Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Kompromiss der Union in Sachen Obergrenze
CDU und CSU einigen sich nach langen Verhandlungen auf gemeinsamen Kurs
BERLIN (dpa/AFP) - CDU und CSU haben sich nach jahrelangem Streit über eine Flüchtlings-Obergrenze beim Thema Zuwanderung geeinigt. Der Kompromiss enthält die Zahl von 200 000 Menschen als Obergrenze. Diese werde sich jedoch auf den humanitären Zuzug beziehen, also vor allem auf Kriegsflüchtlinge, hieß es am Sonntagabend aus Teilnehmerkreisen. Arbeitsmigration oder die europäische Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt seien von der Regelung nicht betroffen. Mit einem Kompromiss in der lange schwelenden Obergrenzen-Debatte wäre das wichtigste Hindernis für eine gemeinsame Linie der zerstrittenen Unionsschwestern in den anstehenden Jamaika-Verhandlungen mit FDP und Grünen beseitigt.
Es gebe bei CDU und CSU das gemeinsame Verständnis, „dass wir begrenzen müssen, weil eine Gesellschaft sonst überfordert wird“, sagte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“.
Teil des Kompromisses sei, dass auch künftig kein Asylsuchender an der deutschen Grenze abgewiesen werden solle. Dies berichtete die Deutsche Presse-Agentur. In Fällen, in denen Menschen an der Grenze Asyl beantragten, werde es weiter ein ordentliches Verfahren geben. Damit werde Merkels Zusage umgesetzt, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kenne.
●
●
BERLIN - Am Abend kommt der lang ersehnte Durchbruch: CDU und CSU haben ihren Streit über eine Obergrenze für Flüchtlinge beigelegt. Die Eckpunkte eines Kompromisses werden von Teilnehmern der Verhandlungen im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin verbreitet. Die Kanzlerin sei bereit, die Zahl der Kriegsflüchtlinge, die Deutschland aufnehmen will, auf 200 000 pro Jahr zu begrenzen, bestätigen Teilnehmer der „Schwäbischen Zeitung“.
In der endgültigen Einigung, die am späten Abend publik wird, heißt es, die Union wolle erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen „aus humanitären Gründen“die Zahl von 200 000 Menschen im Jahr nicht übersteigt. Unter diese Zahl fassen CDU und CSU „Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement“. Abgezogen werden soll die Zahl der Rückführungen sowie der freiwilligen Ausreisen.
In Fällen, in denen Menschen an der Grenze Asyl beantragen, werde es auch künftig ein ordentliches Verfahren geben, heißt es weiter. Damit werde Merkels Zusage umgesetzt, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kenne.
Die CSU erhält mit dieser Einigung das ersehnte Stoppschild, die Zahl von 200 000. Horst Seehofer wahrt also sein Gesicht. Die Kanzlerin hat aber die Obergrenze für politisch verfolgte Asylbewerber abgeblockt, die auch Grüne und FDP als potenzielle Jamaika-Koalitionspartner nicht akzeptieren wollen.
Reform des Dublin-Systems
CDU und CSU haben sich auf konkrete Maßnahmen verständigt, die die Einhaltung des Rahmens von 200 000 Menschen sichern soll. Genannt werden dabei die Themen Fluchtursachenbekämpfung, Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des EUTürkei-Abkommens, der Schutz der EU-Außengrenzen, die EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen und gemeinsame Rückführungen von dort sowie die Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems und des Dublin-Systems.
Asylzentren in Grenznähe
Teil des Kompromisses, wie Teilnehmer der „Schwäbischen Zeitung“bestätigen: In Grenznähe sollen Einrichtungen geschaffen werden, in denen Asylbewerber ohne Ausweispapiere bleiben müssen, bis ihre Identität zweifelsfrei geklärt ist. Auch darauf hat die CSU bestanden. Die Kontingente für die Kriegsflüchtlinge sollen mit dem UNFlüchtlingshilfswerk UNHCR festgelegt werden. Die Begrenzung sei möglich, heißt es aus Unionskreisen, weil die Genfer Flüchtlingskonvention Länder nicht verpflichte, Menschen über die eigene Belastungsgrenze hinaus aufzunehmen.
Auch ein neues Gesetz zur Steuerung der Zuwanderung von Fachkräften soll es den Absprachen zufolge geben. Und die Kontrollen an den deutschen Außengrenzen bleiben bis auf Weiteres bestehen.
Lange Verhandlungsrunden
Diesem Kompromiss ist ein dramatischer Verhandlungsmarathon vorausgegangen: Schon gegen elf Uhr am Sonntagmorgen treffen sich die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und CSUChef Seehofer zu einem Vier-Augen-Gespräch, dann kommt eine Zehnerrunde zusammen mit Spitzenvertretern beider Schwesterparteien.
Am Nachmittag folgen getrennte Beratungen. Zwischendurch werden positive Signale gesendet: „Es läuft!“, heißt es. Man rede „sehr freundschaftlich und engagiert miteinander“. Am Abend ziehen sich Merkel und Seehofer noch einmal zurück, feilen an den Details. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erhalten den Auftrag, den Kompromiss zu Papier zu bringen, bevor die große Runde, erweitert diesmal um Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), den Durchbruch festklopft.
Die Aufgabe der Unterhändler ist klar: Vor Gesprächen über eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen müssen CDU und CSU einen gemeinsamen Kurs abstimmen. Und geht es nach der CSU, muss die Union nach rechts abbiegen: „Wer jetzt ‚weiter so‘ ruft, hat nicht verstanden und riskiert die Mehrheitsfähigkeit von CDU und CSU. Die Union war nie nur ein Kanzlerwahlverein“, heißt es in einem vorher in der Presse lancierten Zehn-Punkte-Papier, das Seehofer mitgebracht hat, um den Druck zu erhöhen. Wolle die Union weiterhin „Taktgeber für das gesamte bürgerliche Lager sein, muss sie ihren angestammten Platz Mitte-Rechts ausfüllen“, so die Forderung in dem Plan. Vor allem die AfD-Anhänger will die CSU stärker umwerben: Die Partei müsse „knallhart“bekämpft werden, um ihre Wähler müsse die Union „kämpfen“. Schon am Samstag beim „Deutschlandtag“der Jungen Union in Dresden hat Merkel versprochen, über einen Koalitionsvertrag für eine Jamaika-Regierung werde ein Sonderparteitag abstimmen. Der Auftritt hat ihr Rückenwind verschafft. In der sächsischen Landeshauptstadt kündigte Merkel erstmals offiziell Gespräche mit FDP und Grünen über ein Jamaika-Bündnis an. „Ich möchte, dass das zustande kommt“, sagte sie. Die SPD sei aus ihrer Sicht „auf Bundesebene auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig“.
„Linke Spinnereien“
Auf einer Regierungsbank gemeinsam mit FDP und Grünen – der Weg dahin ist indes noch weit, gerade aus Sicht vieler Christsozialer. Mit den Grünen liegen sie in vielen Fragen von der Flüchtlings- bis zur Klimapolitik über Kreuz. In den kommenden Wochen werde es darum gehen, „dass alles, was an linken Spinnereien in den Koalitionsverhandlungen auf den Tisch gelegt wird, zurückgedrängt und vermieden wird“, kündigt der neue CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt an.
Dabei soll auch der Zehn-PunktePlan helfen, auf den sich das CSUSpitzenpersonal am Vorabend des Unionsgipfels beim Edel-Italiener im Berliner Regierungsviertel verständigt hat. Der Plan ist der Versuch, das eigene Profil aufzupolieren – mithilfe von Leitkultur und Patriotismus. Die Besinnung auf traditionelle Werte für den Neustart der Konservativen? „Konservativ ist wieder sexy“, heißt es in Seehofers Zehn-Punkte-Plan.