Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Beginn der schwierigen Reise nach Jamaika
Debatte um Äußerungen von FDP-Chef Lindner sorgt für Unmut vor den Sondierungen
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BERLIN - Vor dem Start der Sondierungsgespräche stellt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf harte Gespräche mit den potenziellen Jamaika-Partnern FDP und Grüne ein. „Wir werden nicht ohne Kompromisse auskommen“, auch wenn die Union klare Ziele habe, sagte Merkel am Dienstag laut Teilnehmern in einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. Heute beginnt die Union die Sondierungen, zuerst mit der FDP, dann mit den Grünen. Am Donnerstag ist ein Treffen von FDP und Grünen vorgesehen, am Freitag sollen die Gespräche mit allen Jamaika-Parteien beginnen.
Für Misstöne sorgten Forderungen von FDP-Chef Christian Lindner, das Finanzministerium solle nicht erneut an die CDU gehen. „Ein Grüner, ein CSU- oder ein FDP-Finanzminister – alles wäre besser, als das Kanzleramt und das Finanzministerium weiterhin in CDU-Hand zu halten, denn so wird durchregiert“, sagte er der „FAZ“. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) reagierte verärgert: „Ich würde mal raten, ein sondierungsfreundliches Klima in allen betroffenen Parteien zu schaffen.“Man sei sich einig gewesen, „dass Personalfragen erst am Ende stehen sollten, nicht am Start“. Merkel versprach derweil ihrer Fraktion für die Gespräche ein „Maximum an Transparenz“. Am Montag werde sie die Abgeordneten detailliert über die Treffen informieren.
Vor allzu großem Optimismus warnte derweil CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. „Jeder weiß, wenn man nach Jamaika segelt, dann kann man auch in schwere See geraten. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass uns ein starker Sturm einholt“, sagte er dem Sender RTL.
Auf schwierige Verhandlungen stellt sich auch der baden-württembergische FDP-Landesvorsitzende Michael Theurer ein. „Gespräche mit vier Parteien sind für alle Beteiligten Neuland“, sagte der Bundestagsabgeordnete, der für seine Partei an den Sondierungsgesprächen teilnimmt, zur „Schwäbischen Zeitung“. Als liberale Kernanliegen nannte er „die Abschaffung des Soli, die Absenkung der kalten Progression und die Themen Digitalisierung, Bildung und Zuwanderung“.
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BERLIN - Nun wird es Ernst. Vor den ersten Sondierungsverhandlungen an diesem Mittwoch in Berlin steigt die Nervosität bei den Jamaika-Partnern. Nachdem FDP-Chef Christian Lindner gefordert hat, das Finanzministerium solle nicht wieder an die CDU gehen, fasst UnionsfraktionsChef Volker Kauder seine Sicht der Dinge knapp zusammen: „Ich brauche keine rote Linien, ich ziehe schwarze Ziele vor.“Zumindest bei den schwarzen Zielen dürfte sich die ganze Union einig sein. Doch der Machtkampf der Schwesterpartei in München belastet auch die Verhandlungen in Berlin.
Bleibt Horst Seehofer Ministerpräsident und CSU-Chef oder kommt Markus Söder? Oder einigen sich beide irgendwie über eine Aufgabenverteilung, obwohl man weiß, dass sie nichts miteinander zu tun haben wollen? Das alles ist zur Zeit noch unklar, und auch in Berlin wartet man auf Signale aus München. Dort hatte man sich in der CSU-Vorstandssitzung darauf geeinigt, dass es während der Sondierungen keine Personaldiskussionen mehr geben soll. Doch gleichzeitig hatten die Münchner den Wunsch nach einem „geordneten personellen Übergang“an der Parteispitze geäußert. Spätestens auf dem CSU-Parteitag solle Seehofer dafür einen Vorschlag machen.
Doch wie will die CSU das anstellen? Völlig unklar ist bis jetzt, ob sie ihren Parteitag wie geplant am 17. November in Nürnberg durchführen und da auch die Personaldiskussion führen will. Oder ob man, wie Seehofer es befürwortet, ihn später macht, um dann gleich einen möglichen Koalitionsvertrag von Jamaika mit abzustimmen. Und den CSU-Parteitag dann vielleicht gleichzeitig mit dem CDU-Parteitag durchzuführen.
Horst Seehofer gilt derzeit als erfahrener Verhandlungsführer der CSU in Berlin als unverzichtbar. Gleichzeitig gibt es in München aber Stimmen, dass es genauso, wie es ohne Seehofer derzeit nicht geht, auch ohne Söder nicht gehen wird. Hinter den Kulissen erwartet man, dass vermittelt wird, um eine Lösung, vielleicht sogar für ein neues Tandem zu finden. Der eine als Spitzenkandidat für die Landtagswahl, der andere weiter als CSU-Chef.
Sehr viel klarer ist die inhaltliche Diskussion in der CSU vorangeschritten. „Wenn man schaut, was die CSU kann, was andere nicht so gut können, kommt man zum Ergebnis: Die Alleinstellungsmerkmale der CSU sind die Themen innere Sicherheit und sozialer Ausgleich“, sagt der Parlamentarische Staatssekretär im Entwicklungsministerium und CSU-Vorstandsmitglied Thomas Silberhorn.
Aus inhaltlichen Gründen hofft auch der Biberacher CDU-Abgeordnete Josef Rief, dass die CSU die Personaldiskussionen so schnell wie möglich beendet. „Wir brauchen die CSU besonders für die süddeutschen Belange“, sagt Rief. Familie, Argrapolitik und Haushaltsdisziplin zählen für ihn dazu. Und auch, dass man die Flüchtlingsfrage gut löst, und die schon erzielten Erfolge darstellt.
„Aber einen Rechtsrutsch brauchen wir nicht“, so Rief. Darin ist er sich mit dem baden-württembergischen CDU-Landeschef Thomas Strobl einig. Wichtiger sei es, alle drei Wurzeln der CDU gleichmäßig zu pflegen. In der CSU dagegen gibt es viele Stimmen, die dazu auffordern, die rechte Flanke zu schließen. Schließlich hat die CSU im nächsten Herbst Landtagswahlen zu bestehen und möchte die AfD im bayerischen Parlament verhindern.
Seehofer besucht die Grünen
Die Schwierigkeit für die JamaikaVerhandlungen ist nun: Wenn die CSU nach rechts rutscht, wird das die Gespräche mit den Grünen sehr erschweren. Kein Wunder also, dass am Vorabend der ersten offiziellen Gespräche von Union, FDP und Grünen über eine Jamaika-Koalition Seehofer die Grünen-Spitze mit Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt besucht hat. Auf die Frage, was ihn herführe, antwortete der bayerische Ministerpräsident am Dienstagabend knapp: „Wichtige Dinge“.
Nur ein Jamaika-Bündnis kann die Union insgesamt vor einer neuen Großen Koalition oder Neuwahlen bewahren. Große Koalitionen ziehen meist ein Erstarken der Rechten und Linken nach sich. „Die ÖVP erholt sich gerade von einer Situation, in die wir nie hineingeraten wollen: Von den Folgen einer jahrelangen großen Koalition“, gibt CSU-Mann Silberhorn zu bedenken.
Was den Grünen ihr Trittin ist, ist der CSU ihr Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Der tut kund, dass auf dem Weg nach Jamaika starke Stürme drohen. „Die Grünen müssen einfach verstehen, dass sie einer bürgerlichen Regierung aus CDU, CSU und FDP beitreten können. Aber natürlich nicht mit linken Spinnereien als Inhalten.“Nach der Vorbereitung einer guten Gesprächsathmosphäre hört sich das nicht an.