Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Grüne pochen auf Familiennachzug
Das Positionspapier der Union zur Zuwanderung sorgt auch innerhalb der Grünen für Spannungen
BERLIN (kab) - Vor den ersten Sondierungsgesprächen über die Bildung einer Jamaika-Koalition pochen Grüne und FDP weiter auf Änderungen an den Vorschlägen der Union in Sachen Zuwanderung. Vor allem Grünen-Politiker kritisierten am Dienstag die von CDU und CSU geplanten Einschränkungen beim Familiennachzug von Flüchtlingen. Allerdings räumte Fraktionschef Anton Hofreiter ein: „Es muss jedem klar sein, dass er sich nicht zu 100 Prozent durchsetzen kann.“
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BERLIN - Jürgen Trittin setzt gleich auf Attacke, noch bevor das Ringen um eine Jamaika-Koalition überhaupt richtig begonnen hat. Die Pläne der Union, den Familiennachzug für Flüchtlinge weiter auszusetzen, seien „die Verleugnung urchristlicher Werte“, wirft der prominente Grüne in der „Rheinischen Post“am Dienstag CDU und CSU vor. „Das läuft allen Integrationsbemühungen entgegen.“Ausgerechnet der frühere GrünenVorsitzende und Bundesumweltminister Trittin, den die Spitzen der Union bis heute für das Scheitern von Schwarz-Grün nach der Bundestagswahl 2013 verantwortlich machen.
Kaum hatten sich die Unionsparteien am Sonntagabend auf ihre gemeinsame Position zu Obergrenze und Flüchtlingspolitik verständigt, schießen Grünen-Unterhändler Trittin und andere Parteilinke quer, ziehen bereits Rote Linien. „Große Bedenken“habe man, nicht nur wegen der geplanten Begrenzung des Familiennachzugs, sondern auch bei anderen Themen, heißt es. Dagegen geben sich Grünen-Chef Cem Özdemir und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, beide vom realpolitischen Flügel, deutlich zurückhaltender, wollen nicht schon im Vorfeld Türen zuschlagen und zunächst in die Sondierungen gehen. Intern wird in der Ökopartei heftig darum gerungen, welchen Preis man bereit ist, für die Regierungsbeteiligung zu zahlen.
Palmer widerspricht Trittin
Das zeigen auch die Worte von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“sagte er am Dienstag: „Die Ausweitung sicherer Herkunftsländer, die Einrichtung von Ausreisezentren, Aussetzung des Familiennachzuges – das ist kein Papiertiger, aber auch keine Verleugnung urchristlicher Werte, sondern pragmatische Politik.“Darüber, ob die Grünen in eine Jamaika-Koalition eintreten werden, entscheide laut Palmer „zum Glück nicht Jürgen Trittin allein“.
Am kommenden Mittwoch und Donnerstag treffen sich die JamaikaUnterhändler zu Vorgesprächen, bevor dann am Freitag die große Runde tagt. Es ist der Auftakt zu Sondierungen, der Beginn des Ringens um ein schwarz-gelb-grünes Regierungsbündnis. Die Grünen setzen schon einmal das Thema Zuwanderung ganz oben auf die Tagesordnung, schlagen bereits Pflöcke ein, bevor sie das erste Mal am Verhandlungstisch Platz genommen haben.
Ob Familiennachzug, Obergrenze, sichere Herkunftsstaaten oder Aufnahmezentren – die Parteilinken der Grünen zeigen sich skeptisch, auch die FDP meldet Bedenken an. Stellungskämpfe, die erahnen lassen, wie hart die Verhandlungen werden könnten. „Dass es mit den Grünen nicht einfach wird, war klar“, erklärte CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann. In den Reihen der Union hielt man sich am Dienstag demonstrativ zurück, vermied es nach der Einigung über die gemeinsame Linie beim Thema Zuwanderung Öl ins Feuer zu gießen.
Auch die FDP setzt nach dem Unions-Kompromiss zur Zuwanderung auf eine Verständigung mit Union und Grünen. Die Einigung der Union werde nicht eins zu eins umgesetzt werden können und auch nicht Grundlage der Arbeit für die nächsten vier Jahre sein, so Parteivizechef Wolfgang Kubicki. Wenn sich die Union jetzt Richtung Einwanderungsgesetz bewege, sei dies der Schlüssel zu einer vernünftigen Regelung.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der Teil der Sondierungsgruppe ist, hofft jedenfalls auf eine schnelle Einigung. „Ich werde alles dafür tun, dass so ein Bündnis vor Weihnachten steht – wenn es dazu kommt“, sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. Er könne nicht sehen, was einfacher oder besser werde, wenn sich die geplanten Verhandlungen zu einer Bundesregierung aus Union, FDP und Grünen noch länger hinzögen.