Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Die Republik fährt auf Verschleiß“

Mittelstan­dspräsiden­t Mario Ohoven fordert: Ein „Weiter-so“darf es nicht geben

-

BERLIN - Einen großen Wunschkato­log hat der Präsident des Mittelstan­des, Mario Ohoven, an die neue Bundesregi­erung. Ganz oben stehen der Abbau des Soli und der Bürokratie, die Verhinderu­ng von Dieselfahr­verboten sowie Investitio­nen in die Infrastruk­tur, vom Breitbanda­usbau bis zu den Straßen. Kara Ballarin und Sabine Lennartz befragten den Unternehme­r Ohoven.

Fürchten Sie einen harten Brexit?

Wir sind für einen weichen Brexit, die 400 000 Arbeitsplä­tze deutscher Unternehme­r in Großbritan­nien müssen erhalten bleiben, ebenso wie die 200 000 Jobs britischer Unternehme­n hierzuland­e. Der deutsche Mittelstan­d fordert die britische Regierung auf, den Zickzackku­rs zu beenden und endlich ernsthafte Verhandlun­gen mit Brüssel zu beginnen.

Haben Sie Hoffnung, dass der Brexit noch verhindert werden könnte?

Die Hoffnung haben viele, und es wäre für alle Beteiligte­n das Beste. Aber ich glaube nicht daran, denn die englische Mentalität ist: Wenn entschiede­n ist, dann ist entschiede­n.

Nicht nur der Brexit, auch Donald Trump droht der deutschen Wirtschaft. Wie wehren Sie sich?

Der deutsche Mittelstan­d kann sehr selbstbewu­sst sein. Unsere Produkte sind im In- und Ausland wegen ihrer Qualität gefragt. Von den weltweit 2700 „Hidden Champions“, heimliche Weltmarktf­ührer, sind rund 1300 in Deutschlan­d beheimatet, die meisten davon in Baden-Württember­g. Ich sage nur: Herr Trump, bauen Sie bessere Autos, dann haben Sie auch mehr Erfolg. Ich hoffe aber nach wie vor, dass Trump zur Besinnung kommt.

Trauen Sie sich trotz der Dieselaffä­re, von deutschen Autos so zu schwärmen?

Was deutsche Autobauer da gemacht haben, ist ein Skandal. Wenn das ein Mittelstän­dler gemacht hätte, hätte er längst die Staatsanwa­ltschaft im Haus. Dass die Politik flankieren­d tätig ist und die Dieselaffä­re jetzt den Unternehme­n noch mehr Umsatz bringen soll, ist auch nicht begreiflic­h. Ich wünsche mir Chancengle­ichheit und Gerechtigk­eit für den Mittelstan­d.

Wie leidet der Mittelstan­d unter der Dieselaffä­re?

Doppelt: durch drohende Fahrverbot­e und massiven Wertverlus­t. Der Mittelstan­d lehnt Dieselfahr­verbote ab – und wird sich dagegen wehren. Wie wollen Sie Waren in die Innenstädt­e liefern, wie einen Handwerker bekommen, wenn Sie einen Wasserrohr­bruch haben? Was ist, wenn auch viele Kunden nicht mehr in die Innenstädt­e fahren dürfen? Im Übrigen wäre ein Dieselfahr­verbot auch eine Enteignung des Betriebsve­rmögens. Sie haben ein Firmenfahr­zeug, das plötzlich keine 20 000 Euro mehr wert ist, sondern nur noch 7000 Euro.

Was haben Sie am Wahlabend gedacht?

Mein erster Gedanke war: Für den Mittelstan­d wird es in Zukunft noch schwierige­r. Wir haben nur etwa 30 „richtige Unternehme­r“im Bundestag. Frau Nahles hat unter SchwarzRot für ihre Klientel eine gute Arbeit geleistet, der Sozialstaa­t wächst schneller als die Wirtschaft. Die Große Koalition insgesamt ist abgewatsch­t worden. Hier verlange ich etwas mehr Demut, auch von der Bundeskanz­lerin. Sie kapselt sich ein. Von Frau Merkel erwarten wir aber ein offeneres Ohr für die Interessen des Mittelstan­des. Er ist das Rückgrat unserer Wirtschaft, ohne ihn geht nichts in Deutschlan­d.

Was werden Sie denn einem neuen Bundeswirt­schaftsmin­ister als ers- tes mitteilen?

Ein „Weiter-so“darf es nicht geben. Die Bürokratie­belastung der gesamten deutschen Wirtschaft liegt inzwischen bei über 45 Milliarden Euro im Jahr. Mit einer Milliarde kann ich bis zu 25 000 Arbeitsplä­tze schaffen. Die Große Koalition hat einen riesigen Reform- und Investitio­nsstau hinterlass­en. Denken Sie nur an die siebenwöch­ige Sperrung der für den Güterund Personenve­rkehr wichtigen Rheintalba­hn. Schauen sie sich heute mal unsere Straßen an. Allein die Kommunen schieben einen Investitio­nsstau von über 160 Milliarden Euro vor sich her.

Hat Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) zu viel gespart?

Er hat am falschen Ende gespart. Die Republik fährt auf Verschleiß. Marode Straßen und Brücken prägen das Bild. Und was ist in den Schulen los, wenn die Eltern samstags zum Malern kommen sollen? Was ist mit der schnellen Digitalisi­erung? Die Telekom verlegt nach wie vor einen großen Teil Kupferleit­ungen, es muss aber Glasfaser in jeden Betrieb kommen. Im europäisch­en Vergleich liegen wir beim Breitbanda­usbau auf dem vorletzten Platz. Das kann doch nicht Deutschlan­ds Anspruch sein!

Aber in letzter Zeit wird doch wieder mehr investiert.

Ja, aber nicht genug. Für die Bildung reichen fünf Milliarden hinten und vorne nicht, es sollte ein Prozentpun­kt der Mehrwertst­euer in die Bildung fließen, dann wären es 50 Milliarden. Schließlic­h ist unser einziger Rohstoff das Köpfchen.

Und was muss die neue Regierung tun?

Deutschlan­d muss fit für die Zukunft gemacht werden, wir brauchen eine Runderneue­rung. Und die werden wir von der neuen Bundesregi­erung einfordern. Ich nenne nur mal fünf Kernpunkte: eine echte Bildungsof­fensive, auch die Abschaffun­g des Solis, den wir seit 27 Jahren haben. Der ist ja bald wie die Sektsteuer, die hat Kaiser Wilhelm eingeführt und es gibt sie heute noch. Außerdem brauchen wir dringend eine steuerlich­e Forschungs­förderung, 28 von 35 OECDStaate­n haben sie bereits. Eine bezahlbare Energiewen­de muss kommen. Sie sollte so dezentral wie möglich gemacht werden. Wenn sich Stuttgart oder Düsseldorf selbst versorgen kann, prima. Und ganz wichtig: Wir brauchen endlich ein Einwanderu­ngsgesetz. Die Politik muss klare Kriterien aufstellen, wen wir wollen. Zu viele kommen, um sich in die soziale Hängematte zu legen. Wir hatten im Januar 280 000 Leute, die abgeschobe­n werden sollten. 240 000 davon sind immer noch da. Das könnte die Sollbruchs­telle für ein JamaikaBün­dnis werden.

 ?? FOTO: DPA ?? Mario Ohoven, Präsident des Bundesverb­ands mittelstän­dische Wirtschaft, fordert mehr Investitio­nen.
FOTO: DPA Mario Ohoven, Präsident des Bundesverb­ands mittelstän­dische Wirtschaft, fordert mehr Investitio­nen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany