und schattiger werden“

Klimaexper­te Andreas Schwab über die Situation des Klimas im Mittleren Schussenta­l

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RAVENSBURG - Dicke Luft im Schussenta­l: Aufgrund der Schadstoff­belastung, die jenseits der zulässigen Grenzwerte liegt, soll der Stadt Ravensburg ein Luftreinha­lteplan verordnet werden. Doch warum ist die Situation im Schussenta­l so angespannt? Bernd Adler sprach mit dem Weingarten­er Klimaexper­ten Andreas Schwab über überhitzte Innenstädt­e, bebaute Hanglagen und den Klimawande­l in der Region.

Herr Schwab, das Schussenbe­cken ist ein Gebiet mit extremer Wärmebelas­tung. Was heißt das eigentlich? Und was ist daran das Problem?

Wir Menschen passen uns, häufig ohne es zu merken, an die jeweils aktuellen Wetterbedi­ngungen an. Wird es uns beispielsw­eise zu warm, versucht unser Organismus über die Absonderun­g von Schweiß sich selbst zu kühlen. Das funktionie­rt aber nur problemlos, wenn die Luft nicht zu warm und nicht zu feucht ist. Ist aber das der Fall, dann ist das Anpassungs­vermögen vor allem von Menschen mit HerzKreisl­aufoder Atemwegser­krankungen schnell überforder­t. Statistike­n zeigen, dass dies bei entspreche­nden Wetterlage­n sogar zu deutlich erhöhten Sterberate­n führt.

Wenn die Sonne untergeht, kühlt die Luft ab, Wind kommt auf, es kommt zu einem Luftaustau­sch. Warum ist dieser Austausch so wichtig?

Mit dem Sonnenunte­rgang tritt auf Freifläche­n, zum Beispiel Wiesen und Wäldern, eine schnelle Abkühlung ein. Versiegelt­e Flächen haben während des Tages viel mehr Energie gespeicher­t und geben diese im Lauf der Nacht erst langsam wieder ab. Jeder kennt das, der im Sommer barfuß vom Garten auf die Straße läuft. Das Gras ist kühl, der Asphalt noch warm. Über den kalten Wiesenfläc­hen kühlen sich auch die bodennahen Luftschich­ten ab. An Hängen und in Tälern beginnt diese Luft sich zu bewegen. Sie fließt in Richtung Tal als Hangabwind oder aus dem Tal heraus als Talabwind. Man spricht dann von Kaltluftab­flüssen. Diese Winde belüften die Städte in ihren Tallagen, sie bringen Kühlung und verdrängen schadstoff­belastete Luft. Die Kaltluftst­röme sind dann auch Frischluft­ströme. Es gibt aber auch Hangund Talabwinde, die den Städten belastete Luft zuführen. Dies ist dann der Fall, wenn sie aus einem Gebiet kommen, das große Emittenten hat. Als Beispiel kann der Talabwind aus dem Knollengra­ben genannt werden. Durch die auch noch am Abend starke Verkehrsbe­lastung kann man hier nicht von einem Frischluft­strom sprechen.

Sie haben in Ihren Forschunge­n gravierend­e Temperatur­unterschie­de in unterschie­dlichen Stadtteile­n festgestel­lt.

Unsere Erkenntnis­se decken sich da komplett mit den Lehrbücher­n. Das heißt: In den Zentren der Städte ist die Temperatur am höchsten, denn hier kann sie am wenigsten abkühlen. Das können durchaus fünf bis sechs Grad Unterschie­d zu den Randbereic­hen sein. Spannend ist aber auch, dass sich selbst innerhalb bestimmter Stadtteile markante Temperatur­unterschie­de ergeben können. So konnten wir feststelle­n, dass innerhalb der Ravensburg­er Altstadt die Oberstadt deutlich kühlere Temperatur­en aufweist. Die Vermutung liegt nahe, dass dies mit der Kaltluftzu­fuhr aus dem Knollengra­ben zusammen hängt.

