Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Gefängnisseelsorger beklagen zunehmende „Kälte“im Knast
Verein „Katholische Gefängnisseelsorge in Deutschland“hält seine Jahrestagung im Kloster Reute ab
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BAD WALDSEE - Knapp 80 katholische Gefängnisseelsorger aus der ganzen Republik nehmen diese Woche an ihrer Jahrestagung im Bildungshaus des Klosters Reute teil. Hauptthema dieser Zusammenkunft ist die individuelle Begleitung und Resozialisierung Gefangener. Der Verein „Katholische Gefängnisseelsorge in Deutschland“beklagt eine zunehmende Kälte im Strafvollzug, weil in den Justizvollzugsanstalten vor allem Wert gelegt werde auf Effizienz und größtmögliche Sicherheit.
„Die hier sitzen, kümmern sich um diejenigen, die sitzen“: Schnörkellos bringt es Pfarrer Stefan Ehrlich auf den Punkt, was die 77 Teilnehmer der Jahrestagung in Reute zusammenführt; zuletzt tagte der Verein vor 16 Jahren hier. Die Seelsorger – darunter sowohl geweihte Priester als auch Diakone, Pastoralreferenten und Ordensleute - arbeiten zwar republikweit in verschiedenen JVAs. Die Probleme, mit denen sie täglich konfrontiert werden, sind aber überall die gleichen, wie fünf von ihnen im SZ-Gespräch erzählen.
Mit Kamera überwacht
„Im Mittelpunkt stehen hohe Sicherheitsstandards mit Kameraüberwachung und ausgeklügelten Meldesystemen, da ist dem Staat nichts zu teuer“, sagt Lothar Dzialdowksi. Durch diese „Sicherheitsverwahrung“, die von der Gesellschaft eingefordert werde, habe der Strafvollzug jedoch deutlich an „Kälte“zugenommen, klagen auch seine Kollegen Andreas Bär und Stefanie Kersten.
Mitunter seien die Gefängnisse „reine Verwahranstalten. In neuen JVAs hängt kein Bild mehr an der Wand, alles ist nackt und kahl“, beschreibt Bär die nicht zuletzt dadurch schwieriger gewordene Ausgangslage für die Begleitung der Insassen.
Seelsorger sind stark gefordert
Dabei seien die gesetzlichen Vorgaben eindeutig, wonach jeder Gefangene auf sein späteres Leben in Freiheit so vorbereitet werden müsse, dass er draußen nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt gerät. „Und hier sind neben Sozialarbeitern und Psychologen auch wir als Seelsorger stark gefordert“, unterstreicht Wolters. Für die meisten Verurteilten breche mit Antritt der Haftstrafe das soziale Umfeld weg, die Familie falle auseinander, der Arbeitsplatz sei futsch und es mache sich große Perspektivlosigkeit breit. „Und wenn sie dann am Tag X in Freiheit sind, kann sich jeder ausmalen, wie das aussieht und wie hoch die Rückfallquote ist“, stellt Ehrlich die Bedeutung von Resozialisierungshilfen heraus.
Wolters: „Zumal wir eine wachsende Zahl problematischer Fälle haben, wie Menschen mit Suchtproblemen oder psychischen Erkrankungen, was den Gefängnisalltag für alle Beteiligten schwieriger und belastender macht – auch für Vollzugsbeamte und für uns Seelsorger.“Es heiße nicht umsonst: „Ein Mörder kommt nicht mehr zurück in den Knast, ein Drogenkranker aber schon.“Zielführend wäre nach Einschätzung der Seelsorger zudem eine Art „Übergangsmanagement“seitens freier Träger und Kommunen, mit dessen Hilfe entlassene Strafgefangene an ihre neue Freiheit herangeführt werden könnten; und das Engagement der Wirtschaft, die Betroffenen Job-Chancen geben könnte.
Probleme offen ansprechen
Wolters appellierte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der katholischen Gefängnisseelsorge Deutschland an „seine“Kirche, weiterhin ausreichend Gelder und Personal für die Seelsorge in Gefängnissen bereitzustellen. Zudem sollten die in einigen Anstalten aufgebauten Ethikkomitees gefördert werden. „In diesen Gremien können alle Probleme und Herausforderungen offen angesprochen und Lösungen entwickelt werden“, weiß Wolters.
Neben Vorträgen, Diskussionsrunden und dem Kollegen-Austausch gab’s während der fünftägigen Versammlung in Reute auch einen Kabarettabend und eine Ausfahrt nach Tettnang zur Begegnung mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Einer der Workshops mit Bernhard Locher, dem stellvertretenden Leiter der JVA Ravensburg, hatte „Die Menschenwürde als alltägliches Spannungsfeld für Bedienstete und Gefangene im Vollzug“zum Thema. Integriert in diese Tagung wurde am Donnerstag zudem die anstehende Mitgliederversammlung des Vereins abgehalten.