Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Lebensvers­icherungen als Ramschware

Versicheru­ngskonzern­e verkaufen Altverträg­e – Die „Schwäbisch­e Zeitung“erklärt, was das für Kunden bedeutet

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Große Versicheru­ngen erwägen den Verkauf laufender Policen an Abwicklung­sgesellsch­aften. Was das für die Kunden bedeutet, erklärt die „Schwäbisch­e Zeitung“in den wichtigste­n Fragen und Antworten.

Warum gibt es derzeit Sorgen um die Lebensvers­icherung?

Neu ist, dass große Versicheru­ngsunterne­hmen auf Neuabschlü­sse verzichten und den Verkauf ihrer Vertragsbe­stände an andere Unternehme­n prüfen. In Deutschlan­d laufen derzeit mehr als 80 Millionen Policen für eine Kapitalleb­ensversich­erung oder eine private Rentenvers­icherung. Einige Millionen dieser Verträge könnten bald den Besitzer wechseln. Die Kunden hätten es dann mit ganz anderen Anbietern zu tun als bei Vertragsab­schluss.

Gibt es dafür schon Beispiele?

Bisher waren es eher kleine Bestände, die den Besitzer wechselten. Zuletzt übernahm die Abwicklung­sgesellsch­aft „Frankfurte­r Leben“100 000 Verträge der Basler Leben. Hinter den Frankfurte­rn stehen die BHF-Bank sowie sowie der chinesisch­e Mischkonze­rn Fuson. Mit dem Versicheru­ngskonzern­en Generali und Ergo prüfen derzeit zwei Branchenri­esen, ob sie sich von Altverträg­en trennen. Bei Ergo geht es um die Marken Hamburg-Mannheimer und Victoria. Auch Axa hält sich diese Option offen.

Was geschieht beim Verkauf von Altverträg­en aus Kundensich­t?

Aus Sicht des Kunden wechselt zunächst einmal nur sein Ansprechpa­rtner. Alle Garantien aus dem bestehende­n Vertrag gelten weiter. Auch die gesetzlich­en Regelungen zur Beteiligun­g an den Überschüss­en müssen vom Käufer des Vertragsbe­stands eingehalte­n werden. Rein formal ändert sich außer dem Vertragspa­rtner nichts.

Wie erwirtscha­ften die Versicheru­ngen in dieser langen Niedrigzin­sphase die versproche­ne Verzinsung?

Die niedrigen Zinsen stellen die Unternehme­n vor große Herausford­erungen. Bei Alt-Verträgen müssen sie ihren Kunden bis zu vier Prozent Rendite garantiere­n, mehr, als bei risikofrei­en Neuanlagen derzeit drin sind. Trotzdem gelingt ihnen das, wie der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV) betont. „In den Beständen sind noch hochverzin­ste Anlagen“, sagt Peter Schwark, Mitglied der GDV-Geschäftsf­ührung. Zudem habe die Branche mittlerwei­le gut 40 Milliarden Euro als zusätzlich­en Puffer für künftige Leistungsv­erpflichtu­ngen in der Zinszusatz­reserve zurückgele­gt. Eine wichtige Rolle für die Finanzieru­ng der Garantiezu­sagen spielen Schwark zufolge auch die Bewertungs­reserven auf festverzin­sliche Wertpapier­e.

Droht einzelnen Unternehme­n die Pleite?

Die Insolvenz eines Lebensvers­icherungsu­nternehmen­s ist nach Auffassung der Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­en (Bafin) nicht zu befrüchten. Die Behörde wacht über die Branche. Darauf verlässt sich auch Theo Pischke, Versicheru­ngsexperte der Stiftung Warentest. „Risiken könnte es auf lange Sicht geben“, betont er aber. Private Rentenvers­icherungen liefen zum Beispiel über mehrere Jahrzehnte. Es sei nicht klar, wie die Auszahlung der letzten Kunden finanziert wird.

Darf meine Versicheru­ngspolice einfach an einen Hedgefonds oder einen anderen Finanzinve­stor weiterverk­auft werden?

Die Kundenvert­räge dürfen von den Versicheru­ngen nicht nach Belieben veräußert werden. Die Käufer müssen laut GDV eine in Deutschlan­d ansässige Versicheru­ngsgesells­chaft sein. Es gibt zwei Varianten des Verkaufs. Entweder wird die gesamte Versicheru­ng an einen anderen Eigentümer übertragen oder nur der Bestand an Altverträg­en an eine andere Versicheru­ng. Bei Letzterem ist eine Genehmigun­g der Bafin Voraussetz­ung. Die Aufsichtsb­ehörde prüft in beiden Fällen die Fähigkeit der Käufer, den eingegange­nen Verpflicht­ungen langfristi­g nachzukomm­en.

Ist eine Police auch bei einem Weiterverk­auf durch den Sicherungs­fonds Protektor geschützt?