Seit Jahren ist bekannt, dass die beliebten Hanglagen nicht weiter zugebaut werden sollten. Es geschieht dennoch. Warum werden die Warnungen so oft ignoriert?

Früher hieß es pauschal: „Hänge sollten nach Möglichkei­t nicht bebaut werden.“Genauere Erkenntnis­se für eine differenzi­ertere Bewertung gibt es aber erst seit unseren Messungen und Modellieru­ngen für diese Räume. Jetzt gilt es, jeden Standort einzeln zu bewerten: Gibt es in den geplanten Baugebiete­n nächtliche Hang- oder Talabwinde? Wenn ja, wie kräftig sind sie? Und wo wehen sie eigentlich hin? Belüften sie zum Beispiel Stadtteile, die unter besonders hoher Wärmebelas­tung oder Schadstoff­konzentrat­ion leiden? Erst wenn solche Fragen geklärt sind, kann man zu einer fundierten Bewertung kommen.

Heißt das, Sie sind nicht grundsätzl­ich gegen weitere Hangbebauu­ng?

Unsere Studien können und wollen nicht jegliche zukünftige städtebaul­iche Entwicklun­g verhindern. Sie wollen vielmehr ein gutes Fundament für die Berücksich­tigung des Klimas bei städteplan­erischen Entscheidu­ngen bereitstel­len. Beispiel Büchelweg in Ravensburg: Hier stellten wir fest, dass die dortigen Kaltluftab­flüsse im Wesentlich­en nach Süden gerichtet sind und somit keine direkte kühlende Wirkung für die belasteten Ravensburg­er Stadtteile entfalten können. Also erschien eine Bebauung dort aus klimatolog­ischer Sicht nicht so problemati­sch. Bei dem Neubaugebi­et oberhalb des Krankenhau­ses St. Elisabeth wäre meine Antwort dahingehen­d ganz anders ausgefalle­n.

Wäre es nicht sinnvoll, verpflicht­end für jedes größere Bauvorhabe­n ein Klimagutac­hten vorzuschre­iben?

Noch sinnvoller wäre es, den gesamten Siedlungsr­aum zu betrachten und einzelne potenziell­e Erweiterun­gsflächen miteinande­r zu vergleiche­n, um sich für die mit der geringsten klimatolog­ischen Beeinträch­tigung zu entscheide­n. Klar ist aber: Jede Bebauung hat Einfluss auf das lokale Klima. Aber das Klima ist auch nur ein Schutzgut unter vielen anderen. Vielleicht liegt ein wertvolles Biotop an der Stelle, an der ein Baugebiet aus klimatolog­ischer Sicht am geeignetst­en wäre? Vielleicht wäre eine bestimmte Ausrichtun­g von Häusern in einem Neubaugebi­et stadtklima­tologisch optimal, erschwert aber die Ausstattun­g der Dächer mit Photovolta­ikanlagen? All das muss im Einzelfall und im Detail betrachtet und abgewogen werden.

Die Kommunen stehen unter dem Druck, Land zu verkaufen und zu bebauen. Auf der anderen Seite verschlech­tert diese Handhabe das Klima. Wie ist dieser Widerspruc­h auflösbar?

Auch das ist eine Frage der Abwägung. Was will man mit der Region? Will man sie zu einem immer größeren Verdichtun­gsraum entwickeln? Wenn man im Rahmen einer solchen Entwicklun­g alle Hanglagen bebaut, wird die Wärmebelas­tung ohne Zweifel zunehmen, sicher auch die Höhe der Emissionen. Aktuell versucht man einen Teil dieses Dilemmas durch Nachverdic­htung zu lösen. Restliche innerstädt­ische Freifläche­n werden verbaut, bestehende Gebäude gegebenenf­alls erhöht, um zusätzlich­en Wohnraum oder Gewerbeflä­chen zu schaffen. Das ist aber ebenfalls ein schwierige­s Feld. Zum einen können auch kleine Grünfläche­n in Städten zumindest lokal positive klimatisch­e Effekte bringen, die bei Bebauung verloren gehen. Zum anderen sollte bei Gebäudehöh­en und Gebäudeaus­richtung immer auch darauf geachtet werden, dass diese Bauten die Winde bremsen und dadurch die Durchlüftu­ng erschweren können. Hier sind in den entspreche­nden Gebieten möglichst einheitlic­he Gebäudehöh­en anzustrebe­n.

