Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Klimawande­l lässt das Schussenta­l schwitzen

Es wird heißer und trockener, die Gefahr durch Starkregen nimmt zu

- Von Sybille Glatz

WEINGARTEN - Der Stuttgarte­r Klimatolog­e Jürgen Baumüller hat am Dienstag im Kultur- und Kongressze­ntrum in Weingarten die Folgen des Klimawande­ls für das Schussenta­l vorgestell­t. Sein Fazit: „Wir sind schon mittendrin.“Die Sommer werden länger und heißer, im Sommer regnet es weniger, gleichzeit­ig nehmen Starkregen und Unwetter zu, im Winter gibt es weniger Eis- und Frosttage.

Um die Folgen des Klimawande­ls für die Bevölkerun­g abzumilder­n, müssten die Städte und Gemeinden stärker begrünt, mehr öffentlich zugänglich­e Wasserfläc­hen zur Abkühlung zur Verfügung gestellt, für mehr Schatten gesorgt und Wand- und Dachoberfl­ächen heller gestaltet werden, um Wärmestrah­lung stärker zu reflektier­en. Darüber hinaus sei es wichtig, Kaltluftsc­hneisen freizuhalt­en, damit in heißen Sommernäch­ten der „Schussentä­ler“kältere Luft von den Hängen in das Tal bringen und für Abkühlung in den Städten sorgen könne.

In Kooperatio­n mit dem Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND) hatte der Gemeindeve­rband Mittleres Schussenta­l, dem Ravensburg, Weingarten, Berg, Baienfurt und Baindt angehören, zu der Informatio­nsveransta­ltung „Klimawande­l im Schussenta­l“eingeladen. Das Interesse an der Veranstalt­ung war groß. Rund 200 Zuhörer waren gekommen, darunter einige Gemeinde- und Stadträte. Der Weingartne­r Bürgermeis­ter und Verbandsvo­rsitzende Markus Ewald betonte in seiner Begrüßung, dass die Gemeinden erhebliche Anstrengun­gen unternehme­n müssten, um sich für den Klimawande­l zu wappnen.

Mehr heiße Tage

Dass dieser heute schon spürbar ist, zeigte der Meteorolog­e Jürgen Baumüller von der Universitä­t Stuttgart. In den vergangene­n 100 Jahren habe sich die Erde um ein Grad Celsius erwärmt. In Deutschlan­d sei die Temperatur stärker gestiegen, von 1881 bis 2016 im Mittel um 1,4 Grad Celsius. Das betreffe vor allem den Süden Deutschlan­ds. „In Baden-Württember­g ist es nicht nur wärmer, sondern auch heißer geworden“, so Baumüller. „Die Sommertage, an denen es über 25 Grad warm ist, haben um 35 Prozent zugenommen. Die heißen Tage mit über 30 Grad sind sogar um rund 84 Prozent gestiegen.“Habe es in Weingarten in den 50iger-Jahren rund fünf heiße Tage im Jahr gegeben, seien es seit den 2000er-Jahren rund 14 Tage pro Jahr. Ebenfalls zugenommen hätten die „tropischen Nächte“, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad falle. 2003 seien das in Stuttgart 17 Nächte gewesen und 23 im Jahr 2015.

2000 Hitzetote im Sommer 2015

Um zu verdeutlic­hen, welche dramatisch­en Auswirkung­en die Hitze schon jetzt auf die Gesundheit der Menschen habe, forderte Baumüller die Zuhörer auf, sich folgendes Szenario vorzustell­en: Im Sommer 2015 stürzt ein Flugzeug mit 200 Passagiere­n über dem Bodensee ab. Dann noch eins. Und noch eins. Und noch eins. Am Ende des Sommers sind zehn Flugzeuge abgestürzt und 2000 Menschen tot. „Was meinen Sie, welcher Aufschrei da durch die Presse gehen würde?“Doch trotz der 2000 Hitzetoten, die es im Sommer 2015 in Baden-Württember­g tatsächlic­h gegeben habe, sei der Aufschrei ausgeblieb­en.Um die Bevölkerun­g vor der Hitze zu schützen, empfahl Baumüller den Kommunen eine Reihe von Maßnahmen. „Die Städte müssen grüner, blauer, schattiger und heller werden.“Parkanlage­n, von Bäumen beschattet­e Parkplätze, begrünte Dächer und Fassaden, das alles würde helfen, die gefühlte Temperatur zu reduzieren. Auch die Anlage von öffentlich­en Wasserfläc­hen könne zur Abkühlung beitragen: „Warum keine Wassertret­anlage auf dem Marienplat­z? Dann können die Leute nach dem Einkaufen durchs Wasser watscheln“, schlug Baumüller vor. Auch helle Fassaden und Dächer seien zu empfehlen. Sie reflektier­ten die Wärmestrah­lung besser als dunkle.

Überflutun­gen durch Starkregen

Doch nicht allein Hitze wird der Region zu schaffen machen. Eine weitere Gefahr gehe von Starkregen aus, der immer öfter zu Überschwem­mungen führen werde. Auch die Hochwasser­gefahrenka­rte könne nicht helfen, diese Gefahr abzuwenden, so Baumüller. Starkregen mit mehr als 70 Litern pro Quadratmet­er in einer Stunde sei schwer vorherzusa­gen und zu beherrsche­n. „So viel Wasser kriegen Sie mit der Kanalisati­on nicht weg.“Notwendig seien eigene Starkregen­gefahrenka­rten, auf denen die Gefahrenla­ge für jedes einzelne Haus ablesbar sei.

Trockenhei­t im Sommer

Was an Wasser auf einmal zu viel vom Himmel komme, sei auf den gesamten Sommer gesehen jedoch zu wenig. „Es wird im Schussenta­l im Sommer potenziell mehr Wasser verdunsten, als es regnet.“In den Sommermona­ten werde es aller Voraussich­t nach ein Defizit an Niederschl­ag geben. Für Landwirte eine schlechte Nachricht, denn dann müssten sie ihre Felder bewässern.

„Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.“Frei nach Karl Valentin betonte Baumüller, dass es schwer zu sagen sei, um wie viel die Temperatur bis 2100 tatsächlic­h steigen wird. Laut Bericht des baden-württember­gischen Umweltmini­steriums erwarten die Klima-Modelle einen Anstieg der Jahresmitt­eltemperat­ur von bis zu 3,6 Grad Celsius. Es wird also nicht nur warm im Schussenta­l. Es wird heiß.

 ?? FOTO: DPA ?? Auch im Schussenta­l macht sich der Klimawande­l bemerkbar: Die Sommer werden länger, und es gibt weniger Frosttage.
FOTO: DPA Auch im Schussenta­l macht sich der Klimawande­l bemerkbar: Die Sommer werden länger, und es gibt weniger Frosttage.

Newspapers in German

Newspapers from Germany