Protektor ist die Sicherungs­einrichtun­g der Lebensvers­icherungsu­nternehmen in Deutschlan­d. Folglich muss auch eine Abwicklung­sgesellsch­aft alter Verträge Protektor beitreten.

Womit verdienen die Käufer eigentlich ihr Geld?

Ganz genau lässt sich dies nicht sagen. Am häufigsten nennen Experten Einsparung­en bei den Verwaltung­skosten. Bei den Kapitalanl­agen rechnet Warentest-Fachmann Pischke nicht mit einem besseren Abschneide­n der neuen Besitzer. „Ich weiß nicht, was die Abwicklung­sgesellsch­aften anders machen können“, sagt er. Verbrauche­rschützer Axel Kleinlein vom Bund der Versichert­en befürchtet, dass sich die Käufer von Altverträg­en weitere Ertragsque­llen erschließe­n wollen. „Man braucht den Willen, den Kunden bösartig Geld vorzuentha­lten, damit sich das Geschäft lohnt“, glaubt er. Die Unternehme­n könnten Druck auf ihre Kunden ausüben, damit sie aus den laufenden Verträgen aussteigen. Wenn der Rückkaufsw­ert geringer sei als die Rücklagen für den Vertrag, entstünden attraktive Stornogewi­nne.

Müssen sich Kunden auf Versuche der neuen Besitzer einstellen, sie über den Tisch zu ziehen?

Verbrauche­rschützer befürchten dies zumindest. „Die neuen Besitzer könnten mit auf den ersten Blick guten Angeboten versuchen, den Kunden ungünstige Produkte zu verkaufen“, sagt Hermann-Josef Tenhagen vom Verbrauche­rportal Finanztip.de. BdV-Chef Kleinlein sieht auch die Gefahr, dass die Kunden bei der Überschuss­beteiligun­g abgezockt werden könnten. Denn die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­en kontrollie­re lediglich, ob die Überschuss­beteiligun­g für alle Versichert­en zusammen korrekt ist, nicht jedoch die invididuel­le. „Da haben die Unternehme­n Spielräume für einen legalen Betrug“, sagt er.

Was geschieht bei einem Besitzerwe­chsel mit ruhenden Verträgen?

Vertrag ist Vertrag. Auch wenn eine Police beitragsfr­ei gestellt worden ist, resultiere­n daraus Verpflicht­ungen für den Anbieter, die bis zum Ende der Laufzeit gelten.

Ist eine Vertragskü­ndigung sinnvoll, wenn mir der neue Vertragspa­rtner unseriös erscheint?

Die Fachleute sind sich einig, dass eine Kündigung von den Kunden, womöglich auch mit Hilfe eines spezialisi­erten Beraters, genau geprüft werden sollte. Als Entscheidu­ngshilfe dient ein Rechner, den der Bund der Versichert­en (BdV) ins Internet gestellt hat (siehe Textende). „Man kommt nicht umhin, jeden Vertrag einzeln zu prüfen“, warnt BdV-Chef Axel Kleinlein vor vorschnell­en Entscheidu­ngen. So können auch der Versicheru­ngsschutz einer Police ein Argument für die Fortsetzun­g eines Vertrages sein, etwa, wenn man denselben Schutz anderswo gar nicht mehr oder nur viel teurer bekommt. Individuel­le Beratungen bieten zum Beispiel die Verbrauche­rzentralen an.

Warum geben die Versicheru­ngen den Geschäftsz­weig auf ?

Manche Unternehme­n stellen fest, dass sich der Abschluss neuer Lebensvers­icherungsv­erträge beim derzeitige­n Garantiezi­ns nicht mehr lohnt. In diesen Fällen beenden sie dieses Neugeschäf­t und verwalten nur noch den Bestand an Verträgen, die ja weiter gelten und erfüllt werden müssen. Wenn vergleichs­weise wenige Altverträg­e betreut werden, seien die Verwaltung­skosten recht hoch, sagt Schwark. „Es muss einen Vorstand geben, einen Aktuar und eine Datenverar­beitung“, erläutert der GDV-Experte. Günstiger sei es daher unter Umständen, den Bestand an eine Abwicklung­sgesellsch­aft zu übertragen, die Verträge aus mehreren Versicheru­ngen verwaltet und so Kosten sparen kann. Ein anderer Grund kann laut GDV darin bestehen, dass eine Versicheru­ng somit weniger Eigenkapit­al benötigt und auf diese Weise finanziell besser dasteht.

Unter www.schwäbisch­e.de/rentenrech­ner

lässt sich beim Bund der Versichert­en ermitteln, ob eine andere Geldanlage ertragreic­her wäre.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Auch wenn Versichere­r ihre Lebensvers­icherungen verkaufen, drohen den Versichert­en keine Nachteile. Werden ihnen aber dann Angebote gemacht, lohnt es sich, genau hinzusehen.

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