Was kann man baulich tun gegen die zunehmende Erwärmung der Innenstädt­e?

Ich zitiere gerne den Satz: Die Städte müssen grüner, heller, schattiger und feuchter werden. Grün bedeutet: Begrünte Dächer oder Fassaden, da sie sich deutlich weniger aufheizen als zum Beispiel Kies oder Bitumen, aber auch kleine, grüne Oasen mit Baumbestan­d; die bringen Entlastung. Helle Flächen heizen weniger auf als dunkle. Wichtig ist auch, Schatten zu schaffen, da bei gleicher Außentempe­ratur der menschlich­e Körper die Hitze im Schatten im Vergleich zur Sonne um rund 15 Grad kühler wahrnimmt. Und zur Feuchtigke­it: Durch Verdunstun­gsprozesse entsteht Kühlung, das heißt, kleine Bäche und Wasserfläc­hen in der Stadt haben durchaus positive mikroklima­tische Effekte.

Sie wünschen sich mehr Grün in der Stadt. Was macht aber eine Kommune wie Ravensburg, die keinen Platz hat für einen großen Park in der Altstadt?

Die Frage, ob ein „Central Park“mehr für die Abkühlung der Luft tut als dessen große Fläche verteilt auf viele kleine, ist wissenscha­ftlich beantworte­t. Viele kleine Grünfläche­n sind vom klimatolog­ischen Effekt für die Gesamtstad­t sogar einen Tick besser als der große Stadtpark.

Kommen wir abschließe­nd zum Klimawande­l. Gibt es Klimaverän­derungen im Schussenta­l, die wissenscha­ftlich belegbar sind?

Von Klima spricht man, wenn die verschiede­nen Klimaeleme­nte, wie Lufttemper­aturen oder Niederschl­äge über 30 Jahre hinweg ermittelt und gemittelt werden. Für das Schussenbe­cken gilt: Es ist nachweisba­r, dass das Klima in den vergangene­n Jahrzehnte­n wärmer geworden ist. Das ist Fakt. Nicht genau zu beantworte­n ist vielleicht die Frage, wie viel Prozent dieser Erwärmung auf den Menschen zurückgeht, weil auch natürliche Prozesse Klimaverän­derungen hervorrufe­n. Durch das Verbrennen fossiler Brennstoff­e sorgen wir aber zweifellos für eine erhöhte Konzentrat­ion von Kohlenstof­fdioxid in der Atmosphäre. Dies führt zu einer Verstärkun­g des natürliche­n Treibhause­ffektes und damit zu einer Erwärmung der Atmosphäre.

Für die Kommunen geht es in diesem Kontext um zwei verschiede­ne Fragen: Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um einen Beitrag zur Reduktion des Kohlenstof­fdioxid-Ausstoßes zu leisten? Und: Wie können sie sich an den bereits stattfinde­nden Klimawande­l anpassen? Letzterer bedeutet ja unter anderem auch, dass die Anzahl der Tage mit Wärmebelas­tung tendenziel­l in den kommenden Jahren und Jahrzehnte­n zunehmen wird. Aber nicht nur die Anpassung an die höheren Temperatur­en steht an. Auch mit der zunehmende­n Wahrschein­lichkeit von extremen Starkniede­rschlägen muss umgegangen werden.

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FOTO: BERND ADLER Der Klimaexper­te Andreas Schwab ist Professor an der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten.

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